Von Andrei Koz
Die russischen Streitkräfte haben erneut eine Aufklärungs- und Kampfdrohne des Typs Bayraktar TB2 aus türkischer Produktion abgefangen. Nach Schätzungen westlicher Spezialisten war das eine der wenigen Drohnen dieses Typs, die das ukrainische Militär noch übrig hatte. Dabei waren auf diese Drohnen große Hoffnungen gesetzt worden, wie auch auf andere Lieferungen aus den NATO-Staaten.
Türkische "Vögelchen"
Die Drohne kreiste mehrere Tage lang über dem Kinburn-Bogen. Bei einem ihrer Flüge kam sie viel zu nahe heran und wurde von der Luftabwehr vernichtet. Vom Absturzort wurden verbliebene gesteuerte Minibomben MAM-L geborgen.
Diese Episode hat bewiesen, dass die Erwartungen, die mit diesen Drohnen verbunden waren, gelinde gesagt, etwas überhöht waren. Vor dem Februar 2022 betrachtete Kiew unter dem Eindruck der Effizienz der Bayraktar im Karabach-Konflikt diese Drohnen als eine Waffe des Sieges über die Streitkräfte des Donbass. Doch als sich Russland in den Konflikt einschaltete, änderte sich alles.
"Vergleichsweise langsam und tieffliegend sind sie ein relativ leichtes Ziel für gut organisierte Luftabwehrsysteme. Seitdem die russischen Militärangehörigen gelernt hatten, vereint zu agieren, ist es ihnen gelungen, eine Menge dieser TB2 abzuschießen. Nach unseren Schätzungen wurden praktisch alle Drohnen dieses Typs, die an Kiew geliefert wurden, vernichtet", erklärte der Experte des US-amerikanischen Zentrums für Marineanalyse (CNA), Samuel Bendett.
Das ukrainische Militär hat von der Türkei zwischen 35 und 50 Bayraktar-Drohnen erhalten. Sie wurden aktiv in ihrer Angriffsfunktion während der Kämpfe um die Schlangeninsel seit Mai 2022 eingesetzt. Doch hohe Verluste zwangen das ukrainische Militär, sie zu Aufklärern umzurüsten und aus einer möglichst großen Entfernung einzusetzen. Freilich garantiert auch das kein Überleben der Drohnen.
Dennoch hat die Ukraine es nicht eilig, auf diese Technik zu verzichten. Mitte Juli berichtete der Minister für Angelegenheiten der strategischen Industriezweige, Alexander Kamyschin, über den Bau einer Fabrik zur Produktion von Bayraktar-Drohnen.
Wetterabhängig
Neben den türkischen Drohnen wurden besonders große Hoffnungen auf westliche Panzerabwehrwaffen gesetzt, vor allem den US-amerikanischen Panzerabwehrraketenkomplex Javelin. Das ukrainische Militär setzte sie in großem Umfang in den ersten Monaten der militärischen Sonderoperation ein – vor allem an den Frontabschnitten Kiew und Charkow sowie in Mariupol.
Wie ukrainische Militärangehörige bemerkten, erwies sich die Waffen als erfolgreich bei einem Einsatz aus dem Hinterhalt. Den Angaben russischer Panzersoldaten zufolge retten die Reaktivpanzerung sowie spezielle "Schirme" an den Türmen gegen Hohlladungsgeschosse nicht immer vor diesen Raketen.
Doch auch die Javelins wurden nicht zu einem Allheilmittel. Es gab Fälle, bei denen ein Panzer auch nach vier Treffern betriebsfähig blieb. Darüber hinaus ist das System sehr anspruchsvoll: Die Sicherheit der Anvisierung des Ziels hängt stark vom Wetter und Umweltbedingungen ab. Wie Teilnehmer der Kämpfe in Mariupol angaben, waren die Panzerabwehrraketen dort nicht sehr hilfreich – das System "sah" schlicht keinen Panzermotor vor dem Hintergrund von Großbränden.
Selbst die USA haben die unzureichende Effizienz der Javelins eingeräumt. Die Zeitung The Washington Post berichtete, dass das Pentagon es versäumt habe, die 286-seitige Bedienungsanleitung ins Ukrainische zu übersetzen. Die ukrainischen Soldaten mussten daher alles mithilfe eines Übersetzungsprogramms lernen. Es mangele auch an zusätzlichen Batterien, während sich ein Javelin in nur vier Stunden entlädt.
Gedämpft und abgeschossen
In den vergangenen Monaten hat sich die russische Armee an die westlichen Waffen angepasst. Schützenpanzer und Kampfpanzer der NATO brennen nach dem Einschlag einer Panzerabwehrrakete genauso wie ihre sowjetischen Pendants. Auch die hochgelobten Mehrfachraketenwerfer HIMARS richten heute viel weniger Schaden an als noch vor einem halben Jahr.
Die US-amerikanische Zeitschrift Military Watch Magazine berichtete unter Verweis auf Quellen im Pentagon, dass Russland diese Raketensysteme immer öfter mit Mitteln der elektronischen Kampfführung blockiert. Die Experten wissen nicht genau, wie. Doch die Effektivität der gesteuerten GMLRS-Raketen hat sich drastisch verringert – sie werden von der Luftabwehr im Flug abgefangen.
"Russland verfügt über viele Mittel der elektronischen Kampfführung und Spezialisten für deren Einsatz – mehr, als in vielen westlichen Armeen. HIMARS-Systeme müssen ständig nachbearbeitet werden, damit sie trotz Gegenmaßnahmen effektiv bleiben", behauptet die Zeitschrift.
Das russische Verteidigungsministerium meldet täglich den Abschuss mehrerer HIMARS-Raketen. Aber dennoch bleiben sie eine gefährliche Waffe. Nach ihrem Erhalt im vergangenen Sommer konnte das ukrainische Militär russisches Hinterland angreifen, ohne zu riskieren, unter Gegenfeuer zu geraten. Es ist bekannt, dass etwa 30 HIMARS-Anlagen und etwa 15 MLRS-Systeme mit Raupenketten geliefert wurden, ohne Berücksichtigung von Mehrfachraketenwerfern aus anderen Ländern.
Wertvolle Trophäe
Die gegenwärtig letzte Wunderwaffe, die der Westen an die Ukraine geliefert hat, sind die britisch-französischen Marschflugkörper SCALP/Storm Shadow. Ihre Reichweite beträgt 300 Kilometer, sie verfügen über eine sehr tief gelegene Flugbahn. Die Raketen fliegen in kleinstmöglichen Tiefen, die für Luftabwehrkomplexe mit großer Reichweite unerreichbar sind. Eine Storm-Shadow-Rakete kann nur im letzten Segment ihrer Flugbahn abgefangen werden, wenn sie vor dem Angriff in die Höhe steigt.
Diese Raketen werden von einem Flugzeug aus abgefeuert und agieren anschließend selbstständig – ihre Flugmission wird im Voraus hochgeladen. Jede Rakete ist mit einem Sprengkopf von 450 Kilogramm Masse ausgerüstet. All das sieht sehr eindrucksvoll aus, doch auch diese Raketen haben die Frontlage nicht zugunsten der Ukraine geändert. Russland hat gelernt, sie abzuschießen.
Außerdem ist es Anfang Juli gelungen, eine praktisch unbeschädigte Rakete zu erbeuten, die aus unbekannten Gründen ihr Ziel nicht erreichen konnte. Höchstwahrscheinlich wird sie schon analysiert, und ein "Gegenmittel kann in nächster Zeit erscheinen."
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.
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