Von Maria Fedorowa und Alex Männer
Nach Wochen der Ungewissheit ist in Polen vor wenigen Tagen eine neue Regierung vereidigt worden, die offensichtlich einen klaren Systemwechsel vollziehen will. Ihr Chef und neuer Ministerpräsident, Donald Tusk, hat zumindest schon die ersten Schritte eingeleitet, um das politische Erbe der rechtskonservativen Vorgängerregierung der PiS ("Recht und Gerechtigkeit") zu überwinden.
So wurde bereits der polnische Botschafter in der Europäischen Union, Andrzej Sadoś, entlassen und aus Brüssel abberufen. Außerdem hat man die gesamte Führung der Geheimdienste des Landes ausgewechselt.
Einen neuen Wind brachte Tusk auch in eine Angelegenheit, die vor allem die polnisch-russischen Beziehungen betrifft: Zum ersten Mal änderte sich nämlich seit langer Zeit die Haltung der polnischen Regierung zum Flugzeugunglück vom 10. April 2010 nahe Smolensk, bei dem der damalige Präsident Lech Kaczyński, seine Ehegattin sowie weitere 94 Mit-Passagiere tragisch ums Leben kamen. Diesbezüglich herrscht innerhalb der polnischen Gesellschaft ein Deutungskampf darüber, ob es sich bei dem Flugzeugabsturz um eine Katastrophe durch menschliches Versagen oder ein vorsätzliches Attentat handelte.
Die PiS-Regierung hatte Russland in diesem Zusammenhang immer wieder vorgeworfen, in den Absturz verwickelt zu sein. Begründet wurden die Anschuldigungen meist damit, dass die russische Führung Kaczyński angeblich für seine antirussische Politik bestrafen wollte.
Diese Vorwürfe hat die neue Regierung Polens nun offiziell fallen lassen. Zugleich löste man auch die polnische Kommission auf, die den Vorfall untersuchte, wobei ihre Mitglieder obendrein der Geldwäsche, der Lüge und der Fälschung beschuldigt werden – keine schlechte Entscheidung angesichts der ganzen absurden Spekulationen vonseiten dieser Kommission.
Katastrophe von Smolensk
Der Flugzeugcrash ereignete sich am Tag der zeremoniellen Veranstaltungen anlässlich des 70. Jahrestags des Massakers an polnischen Soldaten und Offizieren in Katyn. An dieser Zeremonie wollten auch Kaczyński und andere hochrangige polnische Politiker sowie Militärs teilnehmen. Daher war vorgesehen, dass diese Delegation zuerst auf dem Militärflugplatz "Smolensk-Nord" landet und von dort aus per Fahrzeug nach Katyn in Weißrussland gelangt. Allerdings stürzte die Präsidentenmaschine beim Landeanflug unweit des Flugplatzes ab, nachdem sie wenige Sekunden zuvor aufgrund ihrer niedrigen Höhe die Baumspitzen gestreift hatte.
Laut Ergebnissen der offiziellen Untersuchung, die vom "Zwischenstaatlichen Luftfahrtkomitee" (Interstate Aviation Committee, IAC) durchgeführt wurde, ist der Absturz auf eine Reihe von Umständen zurückzuführen, vor allem die schwierigen Witterungsbedingungen (starker Nebel) und der Entscheidung des Piloten, unter solchen widrigen Bedingungen zu landen.
In Polen wurde der Tod Kaczyńskis und der anderen Vertreter der polnischen Elite als eine beispiellose Tragödie empfunden. Wie der polnische Historiker Mariusz Wolos damals feststellte, gab es zuvor in der Geschichte des Landes keine Katastrophe, bei der so viele Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens umgekommen waren.
Moskau hatte der damaligen polnischen Führung um Donald Tusk diesbezüglich sein aufrichtiges Beileid ausgedrückt und den 12. April in Russland zum Tag der Trauer erklärt. Auch der russische Staatschef Dmitri Medwedew war zur Beerdigung Kaczyńskis und seiner Ehefrau nach Krakau gekommen.
Diese Handlungen waren offenkundig darauf ausgerichtet, die Beziehungen zwischen Russland und Polen in dieser schwierigen Phase nicht noch zusätzlich zu belasten, was die Polen insgesamt als sehr positiv bewerteten. Der ehemalige polnische Präsident Aleksander Kwaśniewski war sogar der Meinung, dass die Tragödie die beiden Länder näher zusammengebracht hätte, weil sie aufrichtige Gefühle zueinander zeigten.
Politisierung der Tragödie
Allerdings gab es da noch die antirussischen Kräfte in Polen, die diese Tragödie für ihre politischen Zwecke nutzen und sogar einen nationalpathetischen Totenkult in Bezug auf Lech Kaczyński schaffen wollten. Allen voran die damalige polnische Opposition um den PiS-Vorsitzenden und Zwillingsbruder des verstorbenen Präsidenten, Jarosław Kaczyński. Er lehnte die offiziellen Untersuchungsergebnisse als unvollständig ab und gab Russland wiederholt die Schuld für die Smolensk-Katastrophe. Überdies bezeichneten er und sein Lager das Unglück fortan als "Katyn-2", mit der offensichtlichen Anspielung auf die Ereignisse von 1940.
Kaczyński und der PiS ging es in dieser Frage primär um die Stärkung ihrer Position auf der politischen Bühne, was etwa durch permanente Anschuldigungen gegen Moskau erreicht werden sollte. Extra dafür schufen die Nationalkonservativen eine polnische Untersuchungskommission, die das Flugzeugunglück – unabhängig von der Regierung – "aufklären" sollte.
Vonseiten dieser Kommission kamen teils absurde Spekulationen über die Ursachen des Absturzes, die allesamt durch die offizielle Untersuchung und durch eine unvoreingenommene Betrachtung der Tatsachen widerlegt werden können: Zum Beispiel hatte die polnische Kommission behauptet, dass die Wrackteile der Unglücksmaschine Sprengstoffspuren aufweisen würden. Laut einer in Polen weitverbreiteten These sollen russische Geheimdienste einen Bombenanschlag an Bord des Flugzeugs durchgeführt haben. Unabhängige Experten sind sich in dieser Frage jedoch einig, dass Russlands Geheimdienste nicht in der Lage wären, eine solche Operation auf polnischem Hoheitsgebiet erfolgreich zu organisieren.
Bezüglich der Auflösung der polnischen Kommission erklärte der stellvertretende Verteidigungsminister Polens, Cezary Tomczyk, dass damit sowohl die "Lügen" enden würden als auch die sinnlosen Ausgaben für Aktivitäten, die nichts mit der Aufklärung der Smolensk-Katastrophe zu tun hätten.
In der Tat zeugt diese Entscheidung Tusks vom gesunden Menschenverstand, auch wenn es sich dabei um einen politischen Schachzug handeln sollte. Außerdem ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Zumindest wenn es darum geht, die problematischen polnisch-russischen Beziehungen irgendwann einmal doch noch zu verbessern.
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