"Treibende Kraft der Eskalation": Litauen fordert ständige NATO-Militärpräsenz an russischer Grenze

Litauens Präsident fordert die NATO auf, permanente Militärstützpunkte an russischer Grenze einzurichten und die NATO-Russland-Grundakte aufzukündigen. Nach Meinung der Experten würde dies zu einer weiteren Eskalation zwischen Russland und dem westlichen Block beitragen.

Von Irina Taran, Jelisaweta Komarowa, Wladimir Dujun und Angelina Schurpina

Litauens Präsident Gitanas Nauseda hat sich an die NATO-Länder mit dem Aufruf gewandt, permanente Militärbasen an der russischen Grenze einzurichten und die NATO-Russland-Grundakte für ungültig zu erklären.

"Wir müssen endlich erklären, dass die NATO-Russland-Grundakte tot ist. Ohne einen solchen Schritt vernebelt sie immer noch den Verstand in einigen Hauptstädten und hält uns in einem Graubereich strategischer Ambivalenz fest", sagte Nauseda in einem Interview an die Times.

Dabei sei das beste Eindämmungsmittel nach Meinung des litauischen Präsidenten, "stark und einig zu bleiben und zu zeigen, dass Wladimir Putin uns nicht einschüchtern kann".

"Lange Zeit gaben sich zahlreiche Länder Illusionen bezüglich der russischen Bedrohung hin. Nun verstehen sie sehr gut, dass diese Bedrohungen real sind und dass es viel einfacher sein wird, Eindämmung zu betreiben und eine vorgesetzte Verteidigung aufzubauen, als Krieg zu führen. Möglicherweise werden einige Länder mehr Zeit für den Umbau benötigen. Möglicherweise wird es ein, zwei oder drei Jahre dauern, um den Wert von zwei Prozent des Haushalts für Verteidigungsausgaben zu erreichen. Doch ich befürchte, dass diese Übergangsperiode sich zu lange ziehen wird, denn die Lage ist tatsächlich sehr gefährlich und sehr fragil", sagte er.

Später, schon während des NATO-Gipfels, behauptete Nauseda, dass der Block "unermüdlich" an einer weiteren Stärkung der Eindämmungskräfte und der vorgesetzten Verteidigung der Allianz arbeiten werde.

Die Aussagen des litauischen Staatschefs kommentierte der Pressesprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow und betonte, dass der Block bereits mehrere Wellen der Annäherung der Militärinfrastruktur der NATO an die russischen Grenzen eingeleitet habe.

"Das war einer der Gründe, der uns in die gegenwärtige Lage brachte. Scheinbar verstehen die Europäer diesen Fehler nicht", sagte er und fügte hinzu, dass sich die russische Militärinfrastruktur niemals in Richtung Europa bewegte.

Zur Bekämpfung von Russland

Die NATO hatte zuvor mehrmals verkündet, dass während des Gipfels in Vilnius am 11. und 12. Juli drei neue regionale Verteidigungspläne zur Bekämpfung von zwei Hauptbedrohungen – "Russland und Terrorismus" – verabschiedet werden.

Später sagte der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 10. Juli bei der Ankunft in Vilnius, dass die Verteidigungsausgaben der europäischen Blockmitglieder und Kanadas in diesem Jahr um 8,3 Prozent gestiegen seien, was den größten Zuwachs in den vergangenen Jahrzehnten darstellt.

"Dies wird als klares Signal dienen, dass wir jeden Zoll Litauens und jeden Zoll des Gebiets der Mitgliedsstaaten der NATO verteidigen werden", sagte er.

Am gleichen Tag meldete die Nachrichtenagentur Reuters unter Verweis auf drei Quellen aus diplomatischen Kreisen, dass die NATO zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges einen Reaktionsplan auf einen angeblich möglichen russischen Angriff vereinbart habe.

