BRICS: Neue Dynamik im neuen Jahr

Die Erweiterung der BRICS stellt die Organisation vor neue Herausforderungen, eröffnet ihr aber auch neue Perspektiven und Ziele. Werden diese Ziele erreicht, könnte sich das ehemals wenig bedeutende Forum zu einer wichtigen Institution der neuen Welt verwandeln.

Von Dmitri Jewstafjew

Der Januar 2024 stand im Zeichen des Übergangs von BRICS – einer Struktur, die ihren Gründern zufolge als Gemeinschaft oder Forum zu bezeichnen ist – in eine gänzlich neue Qualität. Fünf neue Mitgliedsländer – Ägypten, Iran, Äthiopien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien – fügen der Struktur nicht nur geografisch interessantes Territorium, sondern auch neues Wirtschaftspotenzial hinzu. Man kommt nicht um die Erkenntnis umhin, dass die Ergänzung der BRICS um fünf neue und ihrem Entwicklungsstand nach sehr unterschiedliche Mitglieder eine Herausforderung darstellt, zumal nach dem Beitritt Südafrikas als ein wichtiger Handelspartner Chinas zum Forum im Jahr 2010 die Erweiterung der BRICS eingefroren wurde.

Prinzipiell ist dennoch der langfristige geoökonomische Effekt der BRICS-Erweiterung, denn es ist kein Geheimnis, dass sich zum Jahr 2020 die BRICS in einer Art "Entwicklungskrise" befanden. Die Organisation musste ihren Platz in einer neuen, zunehmend postamerikanischen Welt finden. Ihre gegenwärtige und vor allem künftige Erweiterung stellt in gewisser Hinsicht eine Antwort auf die Herausforderungen der geoökonomischen Regionalisierung dar.

Erstens: Ursprünglich wurden die BRICS von Ländern mit schnell wachsenden Wirtschaften gegründet, die an einem Zufluss von Investitionen interessiert waren. Doch sie alle befanden sich innerhalb des dollargestützten Finanz- und Investitionssystems und versuchten, ihre Wirtschaften vor politischen Einschränkungen zu beschützen. Gerade darum ging es auf dem Petersburger internationalen Wirtschaftsforum im Jahr 2006, als die Bildung einer Gemeinschaft angekündigt wurde, die damals noch BRIC hieß. Doch selbst im Fünferformat gab es kaum Chancen, die "Dollar-Schranken" zu überwinden: Ein bedeutender Teil von Exportgütern der Teilnehmerländer wird in Dollar gehandelt, die USA oder ihre Satelliten, wie die EU, bleiben die größten Handels- und Investitionspartner der Teilnehmerländer.

Doch nun hat die Entdollarisierung sowohl des Handels unter den BRICS-Mitgliedern als auch des Welthandels trotz des Widerstands der USA ein neues Niveau erreicht.

Eine Erweiterung der BRICS kann diesen Prozessen durchaus eine neue Dynamik verleihen, denn für eine gegenseitige Entdollarisierung des Zahlverkehrs, wie sie etwa in Beziehungen zwischen Russland und Iran bereits stattgefunden hat, gibt es inzwischen einen eigenen Raum.

Zweitens: Alle fünf neuen Mitgliedsstaaten, Ägypten eingeschlossen, sind geografisch entlang dem Logistikkorridor Nord-Süd gelegen, der eine globale Bedeutung hat.

Dies ist kein Zufall. Obwohl eine neue Erweiterungswelle der Allianz bevorsteht, rückt ausgerechnet der Wirtschaftsraum des Nord-Süd-Korridors neu in den Fokus des wirtschaftlichen Wachstums. Und gerade dort entwickelt sich auf der Ebene der nationalen Eliten am schnellsten das Bedürfnis nach einer geoökonomischen Zusammenarbeit auf Grundlage der Souveränität.

