Von Timur Fomenko
Nachdem wir nun auf das Jahr 2023 zurückblicken, blicken wir auch auf weitere zwölf Monate globaler Turbulenzen, Unruhen und Unsicherheit zurück. Konflikte wie der Krieg in der Ukraine fanden kein Ende, während im Nahen Osten ein weiterer umfassender Krieg zwischen Israel und der Hamas in Gaza ausbrach. Auch wenn sich die Spannungen zwischen China und dem Westen nach Erreichen eines Siedepunkts etwas abgekühlt haben, verharren sie immer noch im gleichen geopolitischen Rahmen und könnten in jedem unvorhersehbaren Moment unerwartet explodieren.
Angesichts dessen war das vergangene Jahr zweifellos eine der schlimmsten Perioden globaler Unruhen seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg – und die historischen Parallelen sind unheimlich. Während eine unipolare politische Ordnung zerfällt und neue Machtzentren entstehen, gerät die Welt in ein Dilemma voller explosiver regionaler Konflikte, ausgedehnter Machtkämpfe, einem erneuten Wettrüsten und des Missbrauchs des Welthandels als Waffe. Somit wurde im Jahr 2023 eine neue und unsicherere Ära eingeläutet.
Der Niedergang der Unipolarität
Eine unipolare politische Ordnung ist ein System, in dem eine Macht die ausschließliche Dominanz oder Hegemonie über alle anderen hat und daher die Regeln und Ergebnisse des Systems frei nach den eigenen Zielen und Interessen gestalten kann. Als die Vereinigten Staaten im Kalten Krieg die Sowjetunion "besiegten", wurden sie zum unangefochtenen globalen Hegemon und nutzten diesen Status, um die ganze Welt mit ihrem kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und militärischen Einfluss zu durchdringen und zu dem zu formen, was sie als "neues amerikanisches Jahrhundert" bezeichneten. Und zu diesem Zweck wagten sich die USA überall auf der Welt in hemmungslose militärische Abenteuer.
In ähnlicher Weise war eine frühere unipolare Ordnung als "Pax Britannica" bekannt. Nach der Niederlage Napoleons, als einzigem Herausforderer Britanniens, führte es dazu, dass das britische Empire, zusammen mit Frankreich als Juniorpartner, zum globalen Hegemon wurde. Allerdings hielten die "Höhepunkte" dieser unipolaren Epochen in beiden Fällen nur wenige Jahrzehnte an, bis dann neue Herausforderer die Weltbühne betraten, und die Welt in ein multipolares System verwandelten, in dem mehrere Großmächte um Einfluss konkurrierten, was oft destruktive Folgen hatte. Die Vorherrschaft des britischen Empire wurde durch den Aufstieg Deutschlands, Japans und Italiens infrage gestellt. Drei neue Reiche, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, was anschließend den Weg für die Ereignisse des Ersten und Zweiten Weltkriegs ebnete.
Die neue, gefährliche Ära
In gleicher Weise begann die von den USA geführte Unipolarität in den 2010er-Jahren zu schwinden, nach dem Wiederaufleben Russlands und dem Aufstieg Chinas. Die Jahre zwischen 2018 und 2023 waren außerordentlich folgenreich und eröffneten eine neue Periode geopolitischer Unruhen und Machtkämpfe, da die USA ihre Außenpolitik darauf ausrichteten, sowohl China als auch Russland zu konfrontieren, um diese Länder in ihren Interessen einzudämmen und um die eigene Dominanz über den gesamten Planeten aufrechtzuerhalten. Natürlich geht keine Hegemonie kampflos unter. Genau deswegen kämpfte Großbritannien in beiden Weltkriegen mit, war jedoch anschließend so erschöpft, dass es sich gezwungen sah, den Stab an die USA weiterzugeben. Und auch in der heutigen Zeit werden die USA nicht kampflos untergehen.
Und deshalb bleibt das Jahr 2023 in dieser Hinsicht von enormer Bedeutung. Erstens wurde der Krieg in der Ukraine uneingeschränkt fortgesetzt, wobei die USA darauf abzielen, in den strategischen Vorhof Russlands einzudringen und Moskau durch eine Eindämmung durch die NATO eine strategische Niederlage aufzuzwingen. Doch während Russland im Jahr 2022 Rückschläge hinnehmen musste, konnte die Ukraine im vergangenen Jahr trotz des immensen Medienrummels keine wesentlichen Erfolge erzielen. Nun beginnt der Krieg sich gegen Kiew zu wenden, da der Westen den politischen Willen verliert, die Ukraine in einem nicht zu gewinnenden Konflikt weiterhin zu unterstützen. Dies wird letztlich die künftige Sicherheitsarchitektur Europas prägen. Russland wird daher versuchen, dem rechtsextremen Marionettenstaat in Kiew nichts Geringeres als eine völlige Niederlage aufzuzwingen.
