Von Timofei W. Bordatschew
Die endgültige Wahrheit in der westlichen außenpolitischen Logik ist die grundsätzliche Unmöglichkeit einer gerechten internationalen Ordnung. Diese Schlussfolgerung wurde von den westlichen Rivalen Russlands nicht aus dem Nichts gezogen, auch nicht aus dem Wunsch heraus, eine ideologische Grundlage für eine Weltordnung zu schaffen, die nur ihren Interessen dient. Diese Schlussfolgerung ist im Laufe des historischen Prozesses entstanden, auf der Basis der großen Erfahrung aus der Geschichte der zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa – vielleicht der reichsten Erfahrung in diesem Bereich, wenn wir über einen dermaßen geografisch eingegrenzten Teil der Menschheit sprechen.
Mehrere Jahrtausende turbulenter sozialer Interaktionen und zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen bildeten die Grundlage der politischen Kultur der Großmächte, mit denen sich Russland historisch gesehen immer in einem Zustand der Konfrontation befand.
Der Grund für diese tief verwurzelte Ungerechtigkeit liegt darin, dass das Kräfteverhältnis zwischen Staaten mit objektiven Faktoren geopolitischer Natur verbunden ist und daher immer die Ursache dieser Ungerechtigkeit bleiben wird. Es ist unmöglich, dieses Problem zu lösen. Bestenfalls können wir darüber sprechen, die negativen Auswirkungen dieser Ungerechtigkeit auf die globale Sicherheit zu verringern. Diese Logik erscheint durchaus vernünftig. Insbesondere seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurde diese Ungerechtigkeit durch den Faktor Atomwaffen verstärkt, die einige Großmächte in eine grundsätzlich überlegenere Position gebracht haben. Zwar tritt die internationale Politik in eine neue Phase ihrer Entwicklung ein, doch der nukleare Faktor bleibt zentral für das Überleben dieser Großmächte.
Darüber hinaus waren die vergangenen 500 Jahre der weltpolitischen Geschichte tatsächlich von der totalen Machtvorherrschaft des Westens geprägt. Dies ermöglichte es seinen Führungsmächten, die Grundlagen des Völkerrechts und die Spielregeln zu gestalten, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der gesamten Welt aufgezwungen wurden. Wie Henry Kissinger, der kürzlich seinen 100. Geburtstag feierte, bemerkte: "Das Geniale am Westfälischen System und der Grund dafür, dass es sich auf der ganzen Welt ausbreitete, bestand darin, dass seine Bestimmungen verfahrensrechtlich und nicht inhaltlich waren."
Die moderne internationale Ordnung basiert also auf einem von den Staaten des Westens geschaffenen Verfahren, und die zentrale Idee, die diesem Verfahren zugrunde liegt, ist die inhärente Ungerechtigkeit der internationalen Politik.
Die Schaffung zahlreicher internationaler Institutionen im vergangenen Jahrhundert hat daran nichts geändert. Sie wurden bekanntlich auch auf der Grundlage des Machtgleichgewichts zwischen den Großmächten geschaffen. Aber sie hatten in diesem Sinne keinerlei Auswirkungen auf die Fortsetzung der in zurückliegenden Jahrhunderten betriebenen Willkürpolitik der Stärke gegenüber den Schwachen. Auch die Vereinten Nationen, die in Russland wegen der ausschließlichen formellen Rechte, die diesem Land gewährt werden, geliebt werden, stellen keine revolutionäre Antwort dar, mit der die Ungerechtigkeit aus der Weltpolitik beseitigt werden könnte. In seiner jetzigen Form sind die UN das Produkt westlicher intellektueller Bemühungen, die es ermöglicht haben, die Dominanz des Westens auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und nach dem Wiederaufleben Chinas aufrechtzuerhalten. Wie alle anderen relativ großen internationalen Organisationen sind sie Werkzeuge in den Händen derjenigen, die über die größte Macht verfügen.
Unter diesen Bedingungen steht der Rest der internationalen Gemeinschaft vor einer schwierigen Entscheidung, die teilweise bereits ihr Verhalten bestimmt. Da die Ungerechtigkeit in der Weltordnung aus westlicher Sicht eine Selbstverständlichkeit ist, wird der Kampf der anderen um die Ausweitung ihrer Rechte zu einer Herausforderung für die natürliche Ordnung der Dinge. Mit anderen Worten: Wenn Russland, China oder irgendjemand sonst auf der Welt das Monopol des Stärkeren nicht akzeptiert, dann ist es für den Westen – und für die Denker, die in diesem Bezugsrahmen denken – eine Konfrontation mit der grundlegenden Natur der internationalen Beziehungen.
Diejenigen, die derzeit die dominierende Macht innehaben, sind natürlich bestrebt, die herrschende Weltordnung zu schützen, die aus ihrer Sicht in ihrer Ungerechtigkeit natürlich ist. Die Schaffung einer alternativen Regelung ist daher nicht nur eine technische, sondern auch eine philosophische Aufgabe, die viel schwieriger zu lösen sein wird, als bloß den Westen in einem weiteren taktischen Manöver zu bezwingen. Selbst wenn sich Russland in der Ukraine durchsetzen sollte, wäre es etwas naiv zu erwarten, dass die westlichen Rivalen Moskaus ihre Sicht auf die Welt ändern werden, da dies einer Forderung nach einer Änderung ihrer Lebensphilosophie gleichkäme.
Russland hat traditionell ein komplexes Verhältnis zur internationalen Ordnung, die von westlichen Mächten ausgeht. Seit den ersten Kontakten zwischen dem russischen Staat und anderen europäischen Ländern im späten 15. Jahrhundert sind Russlands Nachbarn vernünftigerweise zu der von Siegmund von Herberstein, dem Botschafter beim Heiligen Römischen Kaiser, formulierten Schlussfolgerung gekommen: "Russland ist sehr groß und unterscheidet sich sehr vom Rest Europas." Seitdem hat Russland, um es mit der eleganten Definition des Historikers Dominic Lieven zu sagen, "ununterbrochen für seine einzigartige Nische im Weltgeschehen gekämpft". Und der wichtigste und tatsächlich einzige Gegner in diesem Kampf ist und war der Westen, dessen Macht allerdings gut organisiert ist.
Die Beteiligung Russlands bei formellen und informellen Institutionen hatte schon immer den Charakter eines hart erkämpften und ständig umkämpften Pokals. Das aktuelle Beispiel ist die durch den Westen betriebene Revision der gesamten Geschichte vom Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, der dem formellen Status Russlands in der heutigen Welt zugrunde liegt.
Allerdings hat Russland selbst fast nie versucht, als Quelle und Dirigent einer Philosophie der internationalen Politik zu agieren, die sich vom Westen unterscheidet und Russlands einzigartige Erfahrung und Weltanschauung verkörpert. Die Geschichte kennt nur zwei Ausnahmen: die Initiativen von Alexander I. während des Wiener Kongresses von 1814/15 und der neue politische Wind unter Michail Gorbatschow während der Zeit der Perestroika. Der russische Beitrag zur Entwicklung der internationalen Ordnung lässt sich auch auf Initiativen im Bereich der internationalen Sicherheit und Rüstungskontrolle im 20. Jahrhundert zurückführen. In all diesen Fällen fehlte dem Land jedoch die Kraft, seine Ansichten zu einem Teil der Philosophie der Außenpolitik und der internationalen Beziehungen zu machen. Dadurch gehörten alle drei genannten Episoden zu den amüsanten Kuriositäten der russischen Geschichte, die zudem rein opportunistischer Natur waren.
China versucht nun, seine eigene Vision einer internationalen Ordnung voranzutreiben, in der Gerechtigkeit nicht nur einen Platz hat, sondern eine zentrale Rolle spielen soll. Wir wissen nicht genug über die philosophische Komponente der von der chinesischen Führung vertretenen Konzepte. Aber Kenner des Landes und seiner Kultur sind sich sicher, dass in seinem Kern der traditionelle konfuzianische Ansatz liegen wird, der in der Tat eine Alternative zu westlichen Ansichten über die Natur und den Inhalt sozialer Interaktionen darstellt. Und es besteht eine gewisse Hoffnung, dass Chinas zunehmende Möglichkeiten sowie die allgemeine Schwächung des Westens dazu beitragen werden, dass Pekings erklärte Prinzipien einen Platz im allgemeinen System des Denkens über internationale Politik finden werden. Natürlich wird dies das Hauptproblem nicht lösen – die Unfähigkeit des Westens, wie jeder politischen Zivilisation, seine außenpolitische Kultur zu ändern.
Für Russland ist auch die Fähigkeit, seine eigene Vision einer Welt anzubieten, in der Ungerechtigkeit nicht ausschlaggebend wäre, äußerst wichtig. Erstens, weil Ungerechtigkeit die Haupttrennlinie zwischen der russischen Sicht auf die Welt und der Sicht derer ist, mit denen Russland zusammenarbeiten muss, um eine globale Vernichtung zu vermeiden. Durch die Ablehnung des Kerns der internationalen Politik des Westens auf der Ebene seiner außenpolitischen Kultur wird Russland unweigerlich mit der Gefahr konfrontiert sein, dieses grundlegende Problem ein für alle Mal lösen zu müssen. Dies widerspricht jedoch dem eigenen Überlebenswillen und dem Wunsch, eine nukleare Katastrophe zu vermeiden. Auch wenn Russland aufgrund seiner eigenen Traditionen oder seiner Geisteshaltung nicht dazu bereit ist, ist es notwendig, dass Russland darüber nachdenkt, welche Zukunftsvision es der internationalen Gemeinschaft anbieten könnte.
Übersetzt aus dem Englischen.
Timofei W. Bordatschew (geb. 1973) ist ein russischer Politikwissenschaftler und Experte für internationale Beziehungen, Direktor des Zentrums für komplexe europäische und internationale Studien an der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik der Moskauer Universität "Higher School of Economics". Unter anderem ist er Programmdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai.
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