Von Irina Alksnis
Die Aktivitäten der türkischen Seite nehmen nicht täglich, sondern stündlich an Fahrt auf. Aus Ankara strömen ununterbrochen offizielle Erklärungen und Erkenntnisse. Letztere werden immer zahlreicher. Das Neueste: Türkischen Medien zufolge wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in den kommenden Tagen zu Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin nach Russland reisen.
Grund sei die Notwendigkeit, den Getreide-Deal wiederaufzunehmen. Und nach den enormen Bemühungen der Türken in dieser Richtung zu urteilen, scheint dies für sie eine Angelegenheit von grundlegender Bedeutung zu sein.
Allerdings gibt es hierbei ein Problem: Es gibt praktisch keine Reaktion aus Russland, und all diese subtilen Andeutungen, transparenten Botschaften und sogar direkten Vorschläge laufen ins Leere, ohne in Moskau Beachtung zu finden.
Und Erdoğan hat sich die Schuld an dieser Situation nur selbst zuzuschreiben. Er hat alles in seiner Macht Stehende getan, um die Situation in den jetzigen Zustand zu bringen.
Ich möchte an den faszinierenden Ablauf der Ereignisse der letzten Monate erinnern.
Russland wurde durch den Getreide-Deal benachteiligt, weil der Westen die Bedingungen für die Beteiligung Moskaus an dem Abkommen nicht erfüllt hat. Es gab mehrere Gründe, warum die russische Seite der Verlängerung des Abkommens wiederholt zustimmte, und einer davon war der Wunsch, Erdoğan in einem für ihn sehr schwierigen Wahlkampf zu unterstützen. Es mag viele Beschwerden über den türkischen Staatschef geben, ein souveräner Staatschef ist jedoch immer noch besser als eine Marionette Washingtons.
Erdoğan wurde im Mai erfolgreich wiedergewählt. Das Getreideabkommen lief am 17. Juli aus – zwei oder drei Wochen vor diesem Datum war jedoch schon klar, dass Moskau diesmal keine weitere Verlängerung anstreben würde, wenn seine Bedingungen nicht erfüllt werden. Am 8. Juli übergab Erdoğan der Ukraine die Kommandeure der rechtsradikalen Brigade Asow, die – auf seine persönliche Garantie hin – bis zum Ende des Konflikts in der Türkei bleiben sollten.
Damals wurde sofort vermutet, dass der türkische Staatschef, als er von der bevorstehenden Auflösung des Getreide-Deals erfuhr, Moskau im Voraus "Steine in den Weg legen" wollte und damit sein Wort brach. In Russland kam es damals zu einem großen Skandal, und die Führung des Landes sah sich den schärfsten Anschuldigungen ausgesetzt. Erdoğan goss mit seinen Äußerungen, die fast schon beleidigend klangen, Benzin ins Feuer. So sagte er beispielsweise, dass er das Thema des Getreide-Deals mit Putin im August bei dessen Besuch in der Türkei besprechen werde. Es wirkte, als würde er den russischen Präsidenten "in sein Büro rufen", um ihn zurechtzuweisen.
Allerdings gilt es, wie immer bei Putin, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.
Der August ist fast vorbei und die türkische Seite scheint langsam zu begreifen, dass Putin nun doch nicht kommt. Vor einigen Tagen gab es inoffizielle Informationen aus Ankara, dass der russische Staatschef im September anreisen könnte. Moskau hat jedoch offenbar deutlich gemacht, dass man auch damit nicht rechnen sollte. Jetzt erkundet die türkische Seite die Möglichkeit eines Besuchs von Erdoğan selbst in Russland. Und den fieberhaften Aktivitäten nach zu urteilen, haben es die Türken ganz schön eilig.
Recep Tayyip Erdoğan ist eine herausragende Führungspersönlichkeit, die ein phänomenales Talent dafür zeigt, in den turbulenten Gewässern der Weltpolitik zu manövrieren und erfolgreich um Vorteile und Chancen für sein Land zu verhandeln. Doch genau das ist vielleicht seine größte Schwachstelle: Während er sich bietende Gelegenheiten für unmittelbare taktische Erfolge brillant ausnutzen kann, verliert er die strategische Perspektive aus den Augen.
Ja, vor anderthalb Monaten hat Erdoğan die russische Führung und Putin persönlich vor den Kopf gestoßen, indem er die Asow-Kämpfer freigab und damit seine Zusagen brach. Jedoch ist hinreichend bekannt, dass der russische Präsident äußerst sensibel ist, wenn es darum geht, dass jemand nicht sein Wort hält.
So löste sich nur anderthalb Monate später die Freude der Türken darüber, Russland ein Bein gestellt zu haben, in Luft auf. Doch nun stehen Sie vor dem Problem der leeren Wand, auf die Ankara in seinen Beziehungen zu Moskau starrt.
Man darf gespannt sein, wie die Türkei versuchen wird, diese Mauer niederzureißen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 22. August 2023.
Irina Alksnis ist eine russische Politologin und Publizistin. Sie stammt aus einer prominenten lettisch-sowjetischen Politikerdynastie ab.
Mehr zum Thema – Erdoğan will Fortsetzung der Getreideinitiative sicherstellen und kündigt Gespräch mit Putin an