Von Mirko Lehmann
Nach der Tötung dreier US-Soldaten durch einen, wie es heißt, Drohnenangriff, der angeblich auf einen US-Außenposten in Jordanien verübt wurde, wird über einen baldigen US-amerikanischen Angriff als "Vergeltung" spekuliert. Dabei ist noch nicht einmal geklärt, ob der Angriff tatsächlich in Jordanien erfolgt ist oder nicht vielmehr im angrenzenden Syrien (RT DE berichtete). Unklar ist, gegen welches Land, gegen welches Militär oder welche militärischen Formationen die USA und ihre "Verbündeten" vorgehen werden.
Nicht zuletzt durch chinesische Vermittlung konnte das Verhältnis zwischen Iran und Saudi-Arabien in den vergangenen Monaten entspannt werden, nachdem Russland seine Kontakte in die Region, auch nach Riad, intensiviert hatte. Teheran seinerseits hat durch eine aktive Diplomatie seine regionalen und internationalen Beziehungen in den vergangenen Jahren ausgebaut. Dennoch gibt es bis heute keine regionale Sicherheitsstruktur, die nicht nur dem Iran, sondern den Staaten des Nahen Osten und der Golfregion, Schutz vor militärischer Erpressung durch den "kollektiven Westen" böte.
Weder das BRICS-Staatenbündnis noch die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, erst recht nicht die OVKS-Staaten können oder wollen als Garanten für die Sicherheit des Iran und der Region fungieren, auch wenn deren diplomatisches Gewicht nicht unterschätzt werden darf. Diese vermeintliche Schwäche könnte von westlicher Seite als 'Einladung' verstanden werden, angesichts der eskalierenden Spannungen in Israel/Palästina, im Roten Meer und im Jemen in das scheinbare Machtvakuum vorzustoßen. Von westlicher Politik und Medien wird nicht erst seit Oktober 2023, aber seit dem Angriff der Hamas auf Israel verstärkt, Iran für die Zunahme der Spannungen in der Region verantwortlich gemacht – ohne dafür stichhaltige Beweise vorlegen zu können.
Neues Verteidigungsbündnis
Auf dieser Linie argumentiert auch der US-amerikanische konservative Ökonom und frühere stellvertretende Finanzminister unter Ronald Reagan, Paul Craig Roberts. Wiederholt hat Roberts seine Befürchtungen formuliert, dass das vorsichtige Agieren von Russland, China und dem Iran von Washington und seinen NATO-Alliierten als Schwäche ausgelegt werden könnte. Diese Fehlinterpretation könnte die USA, aber auch Israel zu einer Aggression im Nahen Osten verleiten. Die "Neocons" sind dem von ihnen in aller Offenheit angestrebten Ziel – einem Krieg gegen Iran – so nahe wie noch nie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Um dieses Szenario abzuwenden, gibt Roberts folgenden taktisch-strategischen Rat:
"Für Russland, China und Iran ist es ganz einfach, eine Ausweitung des israelischen Krieges gegen Palästina zu verhindern. Alles, was sie tun müssen ist, einen gegenseitigen Verteidigungsvertrag zu schließen: Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle."
Leider würde jedoch "proaktives Handeln" nicht zu den Stärken der von Washington als feindlich ausgemachten Staaten zählen. Auch Putin habe viel zu zögerlich auf die spätestens seit 2014 in der Ukraine schwelende Krise reagiert. Eine Militäraktion gegen Kiew etwa zu Zeiten des "Euromaidan" wäre für Moskau "in wenigen Tagen" zu gewinnen gewesen. Weil aber die Ukraine seither vom Westen aufgerüstet wird, dauere der Krieg nicht nur Tage, sondern "seit zwei Jahren an".
Roberts kommt zu einem bitteren Urteil über einen Teil der russischen Führungsschichten:
"Aus meiner Erfahrung mit der liberalen russischen Intelligenz würde ich sagen, dass ihr Programm die Kapitulation vor Washington ist. Sie würden lieber als Gastprofessoren nach Harvard, Yale und Stanford eingeladen werden und als Berater für amerikanische Unternehmen arbeiten, als mit dem Westen in Konflikt zu geraten. Da Putin zu glauben scheint, dass die Duldung von Subversion ein Zeichen von Demokratie ist, könnte er wohl von den erforderlichen Druck-Maßnahmen abgehalten worden sein, um zu beweisen, dass er nicht, wie der gesamte Westen behauptet, ein Diktator sei. Putin hätte viele Leben retten können, wenn er die Propaganda seiner Feinde ignoriert und Russland energischer verteidigt hätte."
Weitere Annäherung zwischen Moskau und Teheran
Allerdings konstatiert Roberts auch ein gewisses Umdenken im Kreml. Unter Berufung auf Berichte in der indischen Presse begrüßt der US-Konservative die Nachricht, wonach "Russland und Iran nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums einen Pakt abschließen" würden. In diesem Abkommen würden "sie ihr Bekenntnis zu den Grundprinzipien der russisch-iranischen Beziehungen, einschließlich der bedingungslosen Achtung der Souveränität und territorialen Integrität des jeweils anderen, bekräftigen".
Dies sei eine gute Nachricht, so Roberts. In Moskau habe man endlich erkannt, dass Iran "wenn er ungeschützt bleibt, verwundbar ist, und wenn Iran fällt, Washington einen direkten Zugang hat, um 'Dschihadisten' in die Russische Föderation und die ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken zu schicken".
