Von Timur Fomenko
Vergangene Woche kündigte Peking an, dass die Bürger von sechs EU-Ländern – Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Spanien und Portugal – für einen Zeitraum von 15 Tagen ohne Visum nach China einreisen dürfen. Somit können sie den umständlichen Prozess der Beantragung eines chinesischen Touristenvisums umgehen. Diese Ankündigung erfolgte rund eine Woche vor dem bevorstehenden Gipfeltreffen zwischen der EU und China, zu dem die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, nach Peking reisen werden.
In jüngster Zeit äußerte sich Ursula von der Leyen in Bezug auf Peking zunehmend aggressiver und beklagte sich unter anderem über "Chinas unfaire Handelspraktiken", drängte auf "Risikoabbau", forderte "mehr Marktzugang" und drohte mit Steuern auf chinesische Technologie aus dem Bereich der erneuerbaren Energien. Peking hingegen kritisierte diese Haltung, forderte die EU zu einem freundlicheren und kooperativeren Ansatz auf und betonte die Vorteile eines solchen Engagements.
Aber wie hat China in der Praxis reagiert? Durch die Ankündigung eines beispiellosen visumfreien Systems für Bürger ausgewählter EU-Länder. Obwohl das wie eine unbedeutende Geste erscheinen mag, ist es im großen Ganzen betrachtet eine bedeutende Sache. In den vergangenen Jahren war eine der zentralen Klagen aus dem Westen in Richtung China, dass die Einreise nach China zunehmend "unbequemer" geworden sei und von 2020 bis Anfang 2023 praktisch unmöglich war. Dies liegt daran, dass sich die Bürokratie und die Vorschriften des chinesischen Staates für ausländische Einreisende verschärft haben, was die Beantragung eines Visums selbst für den Tourismus zu einem albtraumhaften Prozess macht.
Um ein chinesisches Touristenvisum zu erhalten, muss man einen formellen Termin mit einem dafür designierten Büro vereinbaren. Wenn man nicht in einer Großstadt wohnt, bedeutet das, dass man erst einmal in eine reisen muss. Je nach Land, aus dem man kommt, können diese Büros komplett überlastet sein, sodass man nicht spontan einen Termin vereinbaren kann. Wenn man einen Termin vereinbaren will, müssen bereits alle Elemente der Reise – in Bezug auf Flüge, Unterkunft und Reisedaten – im Voraus bestimmt und gebucht sein und alles in ein umfangreiches Online-Formular eintragen werden, in dem man zudem mit ungewöhnlichen Fragen konfrontiert wird, wie die Berufe der Familienmitglieder. Man muss zudem den Reisepass, einen Scan davon und zusätzliche Passfotos mit zum Termin bringen.
Nachdem man die Gebühr für das Visum beglichen hat, erhält man ein paar Tage später den Reisepass zurück, in dem das Einreisevisum eingetragen wurde. Ein Touristenvisum hat immer nur eine Gültigkeitsdauer von einem Jahr. Wenn man das Land über Jahre hinweg regelmäßig besuchen will, muss man den oben beschriebenen Vorgang zum Erhalt eines Visums jährlich wiederholen.
Aus diesem Grund ist es eine große Sache, wenn China plötzlich eine Kehrtwende macht und zu einigen EU-Ländern sagt: "Diesen Visa-Prozess müssen eure Bürger nicht mehr durchlaufen." Hierbei handelt es sich um eine sehr großzügige Geste Chinas, die unter keinen Umständen auf eines der Länder aus dem Lager der Angelsachsen ausgeweitet werden wird. Doch hinter dieser Geste steckt ein politisches Motiv: den sogenannten "Risikoabbau" der EU gegenüber China zu verhindern.
Wenn man ein europäischer Geschäftsmann aus einem der von Einreisevisa befreiten EU-Länder ist – die zufällig auch die Schwergewichte der EU-Wirtschaft ausmachen – so haben sich die Möglichkeiten, nach China einzureisen und dort Geschäfte zu tätigen, erheblich verbessert. Es ist eine freundliche Geste Chinas, und sie ist hilfreich.
Soll man also glauben, dass die deutschen, niederländischen und französischen Führungskräfte, denen gesagt wird, sie sollen ihr Engagement in China zurückfahren, eher geneigt sein werden, auf eine Ursula von der Leyen und ihresgleichen zu hören, wenn diese von "Risikoabbau" reden? Warum sollten sie das tun? Der Zugang zum chinesischen Markt ist nun für sie etwas einfacher geworden, wodurch die Agenda des "Risikoabbaus" gegenüber China untergraben wird. Abgesehen davon, waren große und international tätige Konzerne von vornherein gegen diese Agenda. Die deutsche Automobilindustrie wird den chinesischen Markt niemals aufgeben.
Darüber hinaus untergräbt dieser Schritt auch das beliebte westliche Narrativ, dass China sich "von der Welt abschottet", dass die Politik von Xi Jinping "schlecht fürs Geschäft" und die Stimmung "unfreundlich" sei. Auf strategischer Ebene ist Peking entschlossen, die EU so weit wie möglich auf seiner Seite zu halten, eine Aufgabe, die angesichts der Bemühungen der USA, diese Beziehungen zu unterminieren, immer schwieriger wird. China ist sich jedoch der Bedeutung von taktischen Zugeständnissen im Streben nach langfristigen Gewinnen bewusst, und es war ein kluger Schachzug, die Karte der visumfreien Einreisen auszuspielen. Es ist unwahrscheinlich, dass Chinas Schritt die Haltung der Staats- und Regierungschefs der EU gegenüber Peking beeinflussen wird, aber es wird wahrscheinlich, dass sich die Bedingungen für den weiteren Ausbau von Geschäftsbeziehungen zwischen der EU und China deutlich verbessern werden – ob es den Staats- und Regierungschefs gefällt oder nicht.
Mehr zum Thema - Baerbock zu China: Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale
Aus dem Englischen.
Timur Fomenko ist ein politischer Analyst.