Die japanische Regierung setzt Pläne ausgehend von einem Ministertreffen im Januar dieses Jahres um, nach denen ab Donnerstag dieser Woche rund 1,34 Millionen Tonnen radioaktiv belastetes Kühlwasser aus dem zerstörten Kernkraftwerk Fukushima Daiichi in den Pazifischen Ozean abgelassen werden. Japans Premierminister Fumio Kishida gab dies am Dienstag nach einem Treffen mit den zuständigen Kabinettsministern bekannt, so DPA Asia berichtend.
Der Premierminister teilte demnach mit, dass die Einleitung des Wassers in den Pazifik "eine Angelegenheit darstelle, die keinen Aufschub duldet". Die japanische Atomaufsichtsbehörde hatte jüngst grünes Licht für die umstrittene Freisetzung gegeben. Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) stellt die Einleitung des Wassers keine Gefahr für Mensch und Umwelt dar. Die immensen Wassermengen sollen nun über ein eigens auf dem Gelände des AKW angelegtes, mehr als einen Kilometer langes Rohrs, ins Meer geleitet werden. Für den gesamten Prozess sind dabei mehr als 30 Jahre vorgesehen.
Am 11. März 2011 ereignete sich ein Erdbeben und anschließender Tsunami in der Region Fukushima an der Ostküste Japans. Die Fluten lösten eine katastrophale Ereigniskette im ortsansässigen Atomkraftwerk Fukushima aus. Es kam zu Zerstörungen, woraufhin die Mitarbeiter kontinuierlich Wasser durch die zerstörten Reaktoren pumpten, um damit den Kernbrennstoff zu kühlen, von dem ein Großteil geschmolzen war. Das entstandene Kühlwasser nahm dabei Radio Nuklide auf. Dieses wurde durch ein speziell entwickeltes Verfahren aufgefangen und gefiltert, um danach mit dem kontaminierten Kühlwasser in Spezialtanks auf dem Gelände gelagert zu werden. Zurzeit wird das Wasser in mehr als 1.000 Tanks auf dem Gelände der Anlage gelagert.
Nun sollen die Tankinhalte erneut gereinigt und gefiltert werden, wobei jedoch final das radioaktive Tritium nicht entfernt werden kann. Ein Heise-Artikel erläutert diesbezüglich:
"Tritium ist ein radioaktives Isotop, das zusätzlich zu dem einen Proton, das den Wasserstoff ausmacht, noch zwei Neutronen im Kern hat. Diese zwei Neutronen verleihen dem Tritium sein hohes Gewicht und geben ihm den Beinamen "superschwerer" Wasserstoff. Tritium ist zwar nicht hochgradig radiotoxisch, kann jedoch im Körper gespeichert werden. Die Konzentration soll auf 1500 Becquerel pro Liter verdünnt werden."
DPA Asia informiert, dass das verantwortliche Unternehmen TEPCO zudem plant, die Abfälle mit großen Mengen Meerwasser zu verdünnen, "um den Tritiumgehalt unter die behördlichen Normen für Trinkwasser zu senken, bevor die Abfälle durch das Rohr ins Meer geleitet werden". Kritiker des Vorhabens beklagen, dass die zu erwartenden Risiken nicht detailliert genug untersucht wurden. Die Zusicherungen von TEPCO werden "durch die Quantität und Qualität der Daten nicht gestützt", so der Ozeanograf Ken Buesseler von der Woods Hole Oceanographic Institution. Robert Richmond, Meeresbiologe an der Manoa Universität Hawaii, kritisiert zudem, dass die geplante Vorgehensweise "einen schrecklichen Präzedenzfall schaffen würde".
