Von Elem Chintsky
Das Lieblingsversprechen der Demokraten an all ihre Erstwähler im Jahr 2020, nämlich, dass nach einer Machtübernahme Joe Bidens ein Kreditschulden-Erlass für Studenten kommen würde, ist vorerst auf Eis. Die Richter des Obersten Gerichtshofes stellten sich auf die Seite von sechs republikanisch geführten Bundesstaaten, die gegen das Programm geklagt hatten, das nach einigen Schätzungen den Haushalt weit über 400 Milliarden US-Dollar gekostet hätte. In seiner Rede vor dem Gericht sagte der Oberste Richter John Roberts, dass die Regierung des Präsidenten unrechtmäßig versucht habe, ihre Macht zu nutzen.
Die Biden-Regierung und das gesamte Umfeld der Demokratischen Partei hat bereits groß angelegte Attacken auf den Obersten Gerichtshof gestartet – unter anderem mit der Behauptung, dass die Judikative ihren Zuständigkeitsbereich grob überstrapaziert hätte. Auch soll bereits vom Biden-Kollektiv eine neue Strategie konzipiert werden – auf Basis eines anderen Gesetzes – um den Studienkredit trotzdem erlassen zu können. Der für die Demokraten glückliche Ausgang der Wahlen im Jahr 2024 hängt unter anderem vom letztendlichen Erfolg dieses Projektes ab. Viel Zeit ist nicht mehr geblieben – knapp über ein Jahr oder 16 Monate.
Die eine Zielgruppe dieses populistisch einst hocheffektiven Wahlversprechens ist wütend, dass ihr das Studieren doch nicht umsonst gekommen ist. Die andere Zielgruppe ist die ganze Zeit schon irritiert gewesen über die Möglichkeit, dass eine neue, privilegierte Generation umsonst aus dem Schneider herausgeführt wird. Haben sich doch sowohl die einen als auch die anderen bewusst und willentlich verpflichtet, zerschleißende Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen, um Studienkredite über Jahrzehnte abzubezahlen. Die Coronakrise sei den Letzteren als Begründung zu schwach, heißt es im Diskurs, da auch sie an den Erschütterungen dieser Pandemie-Epoche gelitten haben – aber anderswo auch kein Tauwetter vom Staat gewährt bekommen haben.
Aber wozu führt das konkret? Außer einer weiteren Vertiefung der zivilgesellschaftlichen Spaltung ist vor allem eine neue Schuldenblase im Begriff zu entstehen. Diese gesellt sich in das ohnehin schon dicht verlegte monetäre Minenfeld der US-Wirtschaft. Da die Biden-Regierung erst mal diese Schulden nicht abschreiben wird, müssen öffentliche "Leistungen" von anderer Seite kommen. Das wiederum bedeutet eine baldige Rückkehr zum trügerischen Helikoptergeld, das aus der "Quantitativen Lockerung" – also der ruckartig-enormen, expansiven Geldneuschaffung – gewonnen wird.
Damit werden quasi-garantierte Einkommen vom Staat ermöglicht, um kurzfristig und kosmetisch sozialen Missständen entgegenzuwirken. Eines dieser Großprogramme wird an verschiedenen Fronten in Kalifornien getestet. Es gibt ein allgemeines Grundeinkommen, das dort sozial schwächeren Gruppen monatlich zu Hilfe kommen soll und derzeit 1.000 US-Dollar beträgt. Ferner hat die Stadt San Francisco explizit für Menschen, die sich als Transgender/ LGBT identifizieren, ein solches Programm zu Beginn des Jahres eingeführt. Die Republikaner in den USA warnen, dass den Demokraten in Washington D.C. langfristig der Wunsch vorschwebt, die in Kalifornien getestete Regionalpolitik auf die ganzen Vereinigten Staaten von Amerika auszuweiten.
Das obige bedeutet, dass die generelle Inflation in jedem Falle weiter angekurbelt wird – vor allem die Inflation in den Löhnen, die durch die Abwanderung von Unternehmen aus Deutschland und Taiwan in die USA noch verstärkt wird. Ein Anstieg der Löhne und Gehälter wird außerdem bewirken, dass Verbraucher wahrscheinlich mehr ausgeben, was letztlich die Verbraucherpreise erhöht. Hier sind kleinere und größere Teufelskreise am Werk, die einander bedingen.
