Von Rüdiger Rauls
Von offizieller Seite wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Vorbereitungsphase noch nicht mit einem Beschluss über die Einführung des digitalen Euro gleichzusetzen ist. So betont Burkhard Balz, Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbank, dass nicht die Europäische Zentralbank (EZB) das weitere Vorgehen bestimmt: "Das Europäische Parlament und der Europäische Rat müssen über die Einführung des digitalen Euro entscheiden. Zum Teil sind wohl auch Entscheidungen der nationalen Parlamente erforderlich."
Aber angesichts der bereits erfolgten Vorbereitungen mit dem entsprechenden finanziellen Aufwand und besonders des Drucks, der von den weltweiten Entwicklungen in dieser Frage ausgeht, dürfte eine Absage an dieses Vorhaben unwahrscheinlich sein. Denn inzwischen arbeiten "93 Prozent der Zentralbanken weltweit" an einer Digitalisierung ihrer Währung. Besonders die größten Konkurrenten des politischen Westens sind mit ihrer Entwicklung schon wesentlich weiter.
So hat die russische Zentralbank bereits in diesem Jahr die Einführung des digitalen Rubel bei 13 Banken und mit 600 Einzelpersonen in Angriff genommen. Praktisch bedeutet das, dass "an 30 Verkaufsstellen in elf russischen Städten" mit der digitalen Währung bezahlt werden kann. Ab 2025 soll sie dann an alle interessierten Russen ausgegeben werden.
Noch weiter ist China mit seinem digitalen Yuan. "Nach fast acht Jahren Forschung wurde der e-CNY [elektronischer Yuan] bei den Olympischen Winterspielen 2022 das erste Mal" sogar für Ausländer freigegeben. Im Januar desselben Jahres war die von der chinesischen Notenbank bereitgestellte App für die Einrichtung digitaler Geldbörsen (wallets) "bereits 261 Millionen" Mal heruntergeladen worden. Das entspricht fast einem Fünftel der chinesischen Bevölkerung.
Neue Wege
Wie bei der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative = BRI) waren auch die chinesischen Anstrengungen zur Schaffung des digitalen Yuan vom politischen Westen anfangs belächelt worden. In der Gewissheit, mit Dollar, Euro, Schweizer Franken und Britischem Pfund als Reserve-Währungen die weltweiten Waren- und Finanzströme zu beherrschen, sah man vermutlich wenig Grund für die Digitalisierung der eigenen Zahlungsmittel. Man fühlte sich der eigenen Vorherrschaft auf Dauer sicher und unangreifbar.
So war sogar Augustin Carstens als Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich – sozusagen die Notenbank der Notenbanken – noch im Januar 2021 der Meinung, dass der "Nutzen für Verbraucher als begrenzt" anzusehen sei und der "E-Euro nur für Banken und Unternehmen" als Zahlungsmittel sinnvolle Anwendung finden dürfte.
Mit dem Aufkommen des Bitcoin deuteten sich neue Entwicklungen an als Reaktion auf die Verunsicherungen, die die Finanzkrise von 2007/2008 bei vielen Menschen hervorgerufen hatte. Die Kryptowährungen sollten dem Staat die Kontrolle über die Privatvermögen der Bürger entziehen und sie zudem absichern gegenüber Verwerfungen, die von der Verschuldung der Staaten und Unternehmen sowie einer aus der Ausweitung der Geldmengen möglicherweise entstehenden Inflation befürchtet wurden.
Während das westlich orientierte Finanzsystem noch mit dem Bitcoin fremdelte, hatte die chinesische Regierung schon sehr bald die Vorteile der Blockchain-Technologie, die dem Bitcoin zugrunde lag, für die Entwicklung des eigenen Finanzwesens und die Wirtschaft erkannt. Denn anders als im Westen war das Finanzwesen besonders im ländlichen Raum Chinas nur gering entwickelt. Die Versorgung mit Banken war unzureichend, was die Kreditvergabe und damit die wirtschaftliche Entwicklung behinderte.
