Von Iwan Timofejew
Vieles hängt davon ab, wie man die Wirksamkeit von sogenannten Sanktionen beurteilt und wie man das jeweils zugrundeliegende Konzept definiert. Es gibt eine klassische Definition, die impliziert, dass Sanktionen vom politischen Ergebnis bestimmt werden, das heißt von den Auswirkungen auf den politischen Kurs des Landes, gegen das die Sanktionen gerichtet sind – sei es in dessen Außen- oder Innenpolitik. Wir sehen aber, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen nicht zu einem für den Westen günstigen Ergebnis geführt haben. Im Gegenteil: In Moskau verfolgt man die eigenen Ambitionen sogar noch entschlossener.
Wir können die Wirkung der Sanktionsmaßnahmen auch im Hinblick auf den Schaden für die Wirtschaft Russlands betrachten – und in der Tat gab es anfänglich schmerzhafte Auswirkungen. Die Sanktionen hatten negative Auswirkungen auf den Handel Russlands mit seinen traditionellen Partnern in der Europäischen Union und anderen westlichen Ländern. Aber diese Staaten erlitten ebenfalls schmerzhafte Rückschläge, somit beruhte alles auf Gegenseitigkeit.
Allerdings war der Schaden für Russland in Wirklichkeit nicht so gravierend wie erhofft. Im März 2022 wurde im Westen geschätzt, dass die russische Wirtschaft um acht bis zehn Prozent schrumpfen werde. In der Realität verzeichnete sie jedoch einen Rückgang um lediglich etwa zwei Prozent. Es wurde zudem mit steigender Arbeitslosigkeit gerechnet, aufgrund des Rückzugs westlicher Unternehmen aus dem russischen Markt. Stattdessen herrscht in Russland derzeit im Wesentlichen Vollbeschäftigung – und es gibt in gewissen Bereichen sogar ein Mangel an Arbeitskräften. Die etablierten Marktbeziehungen wurden durch die Sanktionen zweifellos untergraben, aber "der Markt" findet immer andere Wege. Die Marktbeziehungen Russlands verlagerten sich dann einfach nach China, Indien und in andere, Russland freundlich gesinnte Länder.
Was den Ölpreisdeckel betrifft, so ist es wahrlich nicht leicht, diese gegen Russland gerichtete Maßnahme als wirksam zu bezeichnen. Die USA versuchen, die Bewegungen der Tanker stärker zu überwachen und einige von ihnen sogar daran zu hindern, ihre Ladung zu löschen. Aber auch das wird voraussichtlich keine großen Auswirkungen haben. Russland hat vielmehr dadurch erkannt, dass es auf eigene Ressourcen angewiesen ist und baut eine eigene, souveräne Tankerflotte auf. Offensichtlich berücksichtigten die Zuständigen im russischen Regierungsapparat die Erfahrungen von Iran und einer Reihe anderer Länder. Daher glaube ich nicht, dass der Ölpreisdeckel grundlegende Auswirkungen haben wird. Natürlich erzeugt das zusätzliche Kosten, die es nicht geben würde, wenn die Marktbeziehungen normal geblieben und nicht politisiert worden wären. Aber fatal ist das Ganze für Russland zumindest nicht.
Natürlich wird es noch neue Maßnahmen geben – nicht nur, weil die derzeitigen Maßnahmen wirkungslos geblieben sind, sondern auch, weil das Verhängen von Sanktionen gegen Russland sich mittlerweile zu einem außer Kontrolle geratenen Trend entwickelt hat, der nicht mehr aufzuhalten ist. Die Sanktionen des Westens gegen Russland werden sowohl aus innenpolitischen Gründen als auch als außenpolitische Maßnahme ausgeweitet, um zu signalisieren, dass die kollektiven Bemühungen des Westens zur Eindämmung Russlands aufrechterhalten bleiben. Die wichtigsten davon werden die Ausweitung der Sanktionen auf weitere Individuen des öffentlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens Russlands sein, ebenso eine Ausweitung der Exportkontrollen.
Die Auswirkungen solcher Maßnahmen auf die russische Wirtschaft sind bereits zur Routine geworden: Der Markt hat sich an die Sanktionen gewöhnt, während die Wahrnehmung der Strafmaßnahmen zunehmend verkümmert. Zweifellos werden sie weiterhin einigen Einzelpersonen und bestimmten Unternehmen Schaden zufügen, aber Russland hat sich an diesen neuen Algorithmus angepasst. Es herrscht im Land ein Konsens darüber, dass die Sanktionen wohl auch länger bestehen bleiben werden, niemand macht sich Illusionen darüber, dass sie gelockert oder gar aufgehoben werden. Russland lebt, arbeitet und wirtschaftet einfach unter den Rahmenbedingungen dieser neuen Realität weiter.
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Übersetzt aus dem Englischen
Iwan Timofejew ist Programmdirektor im Waldai-Klub und einer der führenden Außenpolitikexperten Russlands.