Neue Erweiterungswellen werden den gegenwärtigen Hauptvektor der Entwicklung der Gemeinschaft ändern. Interesse an einem BRICS-Beitritt bekundeten inzwischen unter anderem Venezuela, Bangladesch, Algerien, Pakistan und Weißrussland. Doch bis dahin wird wohl die Erschließung des Raums von der Wolga bis zum Horn von Afrika und weiter in Richtung Indien und Südafrika Priorität genießen und zugegebenermaßen einen Wettbewerbsvorteil darstellen, zumal Projekte entlang der West-Ost-Achse, vor allem die Neue Seidenstraße, sich sowohl im europäischen als auch im Mittelmeerraum noch lange in einer Zone der Instabilität befinden werden. Und es ist durchaus vernünftig, wenn Russland, Iran und die Golfstaaten eine Zeit lang China geoökonomisch den Rücken stärken.

Der dritte Umstand, der noch nicht in vollem Umfang gewürdigt wurde: Die BRICS-Erweiterung fiel situativ zweifellos mit einer Eskalation der militärpolitischen Lage in den Schlüsselstaaten der Welt vom östlichen Mittelmeer bis Ostasien zusammen. Eine solche Situation, in der selbst beschränkte militärische Risiken die Entwicklung der Schlüsselregionen der Welt, insbesondere im Roten Meer, empfindlich treffen, kann zusammen mit einer BRICS-Erweiterung durchaus dazu führen, dass die Idee einer konsequenten Ablehnung von Koordination im politischen Bereich aufgeweicht wird. Freilich reifte innerhalb der Organisation ohnehin die Erkenntnis, dass es in der entstehenden politzentrischen Welt keine "reine Wirtschaft" gibt, allein aufgrund der Tatsache, dass heute die Werte der nationalen Souveränität gänzlich neu betrachtet werden.

Auch wenn die jetzige Erweiterungswelle die erste wirkliche Erweiterung der Gemeinschaft darstellt, wird dies kaum einen sofortigen Effekt haben. Doch lassen wir nicht außer Acht, dass sich heute alle Schlüsselprozesse sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft beschleunigt haben. Und die Hauptsache ist, dass in der Weltwirtschaft trotz Sanktionen und politischen Drucks ein viel größerer Raum für Entwicklung entsteht.

Es entsteht die Möglichkeit, eine gänzlich neue geoökonomische Konfiguration zu erschaffen. Washington, das sich in der wirtschaftlichen Konfrontation mit China und im geopolitischen Kampf mit Russland verheddert hat, scheint sie übersehen zu haben.

Sobald die USA wieder zu Sinnen kommen, werden sie mit Sicherheit durch Sanktionen, Druck und Ausnutzung der inneren Widersprüche den BRICS schaden, doch werden sie ihnen kaum etwas Konstruktives entgegensetzen können. Zu sehr entspricht die Entwicklung der BRICS den Haupttendenzen der heutigen Welt, um sie durch politische Manipulationen zu neutralisieren.

Dennoch sollte man sich nicht in Bürokratie und Widersprüchen verstricken, sondern ständig das große Bild der Welt im Wandel berücksichtigen, dessen Perspektiven heute stärker als die Risiken sind.

Prioritäten der Entwicklung der BRICS liegen auf der Hand: weitere Entdollarisierung des gegenseitigen Zahlungsverkehrs, Schaffung eines Systems von dollarfreien Investitionen und Krediten, was angesichts der Verwandlung des US-Dollars in eine politische Waffe äußerst wichtig ist. Das ist eine durchaus umfassende Agenda, die die natürlichen Entwicklungstendenzen der Weltwirtschaft reflektiert. Der Erfolg ihrer Umsetzung wird bestimmen, wie weitreichend und geoökonomisch bedeutsam die nächste – bereits die zweite – Erweiterungswelle der BRICS sein wird. Unter gewissen Umständen könnte sie das Forum, dass vor Kurzem nur noch eine Abbreviatur war, ins wichtigste geoökonomische Institut der heutigen Welt verwandeln.

Übersetzt aus dem Russischen.

Dmitri Jewstafjew ist ein russischer Politologe (Amerikanist). Er ist spezialisiert auf militärpolitische Fragen der nationalen Sicherheit Russlands, der Außen- und der Militärpolitik der USA und der regionalen Probleme der Kernwaffen-Nichtverbreitung und Ko-Autor wissenschaftlicher Monografien und zahlreicher Artikel.

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