Von Andrew Korybko
Das deutsche Boulevardblatt Bild zitierte am vergangenen Sonntag aus angeblich vertraulichen Dokumenten und berichtete, Deutschland bereite sich gemäß einer detaillierten, monatlich vom Bundesministerium der Verteidigung erstellten Prognose auf einen Krieg gegen Russland vor. Diese Prognose überspannt den Zeitraum vom Februar 2024 bis in den Mai 2025. Gemäß der Analyse des Verteidigungsministeriums könnte Russland demnächst Deutschland destabilisieren, die baltischen Staaten sowie den sogenannten Suwalki-Korridor an der Grenze zwischen Litauen und Polen bedrohen, nachdem die Ukraine bis an ihre Westgrenze überrannt wurde und in der Folge eine schwere Sicherheitskrise provozieren würde. Russland wies dieses Szenario als absurd zurück, während Deutschland beteuerte, dass es sich nur um ein Übungsszenario handeln würde.
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser strategischen Überlegungen aus dem deutschen Verteidigungsministerium kam etwas weniger als zwei Monate, nachdem der Oberbefehlshaber für Logistik bei der NATO, der deutsche Generalleutnant Alexander Sollfrank, die Schaffung eines "militärischen Schengen-Raums" vorgeschlagen hatte, um den Transport von militärischer Ausrüstung innerhalb der EU zu "optimieren". Kurz darauf, Mitte Dezember des vergangenen Jahres, unterzeichnete Deutschland eine seit Längerem erwartete Vereinbarung zur Stationierung einer deutschen Panzerbrigade in Litauen, was als erster Schritt in Richtung den genannten Pläne zu betrachten ist, wobei nun unter Tusk Polen von Deutschland ebenfalls in diesen Plan einbezogen wurde.
Polen befindet sich mitten in der schlimmsten politischen Krise seit den 1980er Jahren – infolge eines de facto liberal-globalistischen Aufstands gegen eine konservativ-nationalistische Opposition. Der von Donald Tusk an die Patrioten Polens gerichtete Appell, die Ukraine zu unterstützen, lenkt derweil davon ab und dient auch dazu, dem Vorschlag eines "militärischen Schengens" Vortrieb zu leisten. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wegzulenken von innenpolitischen Angelegenheiten und hin zum Konflikt in der Ukraine, verleiht dem Vorschlag von Generalleutnant Sollfrank ein zusätzliches Gefühl der Dringlichkeit.
Am selben Tag, an dem die Bild-Zeitung über das zuvor erwähnte Szenario berichtete, sagte der Stellvertretende Außenminister Polens, Andrzej Szejna, gegenüber der polnischen Publikation Rzeczpospolita: "Wenn der Krieg jenseits unserer Ostgrenze stattfindet, ist jede Hilfe und Zusammenarbeit unserer Verbündeten äußerst willkommen. Wenn die Deutschen also die Ostflanke der NATO in Polen stärken wollen, wie sie es in Litauen tun werden, so sind sie herzlich willkommen!" Das russische Nachrichtenportal RT stellte fest, dass dies der erste deutsche Militäreinsatz in Polen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sei.
Das "militärische Schengen" könnte dazu führen, dass der polnische Ministerpräsident Donald Tusk sich darauf verlässt, dass die Deutschen bei der Säuberung "politisch unzuverlässiger" Mitglieder der lokalen Polizei, des Geheimdienstes und/oder der Streitkräfte helfen, sollten sich diese der neuen polnischen Solidarność-Bewegung der Opposition anschließen. Der Vorwand für die Forderung nach einer deutschen Intervention könnte sein, dass Russland diese polnische Opposition steuert, so wie es das deutsche Verteidigungsministerium laut der Bild-Zeitung bald auch im Baltikum erwartet. Tatsächlich könnte Donald "Tusks Rückkehr an die Macht in Polen eine gute Nachricht für Russland sein, wenn er Deutschlands Wünschen folgt", also für den Fall, dass Berlin – wie während seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident – weiterhin seine Fäden zieht, um Warschaus Unterstützung für einen Waffenstillstand in der Ukraine und für die Aufhebung einiger Sanktionen gegen Russland als Belohnung. Mit deutschen Truppen an der Grenze zu Russland – nach der Umsetzung des "militärischen Schengens" – könnte Tusk dann die militärischen Aufrüstungspläne seines Vorgängers zurückschrauben und Russland und Deutschland diese europäische Angelegenheit gemeinsam regeln lassen.
Das wäre für Russland im großen strategischen Sinne betrachtet auch viel besser, als wenn die konservativ-nationalistische polnische Opposition an die Macht zurückkehrt, ihre Politik weiter intensivieren und Polen in einen von den USA gesteuerten geopolitischen Keil zwischen Russland und Deutschland verwandeln würde. Gleichzeitig besteht jedoch auch die Gefahr, dass das erneute Durchsetzen von Hegemonie Deutschlands gegenüber Polen – beschleunigt durch das "militärische Schengen" – dazu führen könnte, dass Polen benutzt wird, um Russland in Weißrussland oder Kaliningrad zu bedrohen.
Auch wenn noch unklar ist, in welche Richtung sich die deutsch-russischen Beziehungen entwickeln werden, sollte es nach dem Bericht der Bild-Zeitung und der Ankündigung des Stellvertretenden Außenministers Polens Szejna keinen Zweifel mehr daran geben, dass das "militärische Schengen" wahrscheinlich eine vollendete Tatsache ist, dass es aber das Vorrecht Berlins bleibe, ob man davon Gebrauch machen will oder nicht. Es geht vor allem darum, die Beziehungen zu Russland entweder zu verschärfen oder zu verbessern. Auf jeden Fall zieht Russland wohl einen Tusk in Polen, der Deutschland verpflichtet ist, klar einem von den USA unterstützten konservativen Nationalisten in Warschau vor, da Moskau eine viel bessere Geschichte in der Zusammenarbeit mit Berlin als mit den Regierenden in Washington, D.C. hat.
Weil Moskau das "militärische Schengen" wegen der Erleichterung einer Aggression der NATO gegen Weißrussland, Kaliningrad und das Kernland Russlands ablehnt, aber auch den Bericht der Bild-Zeitung nicht wirklich ernst nimmt, stört man sich im Kreml nicht daran, dass Deutschland versucht, seine Hegemonie über Polen wieder aufzubauen. Es besteht nun die Chance, dass Deutschland Polen dazu bringt, eine Wiederannäherung an Russland zu forcieren, was völlig unmöglich wäre, wenn die russophobe konservativ-nationalistische Opposition Polens an die Macht zurückkehren würde.
Übersetzt aus dem Englischen
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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