Von Timur Fomenko
Die Malediven sind eine Archipel-Nation im Indischen Ozean südlich des indischen Subkontinents. Mit einer Bevölkerung von nur einer halben Million mögen die Inseln belanglos erscheinen, zumal die kleine Republik vornehmlich als Paradies für Südsee-Touristen bekannt ist.
Trotzdem ist diese Inselnation derzeit tatsächlich zur Bühne für einen politischen Brennpunkt zwischen China, Indien und dem Westen geworden, nachdem dort kürzlich als neuer Präsidenten Mohamed Muizzu gewählt wurde, der Indien kritisch gegenübersteht und sich China demonstrativ wohlgesinnt zeigt. Sein Antagonismus gegenüber Indien ist so sehr ausgeprägt, dass Indien nun damit droht, den Tourismus dieses Landes zu boykottieren. Muizzu hatte Anfang Januar China einen Besuch abgestattet – und dabei auch Xi Jinping getroffen –, wo er eine Reihe von Vereinbarungen, insbesondere im Bereich der Entwicklung der Infrastruktur, abgeschlossen hat.
Warum aber sind die Malediven trotz ihrer geographisch abgelegenen Lage und ihrer Winzigkeit so wichtig? Erstens befindet sich der Archipel an einer strategisch kritischen Position im Indischen Ozean und bildet eine Art logistische Kreuzung zwischen dem indischen Subkontinent, der arabischen Halbinsel, dem Roten Meer, Afrika und Australien. Diese einzigartige geographische Lage ist genau der Grund, warum die Inseln einst Teil des britischen Empire wurden, denn wer auch immer den maritimen Zugang zu den Inseln der Malediven hat, kann sowohl kommerziellen als auch den militärischen Einfluss in den Indischen Ozean projizieren und – was noch viel bedeutender ist – auch bis in die Meere vordringen, die westlich und östlich von den Malediven liegen. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die geographische Lage der Malediven auch eine kritische Stellung in Indiens eigener nationaler Sicherheit einnehmen, insbesondere in dessen geopolitischem Ringen mit China.
Indiens Außenpolitik versucht, eine lokalisierte Hegemonie über die Region im "Hinterhof" seiner Nachbarschaft aufrechtzuerhalten, was als "prioritäre Nachbarschaftspolitik" bekannt geworden ist. Damit versucht Indien, Pakistan militärisch einzudämmen, und dominiert so gleichzeitig kleinere Staaten an seiner Peripherie, einschließlich Sri Lanka, Bangladesch, Nepal und Bhutan – und eben auch die Malediven. Eine Herausforderung für Indien ist jedoch, dass alle genannten Nachbarstaaten in der Vergangenheit schon versucht haben, sich der indischen Dominanz zu entziehen, indem sie engere Beziehungen zu China suchten, was zu einem Tauziehen durch Allianzen zwischen den Staaten in Südasien geführt hat, das sich vor allem in den Bereichen Handel, Infrastruktur und Investitionen abspielt.
Dieses Ringen spielt natürlich den Ambitionen einer "indopazifischen Strategie" des Westens in die Hände, aufgrund derer die USA und ihre Verbündeten den Aufstieg Indiens als kommerzielle und militärische Macht fördern, um China in den umliegenden Ozeanen und Meere einzudämmen und eine weitere Verschiebung im globalen Kräfteverhältnis zu verhindern. Dabei sind die Malediven ein wichtiger Faktor in diesem Balanceakt.
Aus diesem Grund hat Indien Bedenken, dass China seine Beziehungen zu südasiatischen Staaten – eingeschlossen seine unglaublich starke militärische und wirtschaftliche Beziehungen zu Pakistan – nutzt, um Indien effektiv einzudämmen. Aus indischer Sicht ist Indien im Norden von China (mit jahrzehntelangen Grenzstreitigkeiten) und Nepal, im Westen von Pakistan, im Osten von Bangladesch und südlich von den Malediven und Sri Lanka im Indischen Ozean eingekreist. Da Indien bei der Offerte von Investitionen für diese Länder finanziell noch nicht mit China konkurrieren kann, wendet es bisweilen Zwangsmaßnahmen an, um Pekings Zusammenarbeit mit diesen Staaten zu blockieren, beispielsweise durch die Verweigerung der Nutzung des eigenen Luftraums beim Anflug auf einem von China gebauten Flughafen in Nepal.
Indien vertritt auf nationaler Ebene die hinduistisch-nationalistische Ideologie Hindutva, die von Kritikern als eine "diskriminierende" Ideologie gegenüber religiösen Minderheiten angesehen wird. Indien zeigt sich auch zunehmend israelfreundlich. Eine solche Politik erregt in den kleineren Staaten der Region, insbesondere in muslimischen Staaten wie den Malediven, eine gegen Indien gerichtete Stimmung, was die Entschlossenheit, mit China zusammenzuarbeiten, nur noch bestärkt. Vermutlich deshalb haben die die Malediven deswegen einen prochinesischen und antiindischen Präsidenten gewählt, der seinen Wahlkampf offen unter dem Motto "Indien raus" führte.
Bedeutet das nun, dass die Inselnation sich auf eine Seite schlagen wird? Nicht unbedingt. Diplomatie handelt nie wirklich genauso, wie es die öffentliche Meinung formuliert, und kleinere Länder versuchen oft, sich zwischen den rivalisierenden großen Mächten – in diesem Fall Indien und China – abzusichern, um daraus größtmöglichen Nutzen zu erzielen. Mit dieser Strategie bewahren sie ihre Autonomie und Unabhängigkeit und erkennen letztendlich, dass ihre geografische Lage sie für die Großmächte wertvoll macht. Dennoch müssen die Malediven als eine kleine Nation an Indiens Peripherie mit möglichen Konsequenzen rechnen, wenn sie Indien gegenüber zu feindlich auftreten. Dennoch ist China als eine starke Rückendeckung für die schlimmsten Konsequenzen attraktiv.
So sehr die Malediven Indien nicht mögen, sie können es sich dennoch nicht leisten, seinen riesigen Nachbarn zu ignorieren oder sich von ihm abzukoppeln, nur um eine Balance stärker zugunsten Chinas zu suchen. Hier geht es vielmehr darum, sich gegen Indiens "Nachbarschaftspolitik" zu behaupten, anstatt sie aktiv zu missachten oder infrage zu stellen. Indien verzeichnet ein rasantes wirtschaftliches Wachstum, aber es wird noch einige Zeit dauern, bis es die wirtschaftlichen, finanziellen und infrastrukturellen Fähigkeiten entwickelt hat, um finanziell mit China konkurrieren zu können und damit die Voraussetzungen für einen langwierigen Wettbewerb um Einfluss und Loyalität in ganz Südasien zu schaffen.
Mehr zum Thema – Präsident der Malediven fordert Abzug des indischen Militärkontingents bis zum 15. März
Übersetzt aus dem Englischen
Timur Fomenko ist ein politischer Analyst.