In der Blockchain erkannte die chinesische Regierung sehr früh die Möglichkeiten der Vereinfachung und Ausweitung des Zahlungsverkehrs sowie das Potenzial für die Senkung der Kosten. Dementsprechend stark förderte sie deren Entwicklung, sodass China heute in diesem Bereich als führend gilt. Die Abwendung vom Dollar spielte zu diesem Zeitpunkt noch keine Rolle.
Das änderte sich aber sehr bald mit der weltweiten Zunahme von westlichen Sanktionen, wirtschaftlichen und politischen Spannungen zwischen dem Westen und China sowie der ausufernden Verwendung des Dollar als wirtschaftliches und politisches Druckmittel. Die Folge war, dass die Sanktionierten ihre Bemühungen zur Digitalisierung ihrer Währungen verstärkten, um von US-beherrschten Finanzstrukturen wie dem Abrechnungssystem SWIFT unabhängiger zu werden. Denn bereits mit den Sanktionen gegen Russland wegen der Angliederung der Krim im Jahre 2014 war erkennbar, welche Entwicklung sich in den internationalen Beziehungen andeutete.
Notenbanken unter Druck
Aber auch von anderer Seite brachte die Digitalisierung die Vormachtstellung westlicher Währungen unter Druck. Mark Zuckerberg, der Chef von Facebook und des Meta-Konzerns, brachte mit dem Libra eine private Währung ins Spiel, die sich der Kontrolle durch die Zentralbanken zu entziehen drohte. Damit fühlten sich erstmals die westlichen Staaten in ihrer Währungshoheit direkt bedroht.
Denn die nationalen Digitalwährungen wie die chinesische oder die russische waren die Schöpfung einer nationalen Notenbank, gedacht für das eigene Hoheitsgebiet. Libra aber setzte sich über die nationalen Grenzen hinweg und war als weltweite Währung gedacht. Sie sollte vornehmlich den privaten Profitinteressen des Meta/Facebook-Imperiums dienen. Mit ihrer Möglichkeit der kostengünstigeren Finanztransaktionen stellte Libra eine Konkurrenz für die Geschäftsbanken im Bereich des weltweiten Zahlungsverkehrs dar.
Nun wurden auch die Zentralbanken der führenden westlichen Staaten hellhörig. Denn anders als beim Bitcoin drohte nun ein Privatunternehmen mit entsprechendem Finanzvolumen, weltweiter Präsenz und Hunderten Millionen von Nutzern, den Notenbanken selbst den Rang abzulaufen und ihnen Konkurrenz zu machen. Bei den Notenbanken, die besonders im Westen die Digitalisierung der Währung mehr oder weniger verschlafen hatten, setzte ein Umdenken ein.
Besonders die Europäer sahen sich unter Handlungsdruck. "Die Vorteile im digitalen Zahlungsverkehr sollen nicht nur Anbietern von Krypto-Token und auch Big-Tech-Unternehmen zugutekommen." Mit der Entwicklung eines digitalen Euro war auch die Vorstellung verbunden, sich von den amerikanischen Kreditkarten-Unternehmen unabhängiger machen zu können, die den europäischen Markt beherrschen und kontrollieren.
Aber auch eine andere, eine längerfristige Sicht spielt nun zunehmend eine Rolle angesichts des gewaltigen Vorsprungs, den besonders China sich bereits im Bereich der Digitalwirtschaft erarbeitet hat. "Auch wir wollen die Chancen des technischen Fortschritts im Zahlungsverkehr nutzen und in einer digitalen Zukunftswelt gewappnet sein für technologische Optionen, die wir teilweise heute noch gar nicht kennen". Man weiß zwar noch nicht, was die Zukunft bringt, will aber nicht noch einmal zukunftsträchtige Technologien verschlafen und gegenüber China strategisch ins Hintertreffen geraten wie bereits in der Elektromobilität, der Solar- und Batterietechnologie und anderen.
