Von Marinko Učur
Der "Berliner Prozess" wurde 2014 als eine Plattform für alle Westbalkanländer zur Annäherung an die EU und zur Stärkung der regionalen Integration und Zusammenarbeit ins Leben gerufen. Der "Offene Balkan" ist dagegen eine aus dem Projekt "Mini-Schengen" hervorgegangene Wirtschaftsgemeinschaft, die vor allem eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Ländern des Westbalkans vorsieht, an der vorerst Serbien, Albanien und Nordmazedonien beteiligt sind.
Hinter dem Berliner Prozess stehen, wie der Name schon vermuten lässt, die EU und Deutschland, während es sich beim Offenen Balkan um eine originäre Idee aus der Region handelt, die von den USA, wenn auch nicht sehr lautstark, unterstützt wurde.
Der Berliner Prozess reicht kaum über seinen theoretischen Ansatz hinaus, während der Offene Balkan bereits in die Praxis umgesetzt wird. Es wurden Kooperationsabkommen in den Bereichen Landwirtschaft, Energiepolitik, Kultur und Katastrophenschutz unterzeichnet. Zuvor wurden auch schon Abkommen über Arbeitsgenehmigungen, elektronische Dienste sowie Veterinär- und Pflanzenschutzkontrollen vereinbart.
An den Grenzübergängen wurden spezielle schnelle Verkehrsverbindungen für einen vereinfachten Verkehr an den Grenzen zwischen den drei Ländern geschaffen. Es bestand große Hoffnung, dass sich weitere Länder dieser Idee anschließen würden. Sowohl Montenegro als auch Bosnien und Herzegowina zeigten Ambitionen, aber aufgrund interner Meinungsverschiedenheiten in diesen Ländern blieb alles nur bei Ideen.
Aufgrund ausländischer Makler und ihrer unterschiedlicher Ansichten über den Balkan zeigten sich jedoch erste "Risse" im serbisch-albanisch-nordmazedonischen Projekt. Wer gegen die regionale Verbindung der Länder und den schnelleren Waren- und Personenfluss an den Grenzen nichts einzuwenden hat, nannte es die "serbische Welt" und diskreditierte das Projekt damit in den Augen der stark westlich orientierten Länder Montenegro und Bosnien und Herzegowina, die von Belgrad, Skopje und Tirana gerne als Teil dieser regionalen Integration gesehen würden.
All die Gegner und Skeptiker vergeudeten keine Zeit und widersetzten sich dieser regionalen Initiative umgehend aufs Schärfste, und in der öffentlichen Haltung des albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama war bereits die Aufgabe des Projekts zu erkennen.
Anfang Juli erklärte Rama dann schließlich auch das Ende des Offenen Balkans, ohne Belgrad und Skopje zu konsultieren. Obwohl sein Land am meisten von dieser Initiative profitierte, musste Rama, dessen Koalitionsregierung hinter dem zunächst "Mini-Schengen" genannten Regionalprojekt stand, nachgeben.
Er wurde Druck ausgesetzt, sowohl von der Opposition in seinem Land als auch vom Regierungschef von Pristina Albin Kurti. Dieser behauptete, dass "die Initiative die Beziehungen zum Kosovo geschädigt und Serbien gedient hat". Dies war sicherlich ein Warnsignal, das den Skeptikern zusätzlichen Auftrieb gab und eine weitere Intensivierung dieser regionalen Initiative sinnlos machte.
Während Skopje vorerst schweigt, zeigte man sich in Belgrad verblüfft über Ramas Haltung, was schon in der ersten Reaktion des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić deutlich wurde. Er könne "nicht glauben, dass Rama so etwas angedeutet hat", so Vučić.
Es scheint jedoch, dass man in Serbien die Widerstände, denen Rama ausgesetzt war, nicht ausreichend berücksichtigte, was letztlich zum Aus des Offenen Balkans führte. So kritisierten die Opposition in Tirana und insbesondere die Regierung in Pristina das Projekt aufs Schärfste und behaupteten, dass "das einzige Ziel der Initiative darin besteht, Serbiens Führung auf dem Balkan zu sichern".
Kurz nachdem der russische Außenminister Sergei Lawrow die Initiative gelobt hatte, war auf internationaler Ebene, wo in der Regel nach Spuren eines "bösartigen russischen Einflusses" auf dem Balkan gesucht wird, plötzlich zu hören, dass die Initiative Offener Balkan bedeutungslos geworden sei.
Niemand vor Ort ist der Ansicht, dass der Offene Balkan eine Möglichkeit für Russland sein könnte, Einfluss in der Region auszuüben, zumal solche Bestrebungen in den Positionen des offiziellen Kreml auch gar nicht angedeutet wurden. Kenner der Situation tendieren daher auch eher dazu zu glauben, dass das offizielle Berlin versucht, das originäre Balkanprojekt zu "zerstören" und dafür dem eigenen Projekt – dem Berliner Prozess – Vorrang einzuräumen.
Was auf den ersten Blick eine hehre Idee war – Grenzen abzuschaffen und den freien Personen-, Kapital-, Waren- und Dienstleistungsverkehr zu gewähren, ein Gut, das die Bürger der Europäischen Union seit knapp 50 Jahren genießen –, wird durch die Initiative Deutschlands in Frage gestellt, das stattdessen den "Berliner Prozess" in den Fokus rückt.
Aus diesem Grund musste die Initiative Offener Balkan scheitern, meinen Analysten und vermuten, Berlin wolle sich wieder als entscheidender Faktor in einer Region behaupten, die sich an die Rolle Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, aber auch an die NATO-Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1999 erinnert.
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