Laut Atomenergiebehörde könnten "die Auswirkungen der Maßnahme auf Mensch und Umwelt vernachlässigbar" sein. "Ein für Trinkwasser unbedenklicher Wert klingt beruhigend, ist aber immer noch tausendmal höher als der natürliche Wert im Meerwasser", so Meeresbiologe Richmond argumentierend. Weiter heißt es laut DPA Asia:
"Außerdem wird das Wasser jahrzehntelang an einer einzigen Stelle abgeleitet, sodass sich Tritium, das in tierischem und pflanzlichem Gewebe gebunden werden kann, und andere radioaktive Isotope weiterhin in Meeresorganismen anreichern und über die Nahrungskette zu Fischen und Menschen gelangen können."
Scharfe Bedenken äußern vor allem die japanischen Fischereiverbände. Sie befürchten, dass der Ruf ihrer Produkte damit fortdauernd weiter leidet. Ferenc Dalnoki-Veress, Experte für Messungen niedriger Radioaktivitätskonzentrationen am Middlebury Institute of International Studies in Monterey, Kanada, hinterfragt:
"Auch andere Radionuklide könnten durchschlüpfen. Was ist im Wasser? Das wissen wir nicht wirklich."
AKW-Besitzer TEPCO hätte laut Dalnoki-Veress lediglich "aus einem Viertel der Tanks kleine Wasserproben entnommen" und dabei nur die Konzentrationen von Tritium und einer begrenzten Anzahl anderer Radionuklide gemessen:
"Strontium-90 und Cäsium-137, radioaktive Produkte der Kernspaltung, wurden jedoch in sehr unterschiedlichen Konzentrationen nachgewiesen", was damit Fragen darüber aufwerfen würde, wie gut das Filtersystem funktioniert – TEPCO behauptet, dass durch weitere Filterung mehr der Radionuklide aufgefangen werden."
Henry Puna, Generalsekretär des Pacific Islands Forum, einem Forum von 16 Inselstaaten des Pazifiks, kommentierte auf einem jüngsten Treffen: "Es sollte keine Ableitung geben, bevor nicht alle Parteien mit wissenschaftlichen Mitteln überprüft haben, dass sie sicher ist". Die "U.S. National Association of Marine Laboratories" spricht sich laut DPA Asia ebenfalls gegen die Pläne aus. Das von der Gates-Stiftung kofinanzierte Nachrichtenmagazin Der Spiegel zitiert einen "Umweltwissenschaftler Jim Smith", der "die Maßnahme derweil für unbedenklich hält". Weiter heißt es im Artikel:
"Selbstverständlich seien die Fischer besorgt. Jedoch: 'Die Sorgen um Meerestiere, die vor der japanischen Küste gefangen werden, sowie von Menschen, die im Meer baden, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage', sagte Smith dem Spiegel."
Hisayo Takada von der Umweltschutzgruppe Greenpeace Japan hält dem entgegen: "Wir sind zutiefst enttäuscht und empört über die Ankündigung der japanischen Regierung, radioaktiv belastetes Wasser in den Ozean zu leiten". Die japanische Regierung habe sich "über die Bedenken von Fischern, Bürgern und der internationalen Gemeinschaft, insbesondere in der Pazifikregion und den Nachbarländern, hinweggesetzt".
China und Russland sind laut DPA Asia ebenfalls gegen die Wasserverklappung und haben einem Bericht der Nachrichtenagentur Kyodo Tokio zufolge dafür plädiert, "das Kühlwasser verdampfen zu lassen und so in der Atmosphäre zu entsorgen". Dieser Vorschlag wird seitens Japan nicht in Erwägung gezogen.
Eine Gruppe unter der Leitung von Núria Casacuberta Arola, Ozeanografin an der ETH Zürich, hatte bereits im November 2022 vor der Küste von Fukushima Wasserproben entnommen, die nun die Ausgangskonzentrationen von Tritium und anderen Radionukliden liefern werden, mit denen etwaige Veränderungen verglichen werden können. Meeresbiologe Richmond stellt nüchtern fest: "Die Überwachung verhindert dabei nicht, dass Probleme auftreten, sondern zeigt auf, wenn Probleme auftreten."
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