Schwierigkeiten der Umsetzung
Aber die Bedenken gegenüber dem digitalen Euro sind besonders in Deutschland, dem wirtschaftlichen Schwergewicht in Europa, sehr groß. Das brachten die Ergebnisse einer Umfrage über das Ansehen der Finanzwirtschaft hierzulande zum Vorschein. "Mit 40 Prozent der Befragten, die dem Finanzsystem vertrauen, liegt Deutschland deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt von 59 Prozent". Vermutlich werden die Diskussionen um die Einführung einer Digitalwährung nicht zu einer Verbesserung der Einstellung gegenüber dem Bankensystem beitragen.
Viele Menschen befürchten, dass der digitale Euro der Einstieg sein könnte zur Abschaffung des Bargeldes. Seine Verwendung ist in Deutschland im internationalen Vergleich mit 58 Prozent sehr hoch, wenn auch sein Einsatz zunehmend sinkt. Anders als in China oder Russland, wo die Sättigung mit Banken in der Fläche sehr gering ist und sich hauptsächlich in den großen Städten konzentriert, ist in Deutschland die Versorgung mit Banken gut abgedeckt und damit auch der Zugang zu Bargeld problemlos.
Bargeld verspricht Unabhängigkeit und entzieht sich staatlicher Kontrolle, so die Ansicht vieler Kritiker. Dieser Bedenken scheinen sich die Verantwortlichen in der EZB und den Organisationen der Europäischen Union und ihrer Einzelstaaten bewusst zu sein. "Am Ende kommt es natürlich darauf an. dass die Menschen den digitalen Euro annehmen. Darum müssen wir für dieses Projekt werben und den Menschen die vielfältigen Vorteile nahebringen". Sie setzen also alles daran, die Akzeptanz für den digitalen Euro in der Öffentlichkeit zu erhöhen.
Neben den Ängsten in Teilen der Bevölkerung stehen die Interessen der Banken, die sich in ihrem Geschäftsmodell bedroht sehen. Die Konten für den digitalen Euro sind unmittelbare Einrichtungen der Notenbanken und werden bei dieser geführt. Damit treten diese als Konkurrenz zu den Geschäftsbanken auf. Diese sehen sich in einem ohnehin schon schwierigen Umfeld möglicherweise weiterer Einnahmequellen beraubt wie den Gebühren für Kontoführung und Finanztransaktionen. Sie befürchten, dass ihre Geschäfte nun weitgehend nur noch auf die Kreditvergabe zurückgeschnitten werden mit entsprechenden Einnahmeverlusten.
Aber auch das Kreditgeschäft leidet erheblich unter der aktuellen wirtschaftlichen Lage. Die starken Preissteigerungen der vergangenen Monate führen zu einer nachlassenden Nachfrage besonders im Bereich der Konsumentenkredite. Die anziehenden Zinsen und sich verschlechternden Geschäftsaussichten vieler Unternehmen lassen diese bei den meist über Kredite finanzierten Investitionen zurückhaltender werden. Zusätzlich belastet die stark sinkende Bautätigkeit und die Schwäche der Immobilienbranche insgesamt das Kreditgeschäft der Banken.
Nach der Finanzkrise von 2007/2008, der Geldschwemme der Notenbanken und der ausufernden Verschuldung der Staaten sowie den tiefen Eingriffen des Staates in die Lebensgewohnheiten der Menschen während der Coronazeit trauen viele Bürger den Institutionen nicht mehr. Die einen sehen das Handeln des Staates von Interessen getrieben, die sich nicht am Wohle der Bürger orientieren. Andere wieder trauen ihm nicht mehr zu, die Krisen, die auf ihn einstürmen, meistern zu können. Die westlichen Staaten, besonders aber der deutsche, sind zerrissen zwischen unterschiedlichen, sich zum Teil widersprechenden Interessen. Deren Glättung wird immer schwieriger.
Rüdiger Rauls ist Buchautor und betreibt den Blog Politische Analyse
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