Am Freitag fand im Rahmen des Allrussischen Treffens der katholischen Jugend in Sankt Petersburg eine Videokonferenz mit Papst Franziskus statt. Im Rahmen der Veranstaltung wandte sich Franziskus mit einer Rede an die Versammelten und antwortete auf deren Fragen. In seinem Redebeitrag rief er die jungen Menschen dazu auf ‒ offenbar im Hinblick auf den russisch-ukrainischen Konflikt ‒, "die Handwerker des Friedens" zu sein. Er sagte:
"Ich wünsche euch, junge Russen, die Berufung, inmitten der vielen Konflikte und Polarisierungen, die von allen Seiten auf unsere Welt niederprasseln, Handwerker des Friedens zu sein. Ich lade euch ein, Saatgut der Versöhnung auszustreuen, kleine Samen, die in diesem Kriegswinter im gefrorenen Boden noch nicht keimen, aber eines Tages im Frühling erblühen werden."
Vor der Segnung am Ende der Veranstaltung wünschte er den jungen russischen Katholiken, "ihre Art, russisch zu sein", zu bewahren. Zahlreiche kirchennahe Medien zitieren den Papst mit den folgenden Worten:
"Vergesst niemals euer Erbe. Ihr seid die Erben des großen Russlands: des großen Russlands der Heiligen, der Herrscher, des großen Russlands Peters des Großen, Katharinas der Großen, dieses Reiches ‒ groß, aufgeklärt, [ein Land] großer Kultur und großer Menschlichkeit. Gebt dieses Erbe niemals auf, ihr seid die Erben der großen Mutter Russland, macht damit weiter. Und ich danke euch. Danke für eure Art zu sein, für eure Art, Russen zu sein."
Laut Angaben der Römisch-katholischen Kirche in Russland leben im Land 600.000 Katholiken, wobei nur zehn Prozent von ihnen aktive Gläubige seien. Zum fünftägigen Allrussischen Jugendtreffen in Sankt Petersburg wurden 400 junge Katholiken aus dem ganzen Land entsandt. Das Forum fand vom 23. bis 27. August statt und war eine Art Fortsetzung des Welttreffens der katholischen Jugend, das Anfang August in Lissabon stattfand.
Mehrere Teilnehmer, die nach ihren Eindrücken gefragt wurden, berichteten über ihre Begeisterung von der Videokonferenz mit dem Papst. "Der Papst war sehr einfühlsam, von ihm ging positive Energie aus. Und er liebt Russland, das ist das Wichtigste", sagte etwa eine junge Frau.
Auch in den russischen orthodoxen Kreisen wurden die Worte des Papstes mit Wohlwollen rezipiert. Es gab aber auch kritische Reaktionen. "Der Papst spricht zu Recht von der Größe des russischen Reiches, von der großen russischen Geschichte. Aber wen ruft er auf, Erben dieser Geschichte zu sein? Die Katholiken. Die Orthodoxen erwähnt er nicht einmal, wobei er sagen könnte, ihr seid zusammen mit euren orthodoxen Brüdern Erben der großen russischen Geschichte", schreibt das national-konservative Portal Ruskline.
Das Lob sei viel eher der Ausdruck einer diplomatischen List des Papstes, der den Prozess der Friedensregulierung im Ukraine-Konflikt anführen will. Damit verhalte er sich vorausschauend, da er im Unterschied zu sehr vielen im Westen die Tatsache anerkennt, dass Russland nicht geschwächt, sondern gestärkt aus dem Konflikt hervortreten wird. Russland dürfe nicht auf die Schmeicheleien des Papstes hereinfallen.
"Der Papst hat praktisch nichts unternommen, um die Verfolgung der kanonischen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche zu stoppen, während aktiv daran gearbeitet wird, die Griechisch-katholische Kirche den Schismatikern der sogenannten Orthodoxen Kirche der Ukraine näherzubringen. Es wäre also sehr, sehr voreilig, den Papst und den Vatikan für eine Art Friedenstaube zu halten."
Seit Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine hat Papst Franziskus die Seiten wiederholt zu Verhandlungen aufgefordert und seine Bereitschaft bekundet, ein Garant für den Frieden in der Ukraine zu werden. Im Oktober forderte der Pontifex den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, "diese Spirale der Gewalt und des Todes zu stoppen, auch um seines eigenen Volkes willen", und appellierte an Selenskij, "offen für ernsthafte Friedensvorschläge zu sein".
Anfang Mai sagte Franziskus, er sei an einer Friedensmission für die Ukraine beteiligt, nannte aber keine Einzelheiten. Im selben Monat traf er sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij in Rom. Im Mai vergangenen Jahres hatte Papst Franziskus die Frauen der Asow-Kommandeure empfangen und die ukrainische Kampfflagge aus Mariupol geküsst.
In mehreren Interviews stellte er jedoch das westliche Narrativ hinsichtlich der Ursache des Konflikts infrage und wies darauf hin, dass der Krieg, der inzwischen "ein Weltkrieg" sei, von mehreren Seiten angeheizt werde. Dafür wurde er in der Ukraine stark kritisiert. Selenskij sagte hingegen bei seinem letzten Treffen mit Franziskus, die Ukraine sei "sehr daran interessiert", den Vatikan an der Umsetzung ihrer Friedensinitiative zu beteiligen. Russland schloss Verhandlungen auf der Grundlage von Selenskijs sogenannter "Friedensformel" aus, da sie faktisch die "Kapitulation" Russlands als Vorbedingung voraussetzt.
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