Allerdings habe Moskau wieder einen Fehler begangen. Das Abkommen sei angekündigt worden, bevor es in Kraft getreten ist. Gegenwärtig sei jedoch vollkommen unklar, wann "diese Anerkennung der gegenseitigen Assoziierung abgeschlossen sein" werde. Für Roberts ist die Schlussfolgerung klar:
"Die Botschaft an Washington und Israel lautet also, Iran jetzt anzugreifen, bevor das Abkommen in Kraft tritt."
Doch Worte allein würden nicht genügen. Der Westen würde sie nicht ernst nehmen. Was im Westen zähle, seien allein Taten. Und bisher würden Russlands Taten fehlen, so Roberts bitteres Fazit. Allerdings wolle er, Roberts, Putin keine Ratschläge erteilen, wohl wissend, dass ein solches Unterfangen nur "arrogant, egozentrisch und selbst verherrlichend" wirken könne. Ihm ginge es um die gegenwärtige Lage. Roberts weiter:
"Um einen Angriff der USA und Israels auf Iran zu verhindern, muss es ein Bündnis zwischen Russland, China und Iran geben, das wahrscheinlich auch die Türkei einschließen sollte."
Iran brauche moderne russische Luftabwehrsysteme sowie, falls bis jetzt nicht geliefert, "russische Hyperschall-Langstreckenraketen". Die künftige multipolare Welt, von der in Moskau so oft gesprochen werde, könne ohne einen "russisch-chinesisch-iranischen Vertrag über gegenseitige Verteidigung" keine Gestalt annehmen.
Entspannungsbefürworter für neue Militärallianz
Unterstützung erhielt Roberts nun von Gilbert Doctorow, einem US-amerikanischen Russland-Historiker und -Experten, der keineswegs zu den antirussischen Scharfmachern seiner Profession zählt. Doctorow, der von Brüssel aus operiert und häufig in Russland unterwegs ist, hat einige Jahre das "American Committee for US-Russia Accord" in Westeuropa vertreten. Diese im Jahr 2015 von Stephen F. Cohen mit eben jenem Doctorow wiederbelebte Organisation, die bereits während des Kalten Krieges seit den Siebzigerjahren für eine Entspannung zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion eingetreten war, setzt sich auch heute wieder für eine Verbesserung der US-amerikanisch-russischen Beziehungen und eine offene Debatte darüber in den USA ein.
Unter dem Titel "Lädt Putins Anstand zu einem Weltkrieg ein?" plädiert auch Doctorow wie Roberts dafür, in der aktuellen angespannten Situation ein neues Defensivbündnis zu schaffen, damit es nicht zu einem großen Krieg im Nahen und Mittleren Osten kommt. Unter ausdrücklichem Bezug auf den Artikel von Roberts fordert er einen gegenseitigen Verteidigungspakt, und zwar erweitert um Nordkorea. So sollte seiner Meinung nach jetzt ein Militärbündnis zwischen Russland, Iran, Nordkorea und China "hier und jetzt geschlossen werden", "um weitere Aggressionen der USA und des Westens in den verschiedenen globalen Krisenherden zu stoppen", wie Doctorow unterstreicht.
Zwar sei auch Chinas Staatspräsident Xi Jinping ähnlich "zögerlich wie Putin, die USA direkt mit Drohungen zu konfrontieren", aber dies sei "für den Iran und Nordkorea kein Problem, sodass die drei mit der Erklärung 'einer für alle und alle für einen' nicht länger warten sollten."
Die "übermäßige Vorsicht Putins und seines unmittelbaren Umfelds" – "auch und gerade im Außenministerium", wie Doctorow betont – bringe Russlands Sicherheit in Gefahr, werde vom Westen als Schwäche missverstanden und berge die Gefahr eines Weltkrieges.
"Sergei Lawrow mag ein Gelehrter und ein Gentleman sein, aber er ist kein Straßenkämpfer, und das ist die Eigenschaft, die Russland im Moment am meisten braucht."
Einfluss der russischen, prowestlichen, liberalen Intelligenz
In den Augen Doctorows stünde die vom russischen Außenministerium verfolgte Politik exemplarisch für die allzu zögerliche Linie Moskaus gegenüber dem Westen. Nach jeder neuen Demütigung durch die USA und NATO-Staaten folge nur Gejammer. Selbstverständlich gäbe es auch im Kreml Vertreter einer "harten und realistischen Linie gegenüber dem Westen", unter anderem der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew. Allerdings werde der im Westen nicht ernst genommen.
Doctorow schließt sich ausdrücklich dem Konservativen Roberts an, was die Rolle der "liberalen russischen Intelligenz" angeht. Deren Einfluss sei "schädlich". Bis zum Beginn der militärischen Spezialoperation in der Ukraine seien viele russische Liberale im Umfeld des Präsidenten, etwa in der Präsidialverwaltung, tätig gewesen – "bis viele von ihnen ihre Koffer gepackt und das Land verlassen" hätten.
Es sei kein Wunder, dass viele dieser russischen Liberalen im Westen und besonders von den US-amerikanischen Russlandexperten mit "großer Nachsicht behandelt" worden seien. Nicht nur die russlandkritischen oder -feindlichen westlichen Liberalen, sondern auch die russlandfreundlichen Experten wie Stephen F. Cohen hätten sich oft auf die Auskünfte der russischen Liberalen gestützt.
Die Folgen dieses Einflusses der russischen Liberalen – sowohl für die inneren Verhältnisse des heutigen Russland als auch für seine außenpolitische Lage – sollten Doctorow zufolge korrigiert werden. Etwa durch die unverzügliche Bildung eines Defensivbündnisses zwischen Russland, China, Iran und Nordkorea.
Mehr zum Thema – Wie Jemen die Geopolitik im Nahen Osten verändert