Die Vermutung liegt nahe, dass das meiste des vom Staat bereitgestellten Geldes in Kryptowährungen und an der Börse landet. Letzteres hat sich bereits historisch viele Male erprobt und erzeugt oft die Marktaufschwünge, über die sich System-Experten immer so mittelfristig freuen. Das meiste Geld, das durch "Quantitative Lockerung" geschaffen wurde, ist nie beim normalen Endverbraucher direkt angekommen, sondern wurde sofort in den elitären Sphären der staatsnahen Altfinanzen abgefangen und der privaten Konzern-Spekulation übergeben. Allein der internationale, aber US-dominierte Devisenmarkt hat ein tägliches Handelsvolumen von weit über 6,6 Billionen US-Dollar.
Zurück zum Kampf um den Erlass der Studienkredite. Die amerikanischen Universitäten haben sich längst und nahtlos in eine weitere Unter-Domäne der multinationalen Konzerne verwandelt. Deswegen wird sich ihre Rolle mit der Verschärfung des jetzigen Technologiekriegs mit China und dem unverhohlenen Kampf um das Humankapital von Drittländern eindeutig verstärken. Interessant wäre zu wissen, wie ein hypothetisch wiedergewählter Präsident namens Donald Trump diesen Entwicklungen einen Kurswechsel, aber eigentlich sogar eine Beschleunigung verpassen könnte.
Bei der US-Zentralbank nichts Neues
In den vergangenen Tagen hatte die US-Fed noch einmal allen, die sehnsüchtigst auf die Rückkehr einer Nullzins-Epoche gehofft haben, den Wind aus den Segeln genommen. Laut den jüngsten Aussagen des Fed-Chefs Jerome Powell soll eine "starke Mehrheit" der höchsten US-Fed-Gremien davon ausgehen, dass "sie die Zinssätze bis zum Jahresende noch mindestens zweimal anheben müssen". Der derzeitige Zinssatz der Fed liegt bei zwischen 5 % und 5,25 % – Stand: 14. Juni 2023.
Als nobles Ziel wird in den Massenmedien stets die Bekämpfung der Inflation genannt. Die direkten Auswirkungen sind aber andere. Kosten für Kredite in der gesamten Wirtschaft gehen nach oben – Geld zu leihen wird erschwert und immer teurer. Höhere Zinssätze machen Kredite sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen teurer. Jeder gibt am Ende mehr für Zinszahlungen aus. Das heißt auch, dass die Lebenshaltungskosten steigen.
Einfache Menschen, bis hin zur ehemals stabilen und heute sich in Auflösung befindenden Mittelschicht, können sich schon länger kein Eigenheim leisten, da sie für klassische Kredite wie Hypotheken vom Bankensystem als unwürdig kategorisiert werden. Währenddessen zeigt sich die zu bekämpfende Inflation unbeeindruckt und mischt sich sichtlich unter die Lebensmittel- und Energiekosten.
Im Juli wird Erdöl-Produktion weiter gedrosselt
Stichwort Energie. Saudi-Arabien wird seine Ölproduktion im Juli freiwillig um eine weitere Million Barrel pro Tag drosseln. Das heißt, von den noch im Mai gemessenen 10 Millionen Barrel pro Tag werden nun 9 Millionen Barrel gefördert. Eine solche Maßnahme werde vorerst nur für den Monat Juli in Kraft bleiben, könnte aber zu einem späteren Zeitpunkt verlängert werden.
Einerseits zeigt das, dass der Erdölmarkt in schlechterer Verfassung ist und immer wieder durch Kürzungen gestützt werden muss. Andererseits sieht man, dass diese Kürzungen systematisch durchgeführt werden, um das Öl nicht unter 70 US-Dollar fallen zu lassen. In jedem Fall beißen sich diese Riad-geführten OPEC-Maßnahmen mit dem US-Plan zur Bekämpfung der eigenen Inflation. In einem von steigenden Kraftstoff-Preisen geplagten Land, wo der Verbrennungsmotor das mit enormem Abstand wichtigste Transportmittel am Laufen hält. Vor allem, wenn die semi-staatliche Druckermaschine der US-Fed irgendwann wieder angeschmissen wird und auf diese Weise neues Geld aus dem Nichts, erneut den Markt überflutet.
