Der französische Historiker und Anthropologe Emmanuel Todd ist überzeugt, dass die westliche Hegemonie am Ende ist. Als Gast beim französischen Nachrichtensender BFMTV sagte Todd am Donnerstag:
"Sobald die Vereinigten Staaten zustimmen, sich aus ihrem Imperium, aus Eurasien und all diesen Regionen, in denen sie Konflikte austragen, zurückzuziehen... Im Gegensatz zu dem, was wir denken – wir sagen 'was wird aus uns, wenn die USA uns nicht mehr beschützen?' – werden wir in Frieden leben! Das Beste, was Europa passieren kann, ist das Verschwinden der Vereinigten Staaten."
Seine Aussagen zu den USA stammen fast wortwörtlich aus seinem letzten Buch "La Défaite de l'Occident" ("Die Niederlage des Westens"), in dem er feststellt, dass die NATO den Konflikt in der Ukraine bereits verloren hat. Er behauptet in seinem Buch, dass die Niederlage letztendlich zu einer Aussöhnung Russlands mit Europa und einer Wiederannäherung mit Deutschland führen werde. Dies laufe jedoch den Interessen Washingtons zuwider.
In seinem Buch kritisiert Todd "die stumpfe Haltung des Westens gegenüber Russland" und behauptet, dass "die Verhinderung einer Annäherung zwischen Deutschland und Russland eines der Ziele der USA war". Laut Todd hätte diese Annäherung die "Verdrängung der Vereinigten Staaten aus dem europäischen Machtgefüge bedeutet". Weiter resümiert Todd: Die Amerikaner "würden also lieber Europa zerstören, als den Westen zu retten".
Der europäische Einfluss auf die internationale sei gesunken, so Todd. Er werde nicht mehr von der deutsch-französischen Partnerschaft repräsentiert. Zudem sieht der französische Intellektuelle den Niedergang der Vereinigten Staaten als unausweichlich. Die USA seien "im Nihilismus versunken", seien eine "globale Supermacht" im Abstieg und hätten eine "geschwächte Kriegsindustrie".
Dass sich die Europäer im Zuge des Konflikts von Russland distanziert hätten, schade ihren eigenen Handels- und Energieinteressen, so Todd weiter. Dem Historiker zufolge leben wir augenblicklich in einer "putinophoben und russophoben Welt", die vom westlichen Narrativ beherrscht sei.
Todd geht in seinem letzten Buch auch nicht davon aus, dass die kommenden US-Präsidentschaftswahlen etwas an dem Verlauf des aktuellen Konflikts ändern werden. Russland werde seiner Linie treu bleiben, laut Todd. Ein neuer Präsident im Weißen Haus sei für den Kreml nicht von Bedeutung, denn "Russland befindet sich im Krieg mit den USA".
Für sein eigenes Land sieht Todd ebenfalls schwarz. Eigentlich "existiert Frankreich gar nicht mehr, weil es mit den Vereinigten Staaten verbündet ist und von der NATO kontrolliert wird", schreibt der Historiker.
Der Niedergang Europas lasse sich damit erklären, dass die Europäer "das Element des unfreiwilligen Vasallen akzeptieren". Während laut Todd die Transatlantiker sich an die Hegemonie Washingtons klammern und "unter dem politischen Stockholm-Syndrom leiden", sieht der französische Denker einen Frieden, "der in einem vom US-Joch befreiten europäischen Raum widerhallen würde".
Todd ist Autor zahlreicher Bücher. Unter anderem sagte er den Zusammenbruch der Sowjetunion in seinem Buch "La chute finale" von 1976 voraus. Bei seiner These stützte er sich auf verschiedene Faktoren wie zum Beispiel der zunehmenden Kindersterblichkeit.
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