Von Dagmar Henn
Es gibt Meldungen, die verharren lange in einer Art Schwebezustand zwischen Fiktion und Realität. Vielleicht klärt sich innerhalb von Wochen oder Monaten, was davon zu halten ist, vielleicht aber erst nach vielen Jahren.
Von einer solchen Art ist die Meldung über die deutsche Panzerbesatzung, die bei Saporoschje umgekommen sein soll. Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti hatte dies unter Bezug auf den Kommandeur einer Aufklärungstruppe vor einigen Tagen gemeldet. Dabei wurde sogar berichtet, dass ein Mitglied der Panzerbesatzung noch am Leben gewesen sei und erklärt habe, sie seien alle Angehörige der gleichen Einheit.
Die bundesdeutschen Leitmedien haben diese Geschichte nicht aufgegriffen. Anders sah es in Italien aus; dort wurde die Meldung von RIA Nowosti vielfach übernommen und ausführlich zitiert. Das überrascht nicht, denn in der bestätigten Version hätte dieser Sachverhalt möglicherweise gravierende Konsequenzen für Deutschland, Konsequenzen, die von Anbeginn absehbar waren, aber die stetig abgestritten werden.
Will man betrachten, wie schlüssig diese Information ist, muss man zuerst einmal zur Kenntnis nehmen, dass es zwischen den klar definierten Zuständen "Söldner" und "Soldat" einen Graubereich gibt. In diesem Graubereich hatte sich die Bundeswehr bereits bewegt, ehe der Krieg in der Ukraine im Jahr 2014 begann. Manche erinnern sich vielleicht noch an den Vorfall mit der vermeintlichen OSZE-Mission unter dem deutschen Oberst Axel Schneider, die in Slawjansk festgesetzt wurde. Besagter Oberst hatte nicht nur am Tag vor seiner Gefangennahme dem Bayerischen Rundfunk ein Interview gegeben, in dem er seine Aufgabe in der Ukraine in einer Art beschrieb, die weder mit der Tätigkeit eines OSZE-Beobachters noch mit der einer Inspektion nach dem Wiener Abkommen vereinbar war, sondern eher nach Militärberater klang. Er habe die Kampfbereitschaft von Einheiten der ukrainischen Armee überprüfen sollen. In Slawjansk seien er und seine Begleiter dann in Zivil festgenommen worden.
Gerade erst ist ein Artikel in der New York Times (NYT) erschienen, in dem die Behandlung US-amerikanischer Söldner im Militärkrankenhaus in Landstuhl in der Pfalz bestätigt wurde. Verbucht wurden sie unter den achtzehn ukrainischen Verwundeten, deren Behandlung das Pentagon genehmigt hatte. Auf die Nachfrage der New York Times antwortete ein – anonymer – Vertreter des Verteidigungsministeriums, "die Führung des Pentagon wisse nicht, dass Landstuhl regelmäßig verwundete amerikanische Freiwillige behandle, aber fügte hinzu, sie mache sich deshalb keine Sorgen."
Die NYT gab sich große Mühe, aber die Tatsache, dass diese Söldner in einem US-Militärkrankenhaus behandelt wurden, ist dennoch ein starkes Indiz dafür, dass sie eben nicht in der Befolgung eines privaten Erwerbstriebs in der Ukraine gelandet waren, sondern irgendetwas zwischen staatlicher Billigung bis zu staatlichem Auftrag gegeben war.
Dass westliches Personal vorhanden sein muss, wurde hier im Zusammenhang mit den in die Ukraine gelieferten Waffen schon vielfach diskutiert. Die Ausbildung eines Panzerkommandanten ist nicht in ein paar Monaten erledigt, die dauert Jahre. Die Zeit, die in die Ausbildung ukrainischer Soldaten für den Leopard 2 investiert wurde, reichte gerade, um das Fahren und halbwegs das Zielen zu lernen. Sprich, bei allen komplexeren Waffensystemen muss man davon ausgehen, dass sie zumindest mit einem Teil der zugehörigen Mannschaft geliefert werden, in welcher rechtlichen Gestalt auch immer. Das dürfte auch beim Spektakel rund um die F16 eine Rolle spielen – die Flugzeuge müssen mitsamt Piloten geliefert werden. Kampfpiloten sind teuer, können sich also einer freundlichen Aufforderung zu einem "freiwilligen" Einsatz leicht entziehen, und kaum jemand verspürt das Bedürfnis, sich von der russischen Luftabwehr abschießen zu lassen.
Vor einiger Zeit hatte RT ein Video aus der Region Saporoschje veröffentlicht, das einen Panzerkommandanten in vollständiger deutscher Uniform auf einem Leopard 2 in der Ukraine zeigt. Auch wenn die Verwendung einzelner Abzeichen innerhalb der ukrainischen Armee angesichts der ideologischen Ausrichtung nicht überraschen würde, deutet eine komplette Uniform doch eher darauf hin, dass es sich dabei tatsächlich um einen Deutschen handelt.
Der politisch knifflige Punkt an der oben genannten Meldung ist die Aussage, dass sie reguläre Soldaten gewesen seien. Und wie das österreichische Online-Portal eXXpress, das die Meldung aufgegriffen hat, warten jetzt viele auf Aufklärung:
"Falls tatsächlich deutsche Soldaten in dem Leopard-2-Panzer waren und diese gefallen sind, dann werden russische Medien schon sehr bald die Papiere oder die Erkennungsmarken dieser Toten präsentieren."
Diese Erwartung könnte aber enttäuscht werden. Denn es gibt mehrere Möglichkeiten, was diese Meldung bedeutet. Variante eins, die unwahrscheinlichste, wäre, dass sie schlicht erfunden ist. Das ist zumindest bezogen auf den Teil "Deutsche in einem Leopard in der Ukraine" kaum vorstellbar. Dass vielerlei Söldner dort unterwegs sind, ist längst durch entsprechende Veröffentlichungen belegt. Variante zwei: Die Geschichte ist tatsächlich so abgelaufen, wie sie berichtet wird, und nun ist es die politische Entscheidung der russischen Regierung, ob sie die Veröffentlichung von Belegen für nützlich hält oder nicht.
Und jetzt wird es kompliziert. Was, wenn die Geschichte sich so ereignet hat, aber das letzte Mitglied der Panzerbesatzung entgegen der Berichterstattung nicht verstorben ist, sondern gefangen genommen wurde? Was, wenn im Gesamtverlauf dieses Krieges immer wieder Söldner oder auch nur scheinbare Söldner gefangen genommen wurden, eventuell sogar ausgetauscht, aber bisher die politische Entscheidung getroffen wurde, diese Tatsache bestenfalls anzudeuten, und die Veröffentlichung in diesem Fall besagen soll, dass man bereit sei, die Fakten auf den Tisch zu legen? Insbesondere, was eine deutsche Beteiligung angeht?
Der Adressat dieser Meldung, soviel ist klar, sitzt in Berlin. Und ob wir als Mitleser einer Botschaft, die an ganz andere gerichtet ist, die Wahrheit in einer Form erfahren, die den Schwebezustand aufhebt, ist keine journalistische, sondern eine politische Frage. Da muss man schlicht aushalten.
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