Polnische Beamte hätten Beweise zurückgehalten und versucht, eine internationale Untersuchung des Bombenanschlags auf die Nord-Stream-Gaspipelines zu verzögern, was die Ermittler "misstrauisch gegenüber Warschaus Rolle und Motiven" machte, berichtete Bojan Pancevski, Deutschland-Korrespondent beim Wall Street Journal (WSJ), am Montag.
Drei der vier Stränge der Gasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2, die Russland über die Ostsee mit Deutschland verbunden haben, wurden im September 2022 durch eine Reihe von Explosionen in der Nähe der dänischen Insel Bornholm zerstört. Zur Täterschaft gibt es unterschiedliche Hypothesen. Ermittler im Westen gehen aktuell davon aus, dass ein ukrainisches Team in Deutschland eine Jacht unter Vermittlung einer polnischen Firma gemietet hat, mit der sie Sprengstoff zu den Explosionsorten transportierten.
Als die Ermittler dazu in Polen ermitteln wollten, wurden sie von polnischen Regierungsvertretern und Strafverfolgungsbehörden behindert, berichtet WSJ unter Berufung auf Quellen innerhalb der Fahnder.
Die polnischen Behörden hätten die Aussagen von Augenzeugen, die die sechsköpfige Besatzung der Jacht im polnischen Hafen Kolberg angetroffen hätten, erst auf Drängen der deutschen Polizei herausgegeben, so die Quellen. Videoaufnahmen aus dem Hafen wurden zurückgehalten, und die polnische Agentur für innere Sicherheit (ABW) "beantwortete keine Fragen, verschleierte oder gab widersprüchliche Informationen", so die Zeitung.
Die polnischen Staatsanwälte hätten den Ermittlern falsche Informationen übermittelt und sie bewusst getäuscht, indem sie versicherten, dass sie keine Spuren von Sprengstoff auf der Jacht gefunden hätten. Dabei haben polnische Behördenvertreter die Jacht nie betreten und nie überprüft, so die Ermittler. Medienberichten zufolge wurden bei den Ermittlungen später doch Sprengstoffreste auf dem Schiff gefunden.
Die Staatsanwälte sagten den europäischen Ermittlern, das Boot sei am 19. September um 16 Uhr in Kolberg angekommen, obwohl es in Wirklichkeit sieben Stunden zuvor angelegt hatte. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen teilte die ABW ihren Schwesterbehörden in Europa mit, dass die Jacht "Verbindungen zur russischen Spionage" habe, berichtete die Zeitung und fügte hinzu, dass die Ermittler dies als "Desinformation" betrachteten.
Nach allen verfügbaren Informationen vermuten keine westlichen Regierungen oder Geheimdienste, dass Russland hinter den Bombenanschlägen steckt. Der Gasverkauf nach Europa über die Nord-Stream-Leitungen war eine lukrative Einnahmequelle für Moskau und galt als mächtiges Druckmittel für den Kreml.
Polens Bemühungen, die Ermittler zu behindern, haben sie "zunehmend misstrauisch gegenüber Warschaus Rolle und Motiven" gemacht, so der WSJ-Journalist. Alle angeblichen Irreführungen und Verschleierungen fanden jedoch unter Polens vorheriger Regierung statt und ungenannte "hochrangige europäische Beamte" sagten der Zeitung, dass sie erwögen, Polens neuen Premierminister Donald Tusk zu kontaktieren. Sie hofften, dass er ihnen Zugang zu Polizei- und Sicherheitspersonal gewähre, das zuvor unter Druck gesetzt worden sei, zu schweigen.
Nach einer alternativen Theorie des amerikanischen Journalisten Seymour Hersh war die CIA für die Nord Stream-Sprengungen verantwortlich. Unter Berufung auf Quellen innerhalb der Geheimdienste behauptete Hersh, dass CIA-Taucher, die mit der norwegischen Marine zusammenarbeiteten, im vergangenen Sommer unter dem Deckmantel einer NATO-Übung in der Region ferngezündete Bomben an den Leitungen angebracht hätten.
Untermauert wurde diese Theorie durch einen Tweet des ehemaligen polnischen Außenministers Radosław Sikorski, der wenige Stunden nach den Explosionen ein Bild eines riesigen Gaslecks am Explosionsort mit der Bildunterschrift "Danke, USA" veröffentlichte.
Der russische Präsident Wladimir Putin unterstützt diese Erklärung und erklärte im vergangenen Monat, dass die Sabotageaktion "höchstwahrscheinlich von den Amerikanern oder jemandem auf deren Anweisung durchgeführt wurde".
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