Von Dagmar Henn
Eine der einfachsten Grundregeln der Diplomatie lautet: "Wie du mir, so ich dir." Insofern ist es ein völlig logischer Schritt, dass China jetzt die Ausfuhr von zwei seltenen Erden genehmigungspflichtig gemacht hat, von Gallium und Germanium. Das ist eine logische Reaktion auf die vergangene Woche, in der, auf US-amerikanischen Druck hin, die niederländische Entscheidung erfolgte, die Ausfuhr der modernsten Lithografie-Maschinen zur Produktion