Während die westlichen Länder weiter gegen die hohe Inflation kämpfen, droht China eine Deflation – also sinkende Preise. Die chinesischen Hersteller senkten ihre Preise im Juni wegen der schwachen Nachfrage so stark wie seit siebeneinhalb Jahren nicht mehr. Die Erzeugerpreise fielen um 5,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, wie das Statistikamt am Montag in Peking mitteilte. Das war nicht nur der neunte Rückgang in Folge, sondern zugleich der stärkste seit Dezember 2015.
Das Minus fiel zudem stärker aus als erwartet, da zuvor befragte Ökonomen nur ein Minus von 5,0 Prozent erwartet hatten. Besonders in den Bereichen Energie, Metalle und Chemikalien waren die Unternehmen zu Preissenkungen gezwungen, da sich die Nachfrage im In- und Ausland abschwächte. Zudem stiegen die Verbraucherpreise nicht mehr – erstmals seit fast zweieinhalb Jahren. Sie stagnierten im Juni auf dem Niveau des Vorjahresmonats, nachdem es im Mai noch einen leichten Anstieg von 0,2 Prozent gegeben hatte.
Ökonomen hatten auch diesmal mit einem Plus in dieser Größenordnung gerechnet. Ein Grund dürfte die schleppende Nachfrage sein. Das wiederum erhöhte Fachleuten zufolge die Wahrscheinlichkeit, dass Regierung und Zentralbank mit neuen Konjunkturmaßnahmen die Nachfrage ankurbeln könnten.
Ökonomen des britischen Finanzdienstleisters Barclays sprachen angesichts dieser Daten von einem "schwierigen Deflationsumfeld". Als Deflation wird ein Preisverfall auf breiter Front bezeichnet, der eine Abwärtsspirale aus sinkenden Umsätzen, Löhnen und Investitionen auslösen kann – mit verheerenden Folgen für die Wirtschaft.
Nationalbank senkt Zinsen – Yuan fällt
Der Kurs der Landeswährung Yuan fiel in letzter Zeit, auch die asiatischen Aktien rutschten ins Minus. "Angesichts der schwachen Kreditnachfrage und der unter Druck stehenden Währung wird der Großteil der Unterstützung unserer Meinung nach durch die Finanzpolitik erfolgen", erwarten die Experten des britischen Wirtschaftsforschungsunternehmens Capital Economics. Sie rechnen mit weiteren Zinssenkungen durch die Zentralbank. Bereits Ende Juni hatte die Nationalbank die Zinsen um zehn Basispunkte auf 3,55 Prozent gesenkt.
Auch Analyst Hu Yuexiao vom Finanzhaus Shanghai Securities geht davon aus, dass die Währungshüter die Kreditzinsen verbilligen dürften, um die Nachfrage anzuschieben. Die Zentralbank steht derzeit vor der Herausforderung, die schwächelnde Wirtschaft des Landes nach der langen Phase restriktiver COVID-Maßnahmen wieder auf Trab zu bringen.
Die chinesische Regierung strebt eine durchschnittliche Inflationsrate von etwa drei Prozent an. Im vergangenen Jahr, das noch stark durch die Einschränkungen infolge der Coronakrise geprägt war, lag die Teuerungsrate bei zwei Prozent.
Fallende Immobilienpreise und die finanziellen Probleme zahlreicher Entwicklungsfirmen in der Branche haben nicht nur die Bautätigkeit gedämpft, sondern wohl auch die Konsumbereitschaft. Der Immobiliensektor ist für die chinesische Wirtschaft extrem wichtig, in den letzten Jahren war er zu schnell und übermäßig gewachsen. Die Investitionen gingen in den ersten Monaten des Jahres deutlich zurück. Außerdem macht dem Exportweltmeister zu schaffen, dass wichtige Absatzmärkte wie Deutschland und die Euro-Zone insgesamt in einer Rezession stecken.
Die Regierung will dem angeschlagenen Immobiliensektor des Landes stärker unter die Arme greifen. Die Unterstützung soll erweitert werden, wie aus einer gemeinsamen Erklärung der Notenbank des Landes und der chinesischen Finanzaufsicht vom Montag hervorgeht. Konkret geht es unter anderem um die Stundung von Immobilienkrediten.
So soll ein Aufschub bei der Rückzahlung von bestimmten Immobilienkrediten um ein Jahr möglich sein, wie es weiter hieß. Zudem werden Chinas Banken zu Verhandlungen mit Immobiliengesellschaften ermutigt mit dem Ziel, die Kreditrückzahlungen zu verlängern. Damit soll es ermöglicht werden, im Bau befindliche Immobilienprojekte zu Ende zu führen.
Große westliche Banken haben zuletzt auch ihre Prognosen für das Wachstum der chinesischen Wirtschaft nach enttäuschenden Konjunkturdaten gesenkt. Das BIP der nach den USA zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt dürfte nach den Vorhersagen von UBS, Standard Chartered, Bank of America und JPMorgan in diesem Jahr zwischen 5,2 und 5,7 Prozent zulegen. Bisher lag die Spanne bei 5,7 bis 6,3 Prozent.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) rechnet mit einem Wachstum von 5,6 Prozent. "Die Erholung der chinesischen Wirtschaft nach der Abkehr von der Null-COVID-Politik fällt moderat aus", so die Kieler Ökonomen. "Fallende Immobilienpreise und die finanziellen Probleme zahlreicher Immobilienentwickler haben nicht nur die Bautätigkeit gedämpft, sondern sich wohl auch negativ auf die Konsumbereitschaft ausgewirkt", so das IfW weiter.
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