Von Walentin Bogdanow
Die Gefahr einer Einstellung der Militärhilfe an die Ukraine hat bei den US-amerikanischen Falken ihren Basisreflex hervorgerufen, nämlich den Selbsterhaltungstrieb. Biden und seine Administration ähneln heute Menschen, die einem abfahrenden Zug mit Gepäck in den Händen nachlaufen. Sie werden das Gepäck wegwerfen müssen, doch bisher wollen sie noch zusammen mit ihrem Koffer hineinspringen. Unmittelbar im Rennen schätzen sie das Gewicht des Gepäcks ab.
Mit dem abgesetzten Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy wollte Bidens Administration Hilfe an Kiew in Höhe von 24 Milliarden US-Dollar vereinbaren. Später schrumpfte diese Summe auf sechs Milliarden US-Dollar. Nun ist McCarthy nicht mehr da, es gibt immer noch keinen Nachfolger, und man muss von null beginnen. Bidens Administration beschloss, die Obergrenze maximal anzuheben – von 90 Milliarden US-Dollar auf 100 Milliarden US-Dollar. Sie sollen als einziges Paket für das ganze Jahr 2024 gebilligt werden. Für später hofft man auf Glück.
Der Grund ist ein einfacher. Die Ukraine ist jetzt schon äußerst toxisch – jüngste Umfragen zeigen, dass nur 41 Prozent der US-amerikanischen Wähler Waffenlieferungen aus den USA an Kiew unterstützen, während es im Mai dieses Jahrs noch 46 Prozent waren. Das Fenster der Möglichkeiten zur Finanzierung der Ukraine ist zu einem Schlupfloch geschrumpft. Sollte das Weiße Haus noch länger warten, wird es zum Höhepunkt der Präsidentschaftswahlkampagne den republikanischen Kongressmitgliedern keinen Cent abringen können, denn die Hauptkandidaten der Republikaner – Trump, DeSantis, Ramaswamy – treten gegen die "Fütterung" von Selenskij ein.
Ein großes einmaliges Paket soll dieses Problem nach dem Prinzip "bewilligt und vergessen" kupieren. Die Finanzierung des ukrainischen Militärs soll im Hintergrund weiterlaufen, ohne Streitigkeiten bei Debatten oder im Kapitol auszulösen, zumal bei Weitem nicht alle Republikaner gegen die Hilfe an Kiew sind. Die "Falken" stellen etwa die Hälfte. Ihr Anführer Michael McCaul, der republikanische Vertreter von Texas und Vorsitzender des Ausschusses des Repräsentantenhauses für auswärtige Angelegenheiten, ist im Gegensatz zu Jim Jordan und Steve Scalise, die die Position des Sprechers beziehen können, Kiew wohlgesonnen.
Stimmen von Politikern wie McCaul könnte Bidens Administration dadurch sichern, indem sie ihnen im Gegenzug die Schaffung des Postens eines Generalinspektors für die Ukraine vorschlägt. Ein solcher Posten hatte zuvor für Afghanistan existiert. Jahrelang beschrieb er die Maßstäbe der Korruption, störte sie aber auch nicht besonders. Wie auch die Gelder für Kabul versickern die Gelder für Kiew in Korruptionslöchern. Deswegen besteht der zweite Teil des Plans darin, Selenskij zu Reformen zu zwingen. Innerhalb von 18 Monaten sollen 25 Punkte umgesetzt werden. Es ist klar, dass das PR-Element auch hier die Schlüsselrolle spielt.
Viel gefährlicher als finanzielle Verluste, die die USA durch Drucken von Dollarscheinen begleichen können, sind Verluste von Waffen, vor denen die Konservatoren immer eindringlicher warnen. Der jüngste Kommentar stammt von Marjorie Taylor Greene und gilt der Frage, ob nicht bei den Angriffen der Hamas Waffen eingesetzt wurden, die an das ukrainische Militär geliefert worden waren. Sollte sich dies bestätigen, erwartet Biden ein weiterer Schlag.
Parallel dazu wurde der Öffentlichkeit ein Brief vorgelegt, der von 100 einflussreichen Vertretern der nationalen Sicherheit mit konservativer Ausrichtung unterzeichnet wurde. Diese bestehen darauf, dass die Unterstützung der Ukraine angeblich nicht nur an und für sich im Rahmen der Konfrontation mit Russland wertvoll sei, sondern auch Chinas Pläne in Bezug auf Taiwan störe. Ein geeignetes Druckmittel, denn Kritik von Peking ist ein wichtiges Argument für die Republikaner.
Schließlich soll Biden selbst Berichten zufolge mit einer Rede über die Ukraine auftreten. Die Gegner des US-Präsidenten fordern seit Langem, zumindest die Kernpunkte seiner Ukraine-Strategie auszusprechen. Das Prinzip "Bewillige mehr, gib mehr aus, im Krieg ist jedes Mittel recht" funktioniert nicht mehr. Doch die Eskalation im Nahost wird auch diese Pläne unweigerlich verändern.
Israel ist ein viel wertvollerer Verbündeter als die Ukraine, zumal sich auch unter Bidens Parteigenossen eine heftige Spaltung wegen der Lage im Nahost abzeichnet. Der linke Flügel der Demokraten sympathisiert mit den Palästinensern. Dabei nehmen gerade die Republikaner eine proisraelische Position ein und werden sich für eine Vergrößerung der militärischen und finanziellen Unterstützung stark machen. Das bedeutet, dass Selenskij in der Perspektive nicht aus emotionalen, sondern aus ganz rationalen Gründen geopfert werden könnte.
Zusammenfassend ist es nicht ausgeschlossen, dass das in Erwartung des Wechsels des Sprechers des Repräsentantenhauses auf virtuelle 100 Milliarden US-Dollar aufgeblasene militärische Hilfspaket für die Ukraine bald wieder schrumpfen könnte. Auf dem Spiel steht die gesamte Nahost-Strategie. Und erfolgreiche Simultanspiele der USA auf dem globalen Schachbrett gehören der Vergangenheit an.
Übersetzt aus dem Russischen.
Walentin Bogdanow ist Leiter des New Yorker Studios der russischen TV- und Rundfunkanstalt WGTRK.
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