Während des Gipfels am 11. Juli kündigte Stoltenberg zunächst ein weiteres Mal die Verabschiedung der neuen Verteidigungspläne und berichtete später von der Bewilligung von Plänen, 300.000 Militärs an der Ostflanke der Allianz zu stationieren und die Waffenkäufe erheblich zu steigern. Dabei behauptet die Pressemitteilung der Organisation, dass die NATO nicht nach einem Konflikt mit Russland strebe, es aber auch nicht als Partner ansehe.

Moskau ist der Ansicht, dass diese Dokumente auf Jahre hinaus den Konfrontationskurs der Allianz in Bezug auf Russland festlegen werden. Dies erklärte der außerordentliche und bevollmächtigte Botschafter Russlands in Belgien Alexandr Tokowinin.

"Diese Schritte untergraben die Sicherheit in Europa, im Atlantik und verstärken die Gefahr der gegenwärtigen Lage. Dies ist eine Bestätigung des Konfrontationskurses. Zudem wird versucht, ihn auf viele Jahre hinaus festzulegen in Übereinstimmung mit dem strategischen Konzept der NATO, das letztes Jahr in Madrid angenommen wurde. Dort wurde Russland als größte und unmittelbare Bedrohung für die Sicherheit der Blockmitglieder bestimmt", erklärte er in einem Interview an die Nachrichtenagentur RIA Nowosti.

Tokowinin betonte, dass solche Entscheidungen die Konfrontation eskalieren und das Risiko eines unmittelbaren Konflikts Russlands mit den Blockmitgliedern "mit allen daraus resultierenden Folgen" erhöhen.

Seinerseits sagte Russlands Botschafter in Washington, dass sich die Lage in Richtung des "ungünstigsten Ausgangs" der Konfrontation zwischen Russland und der NATO entwickele. Nach seiner Aussage schaffen die westlichen Maßnahmen Hindernisse für eine Lösung der militärpolitischen Krise, die das Risiko großer Probleme für die internationale Sicherheit birgt. Dabei merkte Antonow an, dass in den USA "alles getan" werde, um die öffentliche Meinung darauf vorzubereiten, beliebige antirussische Entscheidungen zu akzeptieren, die in Vilnius getroffen werden.

"Zuspitzung der Lage"

Wie der erste Vizepräsident des Komitees für internationale Angelegenheiten der russischen Duma Alexei Tschepa in einem Gespräch mit RT erklärte, sei die Zuspitzung der Beziehungen zwischen Russland und der NATO vor allem dadurch herbeigeführt worden, dass der Westen nicht bereit war, gemeinsam mit Russland Sicherheitsfragen zu lösen, die Moskau im Jahr 2021 zur Sprache gebracht hatte.

"Es gibt Politiker, die die Lage weiterhin zuspitzen, die Konfrontation eskalieren, schwierigere Verhältnisse schaffen und erreichte Übereinkünfte brechen. All dies führt zu Problemen", kommentierte Tschepa den Aufruf des litauischen Präsidenten, die NATO-Russland-Grundakte aufzukündigen und ständige Militärbasen an russischer Grenze zu schaffen.

Nach Meinung des leitenden wissenschaftlichen Mitarbeiters für komparative politische Studien des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften Alexandr Kamkin forciert der litauische Staatschef tatsächlich eine Zuspitzung der Konfrontation zwischen Russland und der NATO.

"Er versucht, vor der Welle zu schwimmen, also vor den USA. Litauen, wie auch Polen, das vorschlug, auf dem eigenen Gebiet US-amerikanische Nuklearwaffen zu stationieren, führt eine konsequente Politik der Eskalation und der Einbeziehung seiner Verbündeten in einen direkten Konflikt mit Moskau. Vor dem Hintergrund solcher Initiativen könnte die NATO beschließen, permanente Militärbasen vor allem im Baltikum, Polen und Bulgarien einzurichten. Darüber hinaus kann der Block seine Truppen in Finnland stationieren, denn mit dem Beitritt dieses Lands zur Allianz hat sich die gemeinsame Grenze zwischen der NATO und Russland erheblich vergrößert", erklärte der Experte gegenüber RT.