Der eigentlich nie wirklich weg gewesene Elefant im Raum: US-Staatsschulden
Noch vor knapp einem Monat standen die Verhandlungen über die US-Schuldenobergrenze im Rampenlicht: Der Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy und Präsident Bidens Umfeld kamen zu einer Einigung.
Deren Vereinbarung war für Eingeweihte keine Überraschung, da die Alternative eine komplette Bankrotterklärung des US-Imperiums gewesen wäre. Stattdessen wurde die Schuldenobergrenze von derzeit 31,4 Billionen US-Dollar ausgesetzt – bis zum 1. Januar 2025. Weiter hieß es, dass das Finanzministerium – an seiner Spitze die ehemalige Fed-Chefin Janet Yellen – "außerordentliche Maßnahmen" ergreifen könnte, um die Schulden zu bezahlen. Wenn im öffentlichen Diskurs über monetäre Politik "außerordentliche Maßnahmen" in Aussicht gestellt werden, heißt es geradezu immer, dass Milliarden und letztlich Billionen von neuen US-Dollar gedruckt und, teils über gut getarnte Umwege, in den Markt gespritzt werden.
Die Gefahr der durch die Schuldenkrise verursachten Zahlungsunfähigkeit der USA ist keineswegs entschärft – sie wurde lediglich wie eine zerbeulte Blechdose entlang des mittlerweile wohl ausweglosem Holzweges nach vorn getreten.
Eine real eintretende Zahlungsunfähigkeit wird einen Dominoeffekt nach sich ziehen, der viele weitere Länder erfassen wird. Das gilt besonders für Länder und Ländervereinigungen, die den USA ihre ewige Treue und bedingungslose Liebe geschworen haben.
Das US-Staatsdefizit ist die Differenz zwischen den weniger auftretenden Einnahmen und mehr verzeichneten Ausgaben. Zurzeit liegt dieses Defizit bei circa 1,5 Billionen US-Dollar. Um zu versuchen, diese Negativlücke laufend zu füllen, benutzt Washington D.C. seinen alten monetären Mechanismus der US-Staatsanleihen – erstmals per Gesetz ermöglicht Mitte der 1930er-Jahre durch den damaligen US-Präsidenten, Franklin D. Roosevelt.
US-Staatsanleihen gelten nach wie vor noch verblüffenderweise als die weltweit sicherste Anlage. Sie zeichnen sich populär geschichtlich durch ein geringes oder gar kein Risiko aus. Jeder Staat, jeder Konzern, jede Organisation und jedes Individuum auf der Welt kann kurz-, mittel- oder langfristig den USA Geld leihen und bekommt dafür eine US-Staatsanleihe ausgestellt, die mit Prozenten versehen ist. Derjenige, der sein Geld von Onkel Sam nicht zurückfordert, wird also mit Prozenten vergütet.
Eine systemische Zahlungsunfähigkeit der USA, wie sie eindeutig früher oder später bevorsteht, würde diesem Mechanismus den Totalkollaps bringen. Das Vertrauen in das US-Dollar-System im Allgemeinen würde in alle Einzelteile zerbrechen und einen Sprung der Zinsraten verursachen. Diesmal würde Letzteres nicht zentral von der US-Fed veranlasst werden müssen, sondern von den Marktteilnehmern selbst, die bei weniger Vertrauen und viel höherem Risiko adäquate Entschädigung fordern würden. Anders gesagt, der Preis, der für geliehenes Geld verlangt wird, würde in astronomische Höhen schnellen. Wahrscheinlich so sehr, dass die Teilnehmerzahl in diesem Marktsegment dramatisch fallen würde.
Als Faustregel könnte Folgendes gelten: Je mehr US-Staatsanleihen eine andere Nation in einem solchen historischen Kippmoment bei sich noch lagert, umso mehr wird ihr Schicksal dem der USA ähneln.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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