Von Thomas Röper
Der Vertrag über den Gastransit, der russisches Gas durch die Ukraine in die EU leitet, wurde Ende 2019 geschlossen und läuft Ende 2024 aus. Schon am 1. Juni hat der österreichische Standard gemeldet, dass die Ukraine mitgeteilt habe, den Vertrag nicht verlängern zu wollen. Das war jedoch nur eine Randnotiz, die keine nennenswerten Schlagzeilen gemacht hat.
Nun gab es für die ukrainische Entscheidung eine offizielle Bestätigung, denn der ukrainische Energieminister German Galutschenko hat gegenüber dem US-amerikanischen Staatssender Voice of America deutlich gemacht, dass Kiew keine Gespräche mit Russland über eine Verlängerung des Vertrages führen will. Er sagte:
"Wir werden ganz sicher nicht an Gesprächen mit den Russen teilnehmen, das ist absolut klar. Das nächste Jahr wird zeigen, ob Europa ohne russisches Gas auskommen kann."
Diese Meldung war den deutschen Medien jedoch keine Schlagzeilen wert, mehr noch, den meisten deutschen Medien war das nicht einmal einen kurzen Artikel oder auch nur eine Kurzmeldung wert. Der Spiegel oder die Zeit beispielsweise haben darüber nur eine Kurzmeldung in ihren Newstickern zur Ukraine-Krise gebracht, wobei der Spiegel die Meldung so unwichtig fand, dass er sie nicht einmal in der Überschrift des Newstickers erwähnt hat.
Das ist bemerkenswert, denn die ukrainische Entscheidung wird erstens die Energiepreise in der EU weiter erhöhen und zweitens kann sie im Winter 2024/2025 den endgültigen Todesstoß für die deutsche Industrie bedeuten. Das mag auf den ersten Blick merkwürdig klingen, weil Deutschland doch aufgrund der Entscheidungen der Bundesregierung ohnehin kein russisches Gas mehr bezieht. Daher müssen wir uns genauer anschauen, was die Meldung bedeutet.
Der Gastransit
Da die Bundesregierung schon letztes Jahr die Entscheidung getroffen hat, auf russisches Gas zu verzichten, und die Nord Streams ohnehin zerstört wurden, könnte man meinen, die ukrainische Entscheidung, den Gastransit im Winter 2024/2025 zu beenden, hätte keine Auswirkungen auf Deutschland. Das stimmt jedoch nicht.
Wir müssen uns daran erinnern, dass das russische Gas, das durch die Ukraine in die EU kommt, die osteuropäischen Länder versorgt. Auch Österreich bezieht den Großteil seines Gases traditionell durch die ukrainische Pipeline. Diese Länder liegen im Binnenland, sie haben also keine Häfen, in denen sie LNG-Terminals bauen könnten. Das bedeutet, dass sie ihren Gasbedarf zukünftig über den Import aus den LNG-Terminals anderer EU-Staaten befriedigen müssten. Deutschland müsste also Gas, von dem es in Deutschland ohnehin zu wenig gibt, an andere Staaten abgeben.
Die deutsche Industrie "drosseln oder gar abschalten"
Sollten Sie sich nun fragen, warum ich sage, dass Deutschland das tun "müsste", sei an die Aussagen von Bundeswirtschaftsminister Habeck erinnert, der Mitte Juni erklärte:
"Würde das russische Gas nicht in dem Maße, wie es noch immer durch die Ukraine fließt, nach Osteuropa kommen, gilt, was europäisch verabredet wurde: Bevor die Leute dort frieren, müssten wir unsere Industrie drosseln oder gar abschalten."
Dass die EU und ihre Mitglieder in der Lage sein werden, bis Ende 2024 genug Alternativen für das russische Gas zu finden, das derzeit noch durch die Ukraine in die EU kommt, ist unwahrscheinlich. Deutschland hat seinen Gasverbrauch gesenkt, das ging aber nur durch die Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken und durch den Import von Strom aus europäischen Nachbarländern. Die Energiekrise ist längst keine "russische Propaganda" mehr, denn inzwischen nennt sogar der Spiegel die Energiekrise als ersten Grund für die Wirtschaftskrise in Deutschland. Und sogar von der drohenden Deindustrialisierung Deutschlands kann man im Spiegel inzwischen etwas lesen.
Egal, wie man es dreht und wendet, nach dem Auslaufen des Gastransitvertrages mit der Ukraine wird sich die Energiekrise in Europa verschlimmern, wobei sich die osteuropäischen Länder jedoch darauf verlassen können, dass Deutschland notfalls seine Industrie abschaltet, um ihnen fehlendes Gas zu liefern.
Außerdem dürfte die Entscheidung Kiews in Erwartung der Verschärfung der europäischen Energiekrise schon im Laufe des Jahres 2024 zu steigenden Preisen führen.
"Russische Propaganda" stellt sich mal wieder als wahr heraus
Die deutschen Medien verschweigen es konsequent, aber der ukrainische Gastransit war immer problematisch und das Problem war die Ukraine und nicht Russland. Die Ukraine hat den Gastransit immer wieder als Druckmittel gegen die EU eingesetzt und den Transit sogar manchmal unterbrochen, um ihre Forderungen durchzusetzen. Das verschweigen die deutschen Medien in der Regel und behaupten im Gegenteil wahrheitswidrig, es sei Russland, das sich so verhält. Schon 2018 habe ich die Chronologie der Gaskrisen der Vergangenheit zusammengefasst, die eindeutig zeigt, wer für die Probleme der Vergangenheit verantwortlich war. Den Artikel finden Sie hier.
Unter anderen aus diesem Grund wurden die Nord Stream gebaut: um der Abhängigkeit des unzuverlässigen ukrainischen Gastransits zu entkommen, wobei noch hinzukommt, dass die Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit nicht in die Instandhaltung ihrer Transitpipeline investiert hat, weshalb sie inzwischen als ausgesprochen marode gilt.
Dass die Ukraine für die EU ein unsicheres Transitland ist, zeigt die aktuelle Erklärung des ukrainischen Energieministers, den Gastransit beenden zu wollen, was die angebliche "russische Propaganda" einmal mehr bestätigt. Aus seiner Aussage kann man sogar eine gewisse Schadenfreude heraushören, wenn er hinzufügt, das nächste Jahr werde zeigen, "ob Europa ohne russisches Gas auskommen kann".
Schon alleine diese Formulierung ist ein guter Grund für deutsche und europäische Medien, die Meldung und den Wortlaut seiner Erklärung nicht zu thematisieren, denn es dürfte viele Menschen geben, die das – diplomatisch ausgedrückt – als Undankbarkeit und sehr unfreundlichen Akt Kiews auffassen könnten, wenn man bedenkt, wie viele Milliarden die EU und ihre Mitgliedsstaaten der Ukraine in den letzten anderthalb Jahren geschenkt haben.
Da die EU beschlossen hat, ab 2027 komplett auf russisches Gas verzichten zu wollen, hätte Kiew einen neuen Transitvertrag zumindest bis 2027 abschließen können, anstatt der EU in den Rücken zu fallen und die bestehende Energiekrise noch zu verschärfen.
Die westliche Propaganda bloßgestellt
Hinzu kommt, dass die Kiewer Entscheidung einen früheren Eckpfeiler der westlichen Propaganda bloßstellt. Wir erinnern uns: Nord Stream 2 wurde seinerseits kritisiert, weil die Pipeline angeblich den Gastransit durch die Ukraine ersetzen sollte, den die bösen Russen angeblich stoppen wollten, obwohl die arme und bedauernswerte Ukraine doch so dringend auf die Einnahmen aus den Transitgebühren angewiesen war.
Erstens hatten die Russen nie solche Pläne, weil es ihr Interesse war, möglichst viel Gas nach Europa zu verkaufen. Da wäre es kontraproduktiv gewesen, den Transit durch die Ukraine abzuschalten. Und zweitens zeigt sich nun, dass es eine gute Idee war, eine Umleitung um die Ukraine herumzubauen, weil sich Kiew jetzt als genau der unsichere Transit-Partner entpuppt hat, vor dem seine Kritiker immer gewarnt haben.
Noch interessanter ist drittens: Offenbar wird die Ukraine von der EU so derartig mit Geld zugeworfen, dass sie auf die Milliardeneinnahmen aus dem Gastransit verzichten kann. Anscheinend hat die ukrainische Regierung auf Jahre hinaus so hohe finanzielle Zusagen aus Brüssel, Berlin und anderen westlichen Hauptstädten bekommen, dass sie auf die Milliardeneinnahmen aus dem Gastransit verzichten kann.
Die Frage ist, woher in Zukunft all das Geld kommen soll, wenn die Wirtschaft der EU-Staaten weiterhin so planmäßig an die Wand gefahren wird wie in den letzten Jahren, wozu die Ukraine mit ihrer aktuellen Entscheidung einen wichtigen Teil beiträgt. Aber anscheinend denken die europäischen und ukrainischen Politiker nicht so weit in die Zukunft.
Turkish Stream
Vor einigen Jahren wurde die Pipeline Turkish Stream gebaut und in Betrieb genommen, über die zum Beispiel Ungarn und Serbien nun billiges russisches Gas beziehen. Diese Länder können sich freuen, denn zumindest bisher geht die europäische Energiekrise an ihnen weitgehend vorbei.
Allerdings gab es in den letzten Monaten immer wieder versuchte Anschläge auf die Pipeline, hinter denen die Ukraine steckte, was dort auch relativ offen eingestanden wurde. Sollte ein Anschlag erfolgreich sein, könnte Habeck die deutsche Wirtschaft sogar noch früher abschalten, denn dann dürften in Osteuropa schnell die Lichter ausgehen. Wie man die in Kiew regierenden Amokläufer in europäischen Hauptstädten als "Freunde" bezeichnen kann, wird das Geheimnis der europäischen Politiker bleiben. Wenn Habecks Amtszeit als Wirtschaftsminister eines Tages abläuft, kann er in seinen alten Beruf als Kinderbuchautor zurückkehren und ein Märchen schreiben, das mit den Worten beginnt:
"Es war einmal vor langer Zeit, dass es in Europa Wohlstand und genug Strom und Heizung gab …"
Enden dürfte das Märchen mit den Worten:
"Und wenn sie nicht erfroren sind, dann frieren sie noch heute."
Thomas Röper ist Herausgeber und Blogbetreiber der Webseite Anti-Spiegel. Dort wurde der vorliegende Text am 19. August 2023 erstmalig veröffentlicht.
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