Von Pjotr Akopow
Der zweitägige Staatsbesuch von Joe Biden in Vietnam wurde in den Vereinigten Staaten mit großem Pomp präsentiert: Schaut euch an, welch hohes Niveau die Beziehungen zwischen den beiden Ländern erreicht haben, die vor einem halben Jahrhundert noch gegeneinander Krieg führten.
Nach den Gesprächen zwischen dem US-Präsidenten und Nguyễn Phú Trọng, dem Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Vietnams, erklärten beide Seiten, dass die bilateralen Beziehungen auf eine "umfassende strategische Partnerschaft" angehoben worden seien. Bis vor kurzem unterhielt Vietnam solche Beziehungen nur zu vier Ländern.
Biden und Nguyễn einigten sich unter anderem darauf, die "Verteidigungs- und Sicherheitsbeziehungen auszubauen", während der nationale Sicherheitsberater der USA Jake Sullivan am Vorabend des Besuchs erklärte, die Stärkung der Beziehungen spiegele die führende Rolle wider, die Vietnam im Bereich der US-Partnerschaft in der indopazifischen Region spielen werde. Drängen die gerissenen Amis die Vietnamesen also dazu, sich mit China anzulegen und sich von Russland zu entfernen?
Nein, natürlich nicht. Das heißt, die Amerikaner versuchen es zwar, aber sie haben überhaupt keine Chance. Ja, Vietnam ist an Technik und Investitionen aus den USA interessiert und die USA wollen einen Teil der Halbleiterproduktion aus China dorthin verlagern. Vietnam will Flugzeuge von Boeing kaufen und seine Exporte in die USA steigern. Aber es ist absolut nicht bereit, dafür seine nationalen Interessen und die Beziehungen zu alten Verbündeten wie Russland zu opfern. Und in den Beziehungen zu seinem großen Nachbarn China, mit einer mehr als komplizierten Geschichte, denn Vietnam war auch ein Vasall des Reiches der Mitte, wird man für die Amerikaner nicht die Kastanien aus dem Feuer holen.
Ja, Vietnam hat einen Streit mit China über Inseln im Südchinesischen Meer, und Hanoi ist nicht abgeneigt, die Anti-China-Haltung der Vereinigten Staaten zu nutzen, um Chinas Ambitionen zu bremsen. Aber ein neuer chinesisch-vietnamesischer Krieg wie im Jahr 1979, als Peking beschloss, Hanoi eine Lektion zu erteilen, weil es Truppen nach Kampuchea entsandt hatte, kommt nicht in Frage.
Vietnams Ziel ist es, ein Gleichgewicht der Beziehungen zu allen Großmächten herzustellen, das es ihm ermöglicht, sich sicher und gelassen zu fühlen. Man darf nicht vergessen, dass das Land Teil der ASEAN ist und in diesem Block südostasiatischer Staaten einen kriegerischen Ruf genießt: Denn während Vietnam versucht, sich vor der chinesischen Expansion nicht nur militärisch zu schützen, sind Thailand, Malaysia, Singapur und andere über die "vietnamesische Bedrohung" besorgt. Ein Mythos? Im Moment ja, aber angesichts der Erfahrungen Vietnams in Kampuchea haben seine Nachbarn ihre eigene Vorstellung von den Risiken für ihre Sicherheit.
Auf jeden Fall will Vietnam ein Gleichgewicht der Kräfte in der Region und wird nicht zum Spielball der Interessen irgendeines äußeren Akteurs werden. Nguyễn erinnerte Biden daran, dass sein Land eine Verteidigungspolitik mit vier "Neins" verfolge: Keine Militärbündnisse, keine Zusammenarbeit mit einem Land gegen ein anderes, keine ausländischen Militärbasen auf vietnamesischem Gebiet und keine Anwendung oder Androhung von Gewalt in internationalen Beziehungen. Die Amerikaner wissen dies bereits, versuchen aber dennoch, Hanoi in ihre Vereinigungen einzubeziehen. Dabei überschätzen sie ihren Einfluss und unterschätzen den Grad der Autonomie der vietnamesischen Eliten. Ian Storey, Senior Fellow am Institute of Southeast Asian Studies (ISEAS) in Singapur, ist der Meinung, dass sich die USA "in gewisser Weise Illusionen über Vietnam" machen. Er stellt fest:
"Ich bin mir nicht sicher, ob die USA voll und ganz verstehen, wie komplex die Beziehungen Vietnams zu China sind und wie tief seine Beziehungen zu Russland sind. Diese Punkte nicht zu verstehen, könnte die USA in eine schwierige Lage bringen."
Storeys Meinung wird in einem Artikel der New York Times mit dem Titel "Vietnam Wants to Secretly Make Arms Deal with Russia Despite Hanoi's Deepening Ties with the U.S." zitiert, der dem Besuch Bidens in Hanoi gewidmet ist. Vietnam werde eine Menge Waffen von den Russen kaufen, obwohl die USA Sanktionen gegen die Käuferländer verhängt haben. Was für eine Überraschung!
Man kann unmöglich glauben, dass die Vereinigten Staaten vergessen haben, dass Vietnam seit den 1950er-Jahren ein Verbündeter und ein wichtiger Abnehmer unserer Waffen ist. Genauso wenig ist es vorstellbar, dass Washington Hanoi ernsthaft mit Sanktionen für neue Verträge mit Moskau drohen kann. Natürlich werden die Vereinigten Staaten keine Sanktionen gegen Vietnam verhängen. So wie sie sie beispielsweise auch nicht gegen Indien verhängen, einen weiteren großen Abnehmer russischer Waffen. Sie versuchen, das Land mit ihren Waffenlieferungen zu locken und sagen: Gebt die Käufe russischer Waffen auf und kauft amerikanische.
Hanoi wird aber einen alten, bewährten Partner nicht gegen einen neuen eintauschen. Zumal man weiß, dass die USA daran interessiert sind, Vietnam nicht einfach so, sondern gegen China aufzurüsten. Gleichzeitig können die Vietnamesen einige einzelne Waffentypen von den USA kaufen. Ihr enormer Handelsumsatz mit den USA – im vergangenen Jahr erreichte er 124 Milliarden US-Dollar – ermöglicht ihnen dies. Die Amerikaner machen sich jedoch Sorgen über die russischen Waffenlieferungen. Ihren Angaben zufolge handelt es sich um einen Vertrag im Wert von acht Milliarden US-Dollar.
Hanois Verbundenheit mit Moskau hat nicht nur historische Gründe, sondern auch ein nüchternes geopolitisches Kalkül. Obwohl auch der persönliche Faktor eine große Rolle spielt: Generalsekretär Nguyễn hat immerhin einen noch sowjetischen akademischen Titel des Kandidaten der Geschichtswissenschaften inne.
Was die "umfassende strategische Partnerschaft" mit den Vereinigten Staaten betrifft, so sollte man sich in Erinnerung rufen, mit welchen anderen Ländern Vietnam ebenso enge Beziehungen unterhält. Es sind China, Russland, Indien und Südkorea. Das heißt, sowohl Moskau als auch Peking stehen seit langem auf der Liste der engsten Partner des Landes. Es wird erwartet, dass der chinesische Präsident Xi Jinping dieses Jahr Hanoi besuchen wird, und es wird sogar von einer möglichen Reise des russischen Präsidenten Wladimir Putins nach Vietnam gesprochen.
Natürlich fühlt sich Vietnam geschmeichelt von der Aufmerksamkeit der Großmächte für das Hundert-Millionen-Einwohner-Land. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass das Land seine (zweifellos wachsenden) Fähigkeiten und Ambitionen mit der internationalen Lage in Einklang zu bringen weiß. Vietnam hat auf seinem eigenen Territorium ein Vierteljahrhundert lang Krieg geführt. Und dieser Krieg war zum Teil ein Stellvertreterkrieg zwischen der UdSSR und China auf der einen und den USA auf der anderen Seite. Wenn Washington – bewusst oder unbewusst – den Weg zu einer neuen Auseinandersetzung mit Moskau und Peking ebnet, wird dies sicherlich nicht auf Kosten Vietnams geschehen. Das neue Vietnam wird weder zu einer "asiatischen Ukraine" noch zu einem "zweiten Vietnam" werden.
Übersetzt aus dem Russischen. Erstveröffentlichung am 12. September 2023 bei RIA Nowosti.
Pjotr Akopow ist Kolumnist und Analytiker bei RIA Nowosti.
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