Von Boris Roschin
Das Scheitern der ukrainischen Sommeroffensive am südlichen Frontabschnitt und die sich daraus ergebenden militärpolitischen Folgen werden weiterhin von diversen Überlegungen und der Suche nach Schuldigen begleitet. Doch das ist bereits Vergangenheit. Die Ukraine hat zwar eine Schlacht verloren, doch der Krieg geht weiter. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern und nicht in einen überzogenen Optimismus zu verfallen: Sehr viel schwierige Arbeit steht noch bevor.
Gegenwärtig befindet sich das ukrainische Militär im Übergang zur Defensive, in deren Rahmen es die Schlüsselstellungen an den wichtigsten Frontabschnitten halten, neue Wellen von Zwangsrekrutierungen zum Ausgleich von erlittenen Verlusten durchführen und auf die eine oder andere Weise die Verluste an Technik und Waffen ausgleichen will. Vermutlich rechnet das Kiewer Regime damit, dass die USA und die NATO ihre innere Krise überwinden und Waffenlieferungen für offensive Operationen im Rahmen der Frühjahrs-Sommer-Kampagne 2024 wieder steigern werden.
Darüber, dass man sich jetzt schon auf die Sommeroffensive im Jahr 2024 vorbereiten müsse, sprechen westliche Militäranalytiker inzwischen offen. Um diese Offensive zu ermöglichen, muss das ukrainische Militär einen Zusammenbruch der Front in den nächsten Monaten verhindern und die Steigerung der US-amerikanischen Militärhilfe abwarten. Letztere wird momentan durch innere Konflikte in den USA selbst und Israels Krieg gegen die Hamas verhindert.
Es ist wichtig, zu verstehen, dass die Ukraine die Kräfte für die Offensive im Sommer 2023 über sieben Monate lang gesammelt hatte. Diese Kräfte wurden zwischen Juni und September 2023 fast völlig aufgerieben. Um die Offensive im gleichen Umfang zu wiederholen, wird Kiew zum Sommer 2024 zwischen 300.000 und 500.000 Menschen mobilisieren und Militärhilfe im Wert von über 25–30 Milliarden US-Dollar erhalten müssen, darunter eine größere Anzahl von Panzern, gepanzerten Kampffahrzeugen, Selbstfahrlafetten, Artilleriegeschützen, Mehrfachraketenwerfern sowie zugehöriger Munition. All das neben den bereits versprochenen Flugzeugen und Raketen.
In diesem Zusammenhang sind Vorschläge, den Krieg entlang der gegenwärtigen Frontlinie einzufrieren, darauf ausgerichtet, Russland zu täuschen und Zeit zu gewinnen, um der Ukraine den Versuch einer zweiten Offensive zu ermöglichen. Russlands militärpolitische Führung versteht dies. Daher nimmt sie solche Vorschläge auch nicht ernst und beobachtet stattdessen, wie die USA und die NATO versuchen, die durch Unterstützung der Ukraine angehäuften Probleme zu lösen, die für die Geldgeber des Kiewer Regimes immer kostspieliger werden.
Freilich ist der Wunsch, Russland eine Niederlage zu bereiten, bei einem Teil des westlichen Establishments so stark, dass es mehr als wahrscheinlich ist, dass der Westen sich zu einer weiteren Überanstrengung entschließen wird, um den Krieg militärisch für sich zu entscheiden. Deswegen stehen die entscheidenden Schlachten des Krieges in der Ukraine noch bevor: Der Gegner ist zwar verwundet, aber noch nicht zerschlagen.
Übersetzt aus dem Russischen.
Boris Roschin ist Experte am Zentrum für militärpolitische Journalistik. Man kann ihm auf seinem Telegram-Kanal folgen.
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