Dabei sei es nach Kamkins Meinung nicht ausgeschlossen, dass die Behauptungen des litauischen Präsidenten eine Art Überprüfung dessen sind, wie Russland auf eine potentielle Aufkündigung der NATO-Russland-Grundakte reagieren würde.

"Im Grunde sondiert Nauseda die Lage und betrachtet Russlands Reaktion. Damit tritt er als treibende Kraft der Eskalation auf. Die Behauptungen des baltischen Staatschefs passen zum Gesamtkonzept der Allianz, das gegen Russland gerichtet ist", erklärte der Analytiker.

Freilich würden die USA ihren baltischen Partnern in Vilnius erklären, dass Rhetorik und konkrete Handlungen "ganz unterschiedliche Sachen" seien, so Kamkin.

"Es ist schwer, Nauseda als einen adäquaten Politiker zu bezeichnen, er eskaliert die Lage mit allen Mitteln. Doch Washington, das entscheidet, wann es seine Vassalen in die Schranken weisen kann, strebt bisher nicht nach einer Verwirklichung von Nausedas Plänen, denn die Einrichtung von Militärbasen an der Grenze zu Russland könnte einen direkten militärischen Konflikt mit Russland provozieren", erklärte er.

Seinerseits erklärte der Experte des Russischen Instituts für strategische Studien Sergei Jermakow, dass Litauen sowie einige weitere osteuropäische NATO-Länder vorsätzlich "eine agressivere Rhetorik" gegenüber Russland betreiben.

"Diese Rhetorik hängt mit einer zunehmend stärkeren Militarisierung der Allianz zusammen. Der militärische Block und einzelne Länder – vor allem die baltischen Staaten, Polen und in gewisser Hinsicht auch Großbritannien – treten gerade für eine Steigerung der Militärausgaben ein, dass der ganze Militäraufbau auf Eindämmung und Konfrontation gegen Russland ausgerichtet wird", erklärte der Analytiker gegenüber RT.

Jermakow führte aus, dass neben einer "Sondierung" der russischen Position die Behauptungen des litauischen Präsidenten auch die Meinung der anderen NATO-Staaten hierzu herausfinden sollten.

"Dennoch, egal was die Mitgliedsstaaten sagen, wird die Militärpräsenz der Allianz an den Grenzen Russlands mit der Zeit nur ansteigen, die Frage ist nur nach der Intensität dieses Prozesses. Vor allem wird dies die Gebiete der neuen Mitgliedsländer der NATO, darunter Finnland, betreffen. Auch die Positionen des Blocks im Baltikum werden verstärkt", vermutete der Experte.

Was die NATO-Russland-Grundakte angeht, werde sie vom Block schon lange nicht mehr befolgt, betonte Jermakow.

Noch Ende Juni hatte der Vertreter des deutschen Auswärtigen Amts Christian Wagner behauptet, dass das Dokument nicht als ein Einschränkungsfaktor in Bezug auf die Stärkung der Ostflanke der Allianz betrachtet werden könne. Ihm zufolge stütze sich die Akte auf eine Sicherheitslage, bei der "nicht geschossen" werde.

"Die Allianz verletzte diese Abkommen schon mehrmals. Dort ist klar festgeschrieben, dass es keine größeren Militärversammlungen an den Grenzen Russlands und den Mitgliedsländern der Allianz geben solle. Dennoch verstärkt die NATO ihre Militärgruppierung, wenn auch nicht in Form ständiger Präsenz. All das steigert keineswegs die Stabilität, sondern führt im Gegenteil zu einer Eskalation der Spannung", fasste Jermakow zusammen.

Übersetzt aus dem Russischen.

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