Von Timur Fomenko
Der chinesische Staatschef Xi Jinping hat Vietnam kürzlich einen offiziellen Staatsbesuch abgestattet, wo er sich mit den Führern der regierenden Kommunistischen Partei traf. Xi lobte die Beziehungen zwischen beiden Ländern und versprach, diese Beziehungen auf die nächste Stufe zu heben, während gleichzeitig zahlreiche wirtschaftliche Abkommen unterzeichnet wurden. Ein solcher Schritt erscheint naheliegend, da die beiden Länder nicht nur direkte Nachbarn sind, sondern auch dieselbe politische Ideologie teilen. Ihre Beziehung ist jedoch etwas komplizierter.
Drei Monate zuvor hatte ausgerechnet US-Präsident Joe Biden Vietnam einen Besuch abgestattet. Dort gelang es ihm, die Beziehungen der USA zu dem südostasiatischen Land auf die Ebene einer strategischen Partnerschaft zu bringen. Anschließend, vor wenigen Wochen, tat Japan genau dasselbe. Aus diesem Blickwinkel betrachtet wirken die Annäherungsversuche von Xi Jinping an Hanoi nicht gerade kraftvoll, sondern wirken vielmehr wie ein weiterer Versuch einer Großmacht, die Herzen und das Wohlwollen der Menschen in Vietnam zu gewinnen, einer Nation von geopolitischer Bedeutung, die entscheidend ist, beim Machtkampf im asiatisch-pazifischen Raum.
Obwohl Vietnam ein kommunistischer Staat ist, bedeutet dies nicht, dass die Beziehungen zu Peking grundsätzlich freundschaftlich sind. Natürlich ist das Land gegenüber China nicht offen feindselig eingestellt, jedoch ist die grundlegende Meinung im Land gegenüber China von Misstrauen geprägt. Dies geht zum größten Teil auf die vietnamesische Geschichte zurück, die von einem Kampf um die Wahrung der Unabhängigkeit von den chinesischen Kaiserdynastien geprägt ist.
Wie viele andere asiatische Nationen, Vietnam hat viel kulturelles, philosophisches und technologisches Kapital aus China bezogen, doch seine nationale Identität basierte immer darauf, dass es sich von China unterscheidet und nicht politisch von China dominiert werden will. Politische Ideologie ist hier somit nicht relevant. Vietnam hingegen ist sich bewusst, dass China sein wichtigster Wirtschaftspartner ist – strebt andererseits aber auch danach, eine "chinesische Hegemonie" zu vermeiden. Das ist nicht nur historisch bedingt, sondern geht auch auf die neuere Geschichte zurück. Im Jahr 1978 marschierte China in Vietnam ein, um das Bündnis des Landes mit der Sowjetunion zu brechen und seine Vorherrschaft über das Land zu behaupten.
Darüber hinaus haben die beiden Länder auch konkurrierende Ansprüche im Südchinesischen Meer, einer umkämpften Wasserstraße mit wichtigen Schifffahrtsrouten und Ressourcen. Hanois Überlegungen führen zu einer Außenpolitik der Blockfreiheit, die darauf ausgerichtet ist, mehrere ausländische Mächte zu umwerben, darunter die USA, um die eigenen strategischen Vorteile zu maximieren. Aber wie, so könnte man sich fragen, kann Vietnam angesichts der Geschichte zwischen beiden Ländern die USA umwerben? Kann Hanoi Washington vertrauen? Vietnam scheint von seinen Beziehungen zu den USA überzeugt zu sein, trotz des Ausmaßes der während des Vietnamkriegs begangenen Gräueltaten, weil Hanoi diesen Konflikt zu seinen eigenen Bedingungen gewann und das Land wieder vereinen konnte.
Vor diesem Hintergrund kehrt Washington nun an den Verhandlungstisch zurück, weil es Vietnam als Partner betrachtet, der versucht, China einzudämmen. Sicher, Hanoi hat ideologische und politische Gründe, misstrauisch gegenüber Peking zu sein, aber das Weiße Haus wird niemals ein "Verbündeter" werden. Was die USA jedoch bieten, ist eine Chance, Vietnams eigene wirtschaftliche Entwicklung zu beschleunigen und auch seinen militärischen Einfluss in der oben genannten Unstimmigkeit mit China zu erhöhen. Natürlich beobachtet Peking diese Entwicklung sehr genau, und das Ergebnis daraus ist ein Kampf um die Loyalität Hanois. Das bedeutet jedoch, dass China zunehmend mehr bieten muss, um "mit am Tisch zu sitzen" und mit den anderen Mächten zu konkurrieren – und es muss akzeptieren, dass Vietnam die Bedingungen für ein Engagement festlegt und somit zum "Königsmacher" wird.
Aus chinesischer Sicht ist Vietnam in der Tat ein wichtiger Aspekt der globalen Handels- und Lieferkette, da das Land eine Tarnkappe darstellt, um das Label "Made in China" zu verbergen und verschiedene von den USA auferlegte Handelsbeschränkungen und Zölle zu umgehen. Viele chinesische Unternehmen investieren genau aus diesem Grund in Vietnam, weshalb der chinesische Handel mit Ländern der ASEAN insgesamt stark zugenommen hat, um den zunehmend wegfallenden Handel mit den USA zu kompensieren.
Chinesische Unternehmen produzieren wichtige Teile und Komponenten, versenden sie an ihre eigenen Fabriken in Vietnam, wo die Montage durchgeführt wird, worauf das Produkt anschließend in die USA geht. Dadurch entsteht der Eindruck, dass "Made in China" zunehmend verschwindet, ermöglicht jedoch die Fortsetzung eines indirekten chinesischen Handels mit den USA. Dadurch beschleunigt sich die Integration der vietnamesischen und chinesischen Wirtschaft. Dies reicht zur Genüge, um den Frieden zwischen den beiden Ländern zu wahren.
Angesichts der militärischen Umzingelung durch die USA befindet sich China derzeit nicht in einer strategischen Position, um eine Konfrontation mit Vietnam einzugehen, weshalb Xi im Namen der Diplomatie beschlossen hat, alles auf eine Karte zu setzen. Vietnam als neutralen und nicht feindseligen Nachbarn zu halten, ist daher eine zentrale Priorität für Peking, insbesondere angesichts der grundlegenden außenpolitischen Doktrin der USA, als Mittel zur Eindämmung eine Spaltung zwischen China und seinen Nachbarn herbeizuführen. Vietnam hingegen will einfach das Beste aus allen Welten – und das wird es vorerst auch bekommen.
Übersetzt aus dem Englischen.
Timur Fomenko ist ein politischer Analyst.
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