Während der ukrainische Präsident Selenskij auf "Europas Einigkeit" bezüglich weiterer Waffenlieferungen an Kiew pocht, bröckelt allmählich die Unterstützung für ihn. Fast 50 europäische Staats- und Regierungschefs nutzten am Donnerstag ein Gipfeltreffen in der südspanischen Stadt Granada, um zu unterstreichen, dass sie in einer Zeit, in der die Entschlossenheit des Westens nachzulassen scheint, zur Ukraine stehen, so hieß es in der US-amerikanischen AP-Agentur.
Der ukrainische Staatschef forderte beim Treffen einen Winter-Schutzschirm für sein Land. Zugleich äußerte er sich besorgt über eine nachlassende Unterstützung der Europäer und der USA. Die größte Herausforderung, vor der man stehe, sagte Selenskij bei seiner Ankunft in Granada, sei "die Einheit in Europa zu retten". Russland werde weiter mit "Desinformation" angreifen – damit spielte er auf den Wahlsieg des Robert Fico in der Slowakei an, der Kiew nicht länger Waffen liefern will. Selenskij verknüpft stets die Unzufriedenheit der Europäer mit der Waffenlieferung an Kiew mit der angeblichen Verbreitung von Desinformationen des Kremls. Er beteuerte, dass ein Sieg oder eine Niederlage in der Ukraine über das Schicksal von ganz Europa entscheiden würde. Ferner behauptete er, dass "Putins Versuche, den Westen zu spalten", nicht aufhören würden.
Die Diskussionen in Granada wurden insofern von Anzeichen einer zerfallenden Unterstützung für die Ukraine überschattet. Innerhalb der EU behindert Ungarn die Hilfe für die Ukraine. Dazu kommt, dass nach den Wahlen in der Slowakei der Wahlgewinner Fico einen Weg verfolgen könnte, der dem von Orban in Ungarn ähnelt. Fico hat vor den Wahlen erklärt, dass er die in der Bevölkerung unbeliebte Waffenhilfe einstellen und der Ukraine nur noch mit zivilen Gütern helfen möchte, sollte er an die Macht kommen.
Bedrohlicher ist für Selenskij jedoch, dass die militärische Unterstützung vom wichtigsten Verbündeten, den USA, infrage steht. In den USA hängen finanzielle Hilfen für Kiew aufgrund innerstaatlicher Haushaltskonflikte in der Luft. Von Präsident Biden habe er zu hundert Prozent Unterstützung bekommen, aber im Kongress gebe es einige "sehr befremdliche Stimmen", so Selenskij. Biden rief am Dienstag andere Weltmächte dazu auf, sich intensiver für die Militärhilfe an die Ukraine zu engagieren.
Obwohl der Bundeskanzler in Spanien dem verzweifelten ukrainischen Präsidenten für die Wintermonate ein weiteres Flugabwehrsystem vom Typ Patriot zugesagt hatte, erteilte Scholz bereits eine Absage zur Lieferung der Marschflugkörper an Kiew. Die Ukraine-Offensive ist ins Stocken geraten, während sich der Winter langsam nähert. Die Stimmung zur Unterstützung der Ukrainer ist bereits gekippt. In den USA steht die Präsidentschaftswahl schon für kommendes Jahr an, während die Zweckehe zwischen Kiew und Warschau sich dem Ende neigt. Vor diesem Hintergrund spielt die Zeit gegen den Selenskij-Kreis in Kiew.
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