Aber darüber hinaus ist das Schicksal des Nahen Ostens für dieses Jahr und schließlich auch für die Zukunft von größerer Bedeutung. Im vergangenen Oktober brach ein Krieg aus, nachdem die Hamas sich gezwungen gesehen hatte, von Gaza aus einen umfassenden Angriff auf Israel zu lancieren. Der Krieg wurde durch die Akzeptanz der israelischen Apartheid-Politik durch die USA, durch das Abraham-Abkommen sowie durch die entstehende Multipolarität ausgelöst. Dies verschaffte der Hamas mehr politischen Raum zum Widerstand. Israel reagierte mit einer überwältigenden brutalen Bombardierung des Gazastreifens und der Invasion der Enklave, was weltweit scharfe Verurteilungen hervorrief. Das Ziel Israels ist die militärische Besetzung des Streifens. Dies ist eine Entscheidung, die alle Beziehungen der muslimischen Welt zum zionistischen Staat an jenen Punkt bringen werden, an dem es kein Zurück mehr gibt. Und das wird Konsequenzen für die gesamte Region haben, was sich wiederum auf das Engagement des Westens im Globalen Süden auswirken wird, im dortigen Machtkampf mit Russland und China. Schlussendlich ist der Krieg in Gaza auch ein deutliches Scheitern der knallharten US-Politik gegenüber Iran und der erfolglosen Versuche, den Einfluss von Teheran mit Gewalt einzudämmen.
Obwohl Iran kein Anwärter auf Hegemonie ist, ist das Land dennoch ein kraftvoller regionaler Gegner für Washington, der über eine beträchtliche Macht, eine wachsende Bevölkerung, sowie über zunehmende militärische Fähigkeiten verfügt und darum kämpft, den Einfluss der USA – und jenen Israels – aus dem Nahen Osten zu verdrängen. In diesem Sinne ist Washingtons Entscheidung, Israel freie Hand bei der Zerstörung des Gazastreifens zu geben, in mehreren Bereichen ein strategischer Fehler. Die USA werden sich auf ein neues Kapitel des gewaltsamen Kampfes im gesamten Nahen Osten einlassen müssen, um ihre Position zu halten, ob sie wollen oder nicht.
Dann bleibt natürlich noch die oberste Priorität der US-amerikanischen Außenpolitik, der schwelende Konflikt mit China. Washington versucht, den Aufstieg Pekings zur militärischen und technologischen Supermacht einzudämmen und es in der Region, die Indopazifik genannt wird, militärisch einzukreisen. Auch wenn sich beide Seiten derzeit nach dem Treffen von Xi Jinping und Joe Biden in San Francisco einer Entspannung hingeben und die Taiwan-Frage im Jahr 2023 ebenfalls weniger kritisch war als erwartet, bleiben die Beziehung zwischen den USA und China dennoch der allgemeine Treiber des strategischen Umfelds, in dem wir heute leben. Und es ist kaum zu erwarten, dass die USA nachgeben werden. Peking ist geduldig und spielt das Spiel lieber auf lange Sicht, aber es stellt sich durchaus der Herausforderung, die es jedem Akteur ermöglicht, seine Position zu behaupten und so die internationale Ordnung weiter umzubauen.
Somit war 2023 ein geopolitisch spaltendes Jahr, das sicherlich in die Geschichtsbücher eingehen wird, insbesondere in Bezug auf den Nahen Osten und das 2024 als ein weiteres entscheidendes Jahr einläuten wird, das den Ausgang vieler dieser Konflikte bestimmen könnte. Die alte Welt, die komfortable Welt der US-amerikanischen Privilegien, löst sich auf, und möglicherweise stehen wir jetzt vor der Rückkehr zu einer Welt, von der wir gehofft hatten, sie sei auf die Erfahrungen unserer Vorfahren beschränkt. Aber es soll auch schon jemand behauptet haben, dass die Geschichte mit dem Fall des Eisernen Vorhangs zu Ende gegangen sei.
Aus dem Englischen.
Timur Fomenko ist ein politischer Analyst.
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