Von Pjotr Akopow
Ein ehemaliger Beamter des US-Außenministeriums empfiehlt seinem Präsidenten: "Biden sollte die Russen dazu drängen, Putin zu stürzen und ihre Isolation zu beenden." Was ist daran neu? Ähnliche Aufrufe waren im vergangenen Frühjahr häufig zu hören – damals rief der US-Präsident selbst aus, dass "Putin gehen muss". Ein neuer Versuch erfolgte nun in Form des Artikels des ehemaligen Beamten des US-Außenministeriums Max Bergmann "Tell Russians Putin Has to Go" in der Zeitschrift für Außenpolitik Foreign Affairs. Der Artikel ist schockierend – nicht wegen des Niveaus der Analyse von Wladimir Putins Position und der Situation in Russland (darin ist er offen gesagt schwach), sondern wegen der historischen Analogien, die der Autor verwendet.
Die Geschichte lehrt uns, dass sie selbst diejenigen nichts lehrt, die versuchen, ihre Lehren zu eigenen Gunsten zu interpretieren. Die Vereinigten Staaten traten vor hundert Jahren auf die Weltbühne – im Ersten Weltkrieg. Damals begann ihr Weg zur Weltherrschaft. Die Erfahrung der US-amerikanischen Politik während des Ersten Weltkriegs nimmt noch immer den wichtigsten Platz in der US-Weltsicht ein – damals waren ihre Eliten voll und ganz mit dem großen Spiel, dem sogenannten Great Game, beschäftigt. Deshalb wird das Vermächtnis von Präsident Woodrow Wilson, der das Land führte, nicht nur studiert und analysiert, sondern auch bis in die Gegenwart weitergeführt. Und so beschloss Bergmann, eine Parallele zwischen Wilson und Biden zu ziehen, um Letzteren zu entschlossenem Handeln zu bewegen.
Biden solle handeln wie Wilson im Januar 1918, als der US-Präsident seine "14 Punkte" vorstellte – den Entwurf eines Friedensvertrags, der den Ersten Weltkrieg beenden sollte. Die Vereinigten Staaten traten im Jahr 1917 in den Krieg ein. Im selben Jahr stürzte Russland in einen Abgrund von Unruhen, und zu dem Zeitpunkt, als Wilson seinen Plan vorstellte, wurde in Brest der spätere "unanständige Friede" ausgehandelt, der Russland große Gebiete entriss, darunter die künftige Ukraine. Die Vereinigten Staaten, die in den ersten zweieinhalb Jahren des Krieges formell neutral blieben (aber Großbritannien und Frankreich belieferten), konnten den Verlauf des Krieges nicht so schnell ändern, indem sie in den Krieg eintraten (dies hätte die Aufstellung und Verlegung einer Millionenarmee nach Europa erfordert). Sie waren aber sehr darauf bedacht, die Früchte der Nachkriegsweltordnung zu ernten. Was blieb, war "die kleinste Sache" – Deutschland zu besiegen, das Anfang 1918 versehentlich Russland besiegte, das heißt nicht nur riesige Ressourcen erhielt, sondern auch die Möglichkeit, sich auf die Westfront zu konzentrieren und die Alliierten zu brechen.
In diesem Zusammenhang schlug Wilson seine "14 Punkte" vor – einen fairen und gerechten Frieden, fast ohne "Annexionen und Kontributionen". Sein Hauptadressat war Deutschland, das trotz aller Erfolge im Osten in einer schwierigen innenpolitischen Lage war. Der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten brachte Deutschland strategisch in eine Verliererposition, die aber keineswegs katastrophal war. Wilson versprach "offene Friedensverträge", Freiheit der Schifffahrt, Gleichberechtigung des Handels und Beseitigung aller wirtschaftlichen Schranken, "Reduzierung der nationalen Bewaffnung auf das Äußerste, mit der nationalen Sicherheit zu vereinbarende Minimum" und sogar "freie, offene und absolut unparteiische Beilegung aller kolonialen Streitigkeiten" (schließlich war die Frage der Kolonien, oder besser gesagt, eines Mangels daran, für Deutschland äußerst wichtig).
Das heißt, keine Entschädigungszahlungen, Blockaden, Besetzung und Abrüstung? Und von einem Machtwechsel war nicht die Rede – die Briten wollten den Kaiser vor Gericht stellen, während die US-Amerikaner von nichts dergleichen sprachen (und erst nach Beginn der Verhandlungen begannen, seine Abdankung zu fordern).
Die Deutschen trauten den US-Amerikanern natürlich nicht – aber am Ende des Sommers 1918 begann sich die Lage an der Front gegen sie zu wenden. Und schon im September machten sie deutlich, dass sie bereit waren, über die Bedingungen der Beendigung des Krieges zu sprechen. Es wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet – zu den härtesten Bedingungen, die die Alliierten forderten. Deutschland hatte den Krieg verloren, ohne ihn auf dem Schlachtfeld zu verlieren, aber es hoffte immer noch auf einen mehr oder weniger gerechten Friedensvertrag.
Und was hat es bekommen? Man verlangte von ihm nicht nur, die Schuld am Ausbruch des Krieges einzugestehen, sondern bereitete bis zum Sommer 1919 in Versailles einen Friedensvertrag vor, den man nur als Raub bezeichnen konnte. Es wurde bis auf die Knochen entblößt, ihm wurden eine riesige Kontribution auferlegt und alle Kolonien weggenommen, das Land wurde praktisch der Marine beraubt, das Saarland unter die Kontrolle des Völkerbundes gestellt. Schon damals warnten einige weitsichtige westliche Politiker, dass dies alles zu einem neuen Krieg führen würde. Und sie hatten Recht. Gier und Hass einem anderen gegenüber (und die Deutschen betrachteten sich damals nicht als Teil des Westens) trieben die Angelsachsen und Franzosen in den Schrecken des Zweiten Weltkriegs.
