Seit Ausbruch des Ukrainekriegs im Februar 2022 war es eine Forderung, Russland vom Zugang zu den europäischen Öl- und Gasmärkten abzuschneiden. Der wirtschaftliche Schaden, so hofft man bis heute, würde Einfluss auf die militärischen Fähigkeiten Russlands haben. Elf sogenannte Sanktionspakete der Europäischen Union (EU) und ein Ölpreisdeckel, mit dem man mit anderen westlichen Staaten durchsetzen wollte, dass weltweit nur noch bestimmte Preise für russisches Öl gezahlt werden und dafür sorgen sollte, dass Russland nicht mehr von Preisanstiegen für Öl profitiert.
Deutsche Politiker und Medien behaupteten lange, dass die Sanktionen gegen Russland wirken würden. Von Anfang an war es aber zweifelhaft, wie effektiv diese Sanktionen in der Realität waren, und anders lautende Behauptungen schienen eher von Wunschdenken geprägt zu sein. Das lag nicht nur an den fehlenden Alternativen zu russischen Energieträgern, sondern auch an einer Umorientierung Russlands bei der Wahl seiner Wirtschaftspartner, wie der Politologe und Publizist Michael Lüders erläuterte.
Deutsche Erdölimporte aus Indien verzwölffacht
Die Nachricht, dass die Energie-Sanktionen gegen Russland nicht wirken, erreicht mittlerweile auch den deutschen Mainstream. Im Interview mit Deutschlandfunk am Donnerstag sagte Lüders, dass es schlichtweg nicht möglich ist, Russland als den größten Energielieferanten der Welt zu sanktionieren. Die Folge, dass es die EU dennoch versucht, war, dass Staaten wie China, Ägypten und Saudi-Arabien begannen, große Mengen russischen Erdgases zu kaufen, um sie dann unter neuer Beschriftung an die EU bzw. Deutschland weiterzuverkaufen.
Genauso wird mit russischem Erdöl verfahren. Wie bereits seit längerem bekannt ist, kauft Indien russisches Erdöl und liefert es raffiniert oder roh nach Rotterdam. Einem Bericht von Spiegel vom Dienstag zufolge haben sich Berlins Importe von Erdölprodukten aus Indien im Zeitraum Januar bis Juli 2023 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verzwölffacht.
Laut Lüders laufe dieser Prozess bereits in einem solch gewaltigen industriellen Maßstab, dass die großen US-amerikanischen Energieunternehmen wie Exxon oder Chevron Mobile in das Geschäft bereits eingestiegen seien. Die Investitionen werden in China getätigt. Warum sich russisches Öl und Gas trotz der Sanktionen seinen Weg zu den Käufern findet, liegt laut Lüders an einem Mangel an Alternativen. Wer glaubt, das System zu kontrollieren, so wie Deutschland, zahlt am Ende drauf. Statt der üblichen langfristigen Lieferverträge bleibt dann nur der Kauf auf den kurzfristigen Spotmärkten.
"Das ist der wesentliche Grund dafür, warum wir dieses große Energieproblem haben, unter der die Wirtschaft in Deutschland so sehr leidet."
Die Vorreiterrolle, die Deutschland in Bezug auf die Energie-Sanktionen eingenommen hat, sei indes einzigartig. Beispielsweise hätten die Japaner zwar Boykotte verhängt, jedoch russisches Erdgas und Erdöl davon ausgenommen. Ebenso handelten Österreich und sogar Polen und die EU. In Deutschland könne man hingegen nicht zwischen Realpolitik und Moral unterscheiden, stellt Lüders fest. Stattdessen wähne man sich in Deutschland auf der "sicheren Seite des guten Gewissens", indem man die russischen Energieimporte ersatzlos streicht. Der Haken sei jedoch, dass sich der LNG-Import nicht rechne.
"Flüssigerdgas ist um ein Vielfaches teurer, als direkte Erdgasimporte aus Russland, die es nun nicht mehr geben wird, nicht zuletzt, weil Nord Stream 1 und 2 in die Luft geflogen sind."
Kapitalflucht ins Ausland
Die Folgen dieser zerstörerischen Energiepolitik versuche man zwar zu verheimlichen. Gleichzeitig stellt sie Deutschland als Exportnation vor ein "ganz massives Problem". Denn ohne bezahlbare Energie geht die Wirtschaft in Deutschland "in die Knie", so Lüders, der sich auf aktuelle Zahlren des Frankfurter Instituts für Wirtschaft beruft. Demnach haben ausländische Investoren im vergangenen Jahr über 130 Milliarden Euro aus Deutschland abgezogen, während lediglich 10,5 Milliarden Euro neu investiert worden seien.
"Das bedeutet, dass im Ausland die Sorge vorherrscht, dass die Wirtschaft Deutschlands sich auf absteigenden Ast befindet."
Angesichts der Kapitalflucht hält es Lüders für dringend notwendig, die Politik zu überdenken. Das würde allerdings bedeuten, dass man Fehler eingestehen müsste, wozu die Ampelkoalition womöglich weder willens noch bereit wäre. Für die Zukunft besteht daher die Gefahr, dass Russland die neuen Verkehrswege Richtung China und Indien so weit etabliert, dass es überhaupt nicht mehr auf den Energieexport nach Europa angewiesen sein wird. Deutschland hingegen drohe zum großen Verlierer dieser Entwicklung zu werden, indem es leichtsinnig seinen Wohlstand aus ideologischen Gründen ruiniert.
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