Von Andrew Korybko
Der Chef der NATO-Logistikabteilung, Generalleutnant Alexander Sollfrank, schlug die Schaffung eines sogenannten "Militärischen Schengen" vor, um den Transport militärischer Ausrüstung innerhalb der EU zu optimieren. Derzeit behindern bürokratische und logistische Hindernisse den freien Fluss von Waffen innerhalb des Blocks, was seiner Meinung nach die Fähigkeit des Westens, auf unerwartete Konflikte an seiner Peripherie zu reagieren, lähmen könnte. Aber nicht nur der Inhalt dieses Vorschlags ist von Bedeutung, sondern auch sein Zeitpunkt.
"Der Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland durch die Ukraine scheint sich dem Ende zuzuneigen", und zwar aus den Gründen, die in der zuvor verlinkten Analyse erläutert werden. Dementsprechend wird in dem Bloomberg-Bericht über den Entwurf der EU-Sicherheitsgarantien für die Ukraine auffallend kein Wort über gegenseitige Verteidigungsverpflichtungen verloren, wie sie Kiew seit Jahren anstrebt und die wesentlich zur jüngsten Phase dieses fast zehn Jahre andauernden Konflikts beigetragen haben. Sollfranks Vorschlag scheint daher diesen sich abzeichnenden Deeskalationstendenzen zu widersprechen.
Im Rückblick entpuppt sich das Ganze jedoch als ein schlecht getarntes deutsches Machtspiel gegenüber Polen. Der informelle Führer der EU verschärfte Mitte August seinen regionalen Wettbewerb mit Polen durch seine versprochene militärische Schirmherrschaft über die Ukraine, über die die Leser in der verlinkten Analyse mehr erfahren können. Kurz gesagt, Polen strebte während des gesamten NATO-Russland-Stellvertreterkrieges die Führung in Mittel- und Osteuropa (MOE) an, aber Deutschland stellte seine Ambitionen infrage.
Der Sieg der liberal-globalistischen Oppositionskoalition bei den polnischen Wahlen im vergangenen Monat, bei denen der polnische Außenminister zuvor Deutschland der Einmischung beschuldigt hatte, wird wahrscheinlich dazu führen, dass der frühere Ministerpräsident und Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, ins Amt des Ministerpräsidenten zurückkehrt. In diesem Fall könnte dieser mit Deutschland verbündete Politiker sein Land freiwillig Berlin unterordnen, was dazu führen würde, dass Polen seine geplante regionale Einflusssphäre an dieses Land abtritt und auf unbestimmte Zeit dessen größter Vasall wird.
Tusks Pläne, die Beziehungen zur de facto von Deutschland kontrollierten EU zu verbessern, werden von konservativ-nationalen Kräften als Mittel zu diesem Zweck angesehen, insbesondere aufgrund der Bemühungen dieses Gremiums, die polnische Souveränität weiter auszuhöhlen. Obwohl er behauptet, Änderungen des EU-Vertrags abzulehnen, zweifeln einige an seiner Aufrichtigkeit und vermuten, dass er auf diese Weise große Proteste zu diesem Thema verhindern will. Wenn diese beiden Szenarien eintreten, würde Polens Souveränität weiter eingeschränkt, auch im Bereich der Verteidigung.
Vor den Wahlen im vergangenen Monat konkurrierten Deutschland und Polen um den Aufbau des größten Militärs der EU, aber die oben beschriebene Abfolge von Ereignissen könnte dazu führen, dass Warschau das Handtuch wirft. Obwohl der nächste potenzielle Verteidigungsminister Polens erklärt hat, dass sein Land keinen seiner Militäraufträge kündigen wird, vermuten konservativ-nationale Kreise, dass er entweder unaufrichtig ist oder von Berlin/Brüssel dazu gezwungen werden könnte, dies zu tun. Alles in allem sind diese Bedenken glaubwürdig und sollten ernst genommen werden.
Deutschlands nationale Interessen, so wie sie von den etablierten Politikern verstanden werden, bestehen darin, der Hegemon der EU zu werden, was es notwendig macht, Polens Ambitionen, in Mittel- und Osteuropa eine Führungsrolle einzunehmen, zu neutralisieren ‒ daher die angebliche Unterstützung von Tusk und die spekulativen Bemühungen, die polnische Souveränität über die EU zu untergraben. Diese Schritte gingen dem von der NATO vorgeschlagenen "Militärischen Schengen" deutlich voraus, und auch das ist kein Zufall.
