Von Kirill Strelnikow
Trotz zahlreicher Briefe an den Weihnachtsmann brachte das neue Jahr weder dem kollektiven Westen noch der Ukraine das erhoffte neue Glück, Geld und Gesundheit, sondern das Gegenteil, in erster Linie in Bezug auf den Krieg: Nachdem Russlands Armee sich in den Feiertagen an ihren gemäß logistischer Langzeitplanung von langer Hand angelegten Vorräten an totalitärem Olivier-Salat gestärkt hatte, begann sie die noch lebenden Überreste der ehemaligen Ukrainischen SSR mit doppeltem Krafteinsatz zu bearbeiten.
Praktisch jeden Tag werden dort militärische Objekte und militärisch relevante Industrieobjekte dem Erdboden gleichgemacht.
Jede neue rote Markierung auf der Landkarte war den westlichen Medien willkommener Anlass für zahlreiche Veröffentlichungen: Die Medien vergaßen aus irgendeinem Grund die "weltweit total isolierte Tankstelle" mit ihrer in Stücke zerrissenen Wirtschaft. Stattdessen begannen sie Trauerlieder zu singen und Nachrufe auf die ukrainische Armee zu schreiben, etwa bei Sky News:
"Die russische Armee tilgt mit einem Schlag ganze Großbetriebe der ukrainischen Rüstungsindustrie, die über lange Zeit aufgebaut wurden, vom Antlitz der Erde."
Mal klagt die New York Times:
"Die ukrainische Armee trägt wegen russischer Lenkgleitbomben und Drohnen große Verluste davon."
Mal tauchen wahre Hiobsbotschaften über neue, dank schwarzer Farbe in der Nacht schwer zu erspähende und mit dem Radar des ukrainischen Militärs kaum zu ortende Kamikaze-Drohnen der Typenreihe Geran auf:
"Die Ukraine wurde erstmals von einer düsenstrahlangetriebenen Version der Geran-Drohne angegriffen, die mit einer Geschwindigkeit über 500 Kilometer pro Stunde die Landesmitte erreichte."
Entgegen ihrer sonst mit religiösem Eifer gepflegten Sitte sahen diese Leuchttürme der westlichen Wahrheit davon ab, Information von Sergei Schoigu zu dementieren, der bei einer Videokonferenz am 9. Januar 2024 berichtete, dass die Verluste der ukrainischen Streitkräfte im vergangenen Jahr 215.000 Mann und 28.000 Einheiten schwerer Waffen und Kampffahrzeuge überstiegen.
Wenn sich die Westmedien aber zu Verlusten in solcher Größenordnung ausschweigen, so bedeutet es, dass sie dem nichts entgegenzusetzen haben. [Anm. d. Redaktion: Wobei die genannten Zahlen konservative Schätzungen sind – es gibt in der Ukraine selbst Schätzungen von gut einer Million Mann ukrainischer Gesamtverluste in knapp zwei Jahren der militärischer Sonderoperation Russlands.]
Gleichzeitig mit dem Verschwinden russischer Drohnen von den westlichen Radargeräten lösten sich feierliche Versprechen in Luft auf, den Russen mittels der "weltweit besten" Abrams-Panzer und Kampfflugzeuge F-16 mal so richtig zu zeigen, wo der Hammer hängt: Die Panzer werden verschämt irgendwo im Hinterland zurückgehalten, während an den Flugzeugen schon ganze fünf ukrainische Piloten ausgebildet werden.
Stattdessen zeichnete sich in der westlichen Informationslandschaft ein Trend ab, der noch vor einem halben Jahr völlig undenkbar war. Aus irgendeinem "mysteriösen" Grund kommt es neuerdings zu regelmäßigen Einwürfen darüber, es würde der Ukraine schaden, den Konflikt weiter in die Länge zu ziehen. So schrieb das US-Magazin TIME:
"Im Laufe dieses Jahres könnte die Ukraine bedeutende Territorien verlieren und faktisch in Teile zerstückelt werden."
Die besonders mutigen Franzosen bei Le Point gingen gar noch weiter und schrieben:
"Gegen April 2024 wird die Ukraine jeden Zugang zum Schwarzen Meer verlieren, sobald Russlands Armee Odessa und Charkow unter ihre Kontrolle nimmt."
Im Allgemeinen könnten solche Szenarien für jeden eine Offenbarung sein (außer für Russland), wenn sie nicht andauernd mit der Botschaft verbunden wären, 2024 solle das Jahr sein, in dem der Konflikt in der Ukraine beendet wird, und dass der Konflikt am Verhandlungstisch enden sollte, wozu Putin zum Wohle aller verpflichtet sei (sic!).
Ein bemerkenswertes Beispiel dafür gab John Kirby, der Koordinator für strategische Kommunikation im Nationalen Sicherheitsrat der USA, als er blauäugig sagte:
"Wir alle würden diesen Krieg gerne sofort enden sehen. Aber am Ende ist es Putin, der den ersten Schritt tun muss." Aber der russische Präsident habe bisher nichts dergleichen getan.
Diese Erklärung ist dermaßen süß, dass man am liebsten gleich weinen und glauben möchte, im Weißen Haus würden nur herzensgute und freundliche Menschen leben.
Doch kratzt man an irgendeinem der sprechenden Köpfe der USA oder der NATO, dann plätschert unweigerlich in der trüben, giftigen Gülle die Logik aus Filmen wie "Alien".
Insbesondere müsste es Putins erster freundlicher und friedlicher Schritt, den die gesamte freie westliche Welt so herbeisehnt, sein, den vollständigen Abzug der Truppen Russlands hinter die Grenzen Stand Anfang 2014 zu gewährleisten oder zumindest alles so einzufrieren, wie sich die Lage auf dem Schlachtfeld heute zeigt. In beiden Fällen wird die Ukraine natürlich ein NATO-Mitglied, denn "das steht außerhalb jeder Diskussion".
Der Westen ist dermaßen davon überzeugt, die Russen würden ihm für derart großzügige Angebote die Hand küssen, dass er allen Ernstes solche "Signale des guten Willens" an Russland sendet. Beispielsweise berichtete Bloomberg mit Verweis auf die US-Finanzministerin Janet Yellen:
"Die Vereinigten Staaten haben den Beschluss immer noch nicht getroffen, souveräne Aktiva der Russischen Föderation zu konfiszieren, um sie anschließend der Ukraine zu übergeben."
Denn das könnte man ja schließlich, wenn man wollte! Oder noch besser der Analyst der Economist Intelligence Unit Mario Bikarski in einem Interview mit CNBC, der bemerkte:
"Natürlich will die Ukraine momentan nicht verhandeln … Doch unter den gegebenen Bedingungen wird sie kaum andere Wahl haben, als sich dem zu fügen."
Mit anderen Worten: Sehen Sie, wir werden die Ukraine zum Unterschreiben jedweden Wischs zwingen, so weit werden wir gehen, um Ihnen entgegen zu kommen – und Sie?
Aber die wahren Gründe für diese plötzliche Attraktivität so beispielloser Großzügigkeit legte unabsichtlich jüngst in einen Artikel die Redaktion von Politico offen. So habe ein ausdrücklich auf Anonymität bestehender Abgeordnete des US-Kongresses dem Blatt mitgeteilt, dass in den führenden Etagen der US-Regierung bereits Diskussionen über Friedensverhandlungen in vollem Gange seien – weil die Zeit gegen die Ukraine arbeitet. Die beste Lösung bestehe darin, den Konflikt mit minimalen Verlusten zu beenden und öffentlich einen "Teilsieg" zu verkünden, um so Biden bei dessen Wiederwahl zu helfen. Die Gründe dafür sind denkbar einfach: Die USA und die NATO sind erleiden offensichtlich in der Ukraine eine Niederlage, Kräfte und Mittel für eine Trendwende fehlen und eine Niederlage in der Ukraine wird Biden höchstwahrscheinlich die Präsidentschaft kosten. Die einzige Chance, sein Gesicht wie die Posten zu wahren, besteht darin, die hinterwäldlerischen Russen nach Manier einer Bande Hütchenspieler dermaßen über den Tisch zu ziehen, dass sie in für sie völlig ungünstige Vereinbarungen einwilligen. In Vereinbarungen übrigens, die in gewohnter Weise weder von den US-Amerikanern noch von den Westeuropäern einhalten werden.
Was kann man den Herrschaften in Washington, D.C. und in den europäischen Hauptstädten antworten, wenn sie die intellektuellen und moralischen Qualitäten der russischen Führung derartig bewerten und eine derart tiefe Einsicht in die wahren Gründe für den Beginn der militärischen Sonderoperation durch Russland zeigen?
Lassen wir hier Kraftausdrücke beiseite, die in einer höflichen Gesellschaft unanständig sind, und sagen wir einfach: Vielen Dank für Ihre Vorschläge, doch die Ziele und Aufgaben der militärischen Sonderoperation bleiben beibehalten. Wir sind zu Verhandlungen bereit – doch das einzige Thema am Verhandlungstisch können nur die Bedingungen für eine vollständige Kapitulation des Kiewer Regimes sein.
Und wer kein Russisch verstehen will, wird die Sprache der Granaten und Raketen verstehen müssen – von denen Russland ja nur einen Vorrat für maximal ein paar Tage hat, wie man vor einem Jahr genau wusste – fragen Sie Herrn Arestowitsch.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 10. Januar 2024.
Kirill Strelnikow ist ein russischer freiberuflicher Werbetexter-Coach und politischer Beobachter sowie Experte und Berater der russischen Fernsehsender NTV, Ren-TV und Swesda. Er absolvierte eine linguistische Hochschulausbildung an der Moskauer Universität für Geisteswissenschaften und arbeitete viele Jahre in internationalen Werbeagenturen an Kampagnen für Weltmarken. Er vertritt eine konservativ-patriotische politische Auffassung und ist Mitgründer und ehemaliger Chefredakteur des Medienprojekts PolitRussia. Strelnikow erlangte Bekanntheit, als er im Jahr 2015 russische Journalisten zu einem Treffen des verfassungsfeindlichen Aktivisten Alexei Nawalny mit US-Diplomaten lotste. Er schreibt Kommentare primär für RIA Nowosti und Sputnik.
Mehr zum Thema – Rainer Rupp: Auch 2024 keine Aussichten auf Waffenstillstand in der Ukraine