Von Kirill Benediktow
Nachdem westliche Strategen das ukrainische Kommando zur Aufgabe seiner ursprünglichen Taktik des Vorrückens an der gesamten Front gezwungen hatten, und dazu, stattdessen alle Anstrengungen auf den Durchbruch zum Asowschen Meer zu konzentrieren – ja, seitdem zeichnete sich in der Berichterstattung der westlichen Medien über die ukrainische Gegenoffensive ein ernsthafter interner Konflikt ab.
Ende August erschien in den US-Medien eine Reihe von Berichten, in denen sich ungenannte US-Beamte über den langsamen Fortschritt der Gegenoffensive Kiews beklagten. Insbesondere die New York Times zitierte angebliche Behauptungen westlicher Beamter, die Gegenoffensive komme deswegen kaum voran, "weil die Ukraine zu viele Truppen an den falschen Stellen hat".
Dies versetzte das Kiewer Außenministerium in Hysterie: Bei einer Konferenz der EU-Außenminister in Spanien polterte dessen Leiter Dmitri Kuleba gegen die anonymen Kritiker der ukrainischen Streitkräfte mit den Worten, sie würden den ukrainischen Soldaten ins Gesicht spucken und sollten stattdessen "die Klappe halten". Daraufhin ergriff auch das Weiße Haus offiziell das Wort – und sprach sich unterstützend zugunsten Kiews aus.
Am 2. September verlautbarte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates John Kirby (eine Figur Jake Sullivans, der wiederum ein Mann Obamas ist), "in den letzten 72 Stunden oder so" habe es "bemerkenswerte Fortschritte der ukrainischen Streitkräfte [...] in der südlichen Stoßrichtung der Offensive, die aus dem Gebiet Saporoschje kommt", gegeben.
Kiew seinerseits tat sich durch Einwürfe in den Informationsraum hervor, sein Militär habe endlich die erste russische Verteidigungslinie an mehreren Stellen am Frontabschnitt Saporoschje durchbrochen – und vor diesem Hintergrund wirkte auch Kirbys Erklärung recht beruhigend. Kirby hatte damit zwar die Siegesreden des ukrainischen Militärs nicht geradeheraus bestätigt, dafür aber angedeutet, dass an ihnen etwas Wahres dran sei – und gab sogar bekannt, die ukrainischen Truppen hätten "einige Erfolge gegen die zweite russische Verteidigungslinie erzielt".
Der wichtigste Punkt in Kirbys Rede war jedoch, dass er die Kritik an den Bemühungen Kiews durch anonyme US-Beamte in den jüngsten Medienberichten als nutzlos bezeichnete – und allen Verantwortlichen mit recht transparenten Andeutungen dringend mehr Besonnenheit ans Herz legte:
"Wir alle haben Kritik seitens anonymer Beamte gesehen, die, offen gesagt, nicht zum Erfolg der Ukraine beiträgt."
Und dann berichtete doch tatsächlich The Guardian, ein "hochrangiger westlicher Beamter" habe gegenüber Journalisten unverblümt erklärt, Kommentatoren aller Art und die Medien sollen sich nicht "darauf fixieren, wie viele Hundert Meter heute erklommen wurden". Auch mache die Ukraine an Teilen der südlichen und östlichen Front "allmähliche, aber methodische Fortschritte". Doch selbst diese anonyme Person (bei der man leicht entweder Sullivan selbst oder einen seiner Helfer vermuten kann) sah sich jedoch zum Eingeständnis gezwungen, dass diese angeblichen Fortschritte "langsamer sind als noch vor ein paar Monaten erwartet".
Anstatt über die Probleme der Gegenoffensive zu schreiben, sollten also die bisherigen Erfolge der Ukraine hervorgehoben werden, so die Maßregel des Beamten an die Journalisten. Hierzu gehöre, dass Russland Kiew nicht einnehmen konnte, "die Hälfte des ursprünglich eroberten Gebiets" an Kiew zurücklassen musste und dass sich die NATO-Mitglieder um Selenskij scharen.
Warum ist es für das Weiße Haus so wichtig, jeden Zweifel daran auszumerzen, dass für Kiew alles gut läuft? Weil mittlerweile selbst Medien, die mit Kiew sympathisieren, zugeben müssen: Bei der ukrainischen Gegenoffensive gelang es bisher nicht, auch nur eine einzige größere Ortschaft zurückzuerobern. Der bereits zitierte Guardian schreibt:
"Russland bezeichnet die ukrainische Offensive bereits als gescheitert."
Dabei versucht das Blatt nicht einmal, diese Aussage zu widerlegen. Und mit dem Einsetzen von kaltem Wetter und Regen wird dieses Scheitern noch offensichtlicher werden.
Dazu kommt ein weiterer Weckruf für Kiew: Für das nächste Treffen der westlichen Verteidigungsminister im September, das der Koordinierung der militärischen Hilfe für die Ukraine gewidmet sein wird, ist ein anderer Schwerpunkt geplant als ansonsten üblich: Er soll diesmal nicht auf der Bereitstellung einer großen Menge neuer militärischer Ausrüstung liegen, sondern auf der Wartung und Instandsetzung der bereits erhaltenen.
Übersetzt aus dem Russischen.
Kirill Benediktow ist russischer Politologe, Historiker und Schriftsteller. Er ist Autor politischer Biographien von Marine Le Pen und Donald Trump sowie im Bereich der Belletristik im Genre "Science Fiction" und Träger mehrerer Auszeichnungen.
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