Vielmehr sollen sie Deutschlands beispielloses Machtspiel gegenüber Polen nach dem Zweiten Weltkrieg erleichtern.
Wenn Tusk die Beziehungen zur EU verbessert, wie er es versprochen hat, wenn er sich an alle Änderungen der EU-Verträge hält, obwohl er überzeugend behauptet, dagegen zu sein, und wenn seinem Land das "Militärische Schengen" aufgezwungen wird, dann könnten deutsche Streitkräfte unter dem Vorwand, die EU vor Russland zu verteidigen, in Massen nach Polen zurückkehren. Dies steht nicht im Widerspruch zu den Deeskalationstendenzen im Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland, sondern ergänzt diese, da es als Ausgleich für das Fehlen von Artikel-5-ähnlichen Garantien für die Ukraine ausgegeben werden könnte.
Einerseits würde die EU klugerweise vermeiden, Stolpersteine zu legen, die Kiew böswillig ausnutzen könnte, um nach dem unvermeidlichen Einfrieren des gegenwärtigen Konflikts (wann auch immer das geschehen wird) einen größeren Konflikt mit Russland zu provozieren, und gleichzeitig der Öffentlichkeit versichern, dass sie im Bedarfsfall immer noch angemessen reagieren kann. Das "Militärische Schengen" würde dem Zweck dienen, dem faktischen deutschen Führer des Blocks zu ermöglichen, seine Streitkräfte, die die größten der EU sein sollen, in diesem Fall schnell an die Ostgrenze zu schicken.
Es versteht sich von selbst, dass sie Polen durchqueren müssten und dort leicht auf unbestimmte Zeit stationiert werden könnten, sei es als sogenannte "Abschreckung gegen eine russische Aggression" oder als Teil einer geplanten Reaktion auf einen künstlich (also unter falscher Flagge) herbeigeführten Grenzzwischenfall. Nachdem sich Polen unter Tusk freiwillig Berlin untergeordnet hat, wie es aus den dargelegten Gründen bald zu erwarten ist, wäre die Wiederherstellung der deutschen Hegemonie über Polen somit ohne einen Schuss vollendet.
In diesem Szenario, das die polnischen konservativen Nationalisten nicht verhindern können und das nur durch unwahrscheinliche Variablen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, ausgeglichen werden kann, würde Deutschland im Wesentlichen von den USA damit beauftragt, Russland in Europa "einzudämmen", als Teil von Washingtons "Lead-From-Behind"-Strategie. Sobald die kontinentale Hegemonie dieses Landes mit den in dieser Analyse beschriebenen Mitteln vollständig gesichert ist, kann sich Amerika mit größerer Zuversicht "nach Asien verlagern" und sich auf die Eindämmung Chinas konzentrieren.
Diese beiden Supermächte befinden sich derzeit inmitten eines beginnenden Tauwetters, wie das positive Ergebnis des letzten persönlichen Treffens ihrer Staats- und Regierungschefs Anfang des Monats am Rande des APEC-Gipfels in San Francisco beweist, aber es ist nicht selbstverständlich, dass dieser Trend anhalten wird. Es ist daher sinnvoll, dass die USA ihre antirussischen Eindämmungsmaßnahmen in Europa nach Deutschland verlagern, um die erforderlichen Ressourcen für eine stärkere Eindämmung Chinas in Asien freizusetzen, falls dieses "Tauwetter" scheitert.
Wie in der Geschichte üblich, wird die polnische Souveränität wieder einmal als Teil des Spiels der Großmächte geopfert, aber dieses Mal werden die Grenzen intakt bleiben, obwohl das Land in naher Zukunft zu einem deutschen Vasallen werden wird. Es gibt in der Tat einige Variablen, die außerhalb der Kontrolle Polens liegen und die dieses Szenario ausgleichen könnten, aber sie sind sehr unwahrscheinlich, sodass es zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich eine vollendete Tatsache ist, dass Polen auf unbestimmte Zeit die zweite Geige für Deutschland spielen wird.
Übersetzt aus dem Englischen
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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