Und jetzt soll Biden den Russen anbieten, was Wilson den Deutschen angeboten hat? Ihre Regierung zu stürzen, zu kapitulieren – um der Versöhnung mit dem Westen und der Aufhebung der Sanktionen willen? Nun, ja, was ist daran so schlimm?
"Biden wird man sagen müssen, dass Russland nur dann einen Weg zurück finden kann, wenn es den Krieg beendet und die Führung im Kreml auswechselt. Das wichtigste Publikum für diese Botschaft wird die russische Elite sein."
"Die neue Regierung in Moskau muss bereit sein, die Feindseligkeiten einzuschränken, Rüstungskontrollabkommen wiederherzustellen, US-Geiseln (wie den Journalisten Evan Gershkovich und Paul Whelan, einen ehemaligen US-Marine) und russische politische Gefangene (wie Alexei Nawalny und Wladimir Kara-Mursa) freizulassen. Sie sollte auch bereit sein, die repressiven Maßnahmen zurückzunehmen, die Putin zu Beginn des Krieges verhängt hat und die Dissens, Kritik und Opposition verbieten."
"Die Vereinigten Staaten werden sich bereit erklären, die Sanktionen aufzuheben und die diplomatische Isolation Russlands zu beenden. Die Vereinigten Staaten werden sich dafür einsetzen, dass Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden, anstatt kollektiv zu bestrafen."
"In seiner Rede hätte Biden auch davon sprechen können, dass er möchte, dass die Russen wieder in die Vereinigten Staaten und nach Europa reisen und dort studieren, dass sie sich im Westen um Arbeitsplätze, Kunden, Klienten und Investoren bemühen, dass sie mit internationalen Partnern in der wissenschaftlichen Spitzenforschung zusammenarbeiten und dass sie mit Stolz an den Olympischen Spielen im nächsten Sommer in Paris teilnehmen. Es geht darum, das Bild eines Russlands zu zeichnen, dessen Zukunft durch Wohlstand und Anbindung an Europa bestimmt wird, nicht durch Armut und Isolation."
Perfekte Bedingungen, kurz gesagt – wenn sie akzeptiert würden, würden die Vereinigten Staaten nicht einmal Reparationen und einen Prozess gegen die russische Führung fordern. Bergmann schreibt weiter:
"Die Ukraine würde zu Recht Gerechtigkeit und Reparationen für Russlands Kriegsverbrechen und Zerstörung fordern. Aber die Realität ist, dass Russland am Ende dieses Krieges nicht vollständig besiegt sein wird, was es schwierig macht, Reparationen zu fordern. Die Ukraine oder Den Haag werden nur dann in der Lage sein, Kriegsverbrecher vor Gericht zu stellen, wenn Russland sie freiwillig ausliefert."
Gleichzeitig versteht sich von selbst, dass "Russland die mögliche Mitgliedschaft der Ukraine in der EU und der NATO akzeptieren muss", was bedeutet, dass Russland nicht nur sein Staatsoberhaupt, seinen Kurs, seine Autonomie, sondern auch seine nationalen Interessen und seine Sicherheit aufgeben muss. Und das alles wird allen Ernstes diskutiert? Ja, obwohl Bergmann schreibt, dass die Hauptbedingung für die Annahme dieser Vorschläge darin besteht, dass "Russland glauben muss, dass der Krieg verloren und seine Position unhaltbar ist. Dazu bedarf es eines Kampferfolgs in der Ukraine, nicht einer Rede des US-Präsidenten". Wenn jedoch "die Idee, dass es einen Ausweg aus diesem Krieg gibt, unter den Militärs, den Eliten und der Gesellschaft gesät wird, könnte sie schließlich Früchte tragen".
Es ist klar, dass solche "Bedingungen" für Russland prinzipiell unannehmbar sind; niemand wird sie in irgendeiner Form oder unter irgendwelchen Umständen auch nur diskutieren. Aber stellen wir uns das Unmögliche vor – wenn Russland plötzlich an diese "fairen Bedingungen" glauben würde, dann würde es zweifellos so behandelt werden wie Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, das heißt absichtlich gedemütigt und ausgeraubt.
Und das Interessanteste dabei ist nicht, dass es im US-Establishment Leute gibt, die ernsthaft an die Möglichkeit einer solchen Kapitulation Russlands glauben (das ist nichts Neues – schon 2014 glaubten sie, dass "die gesamte russische Elite Kinder und Geld im Westen hat und daher Putin stürzen wird, wenn die Sanktionen hart durchgesetzt werden"), sondern das historische Beispiel, das dies unterstützt. Die Russen werden also als klinische Idioten angesehen – nicht nur unfähig, aus ihren historischen Fehlern (1917 und 1991) zu lernen, sondern auch die Art von Menschen, die der anderen Seite vertrauten und sich ergaben und im Anschluss betrogen wurden? Das historische Beispiel, das genau zeigt, dass den Angelsachsen unter keinen Umständen zu trauen sei, wird uns als Vorbild für das Zustandekommen von Vereinbarungen angeboten. Geschieht dies aus Dummheit oder aus Arroganz? Letzten Endes ist es irrelevant, aber es zeigt einen hohen Grad an Respektlosigkeit nicht nur uns gegenüber, sondern auch gegenüber den Lehren der Geschichte. Die niemanden etwas lehrt, sondern schmerzhaft bestraft, wenn man keine Selbstachtung hat.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 22. Juli 2023 bei RIA Nowosti.
Pjotr Akopow ist Kolumnist und Analytiker bei RIA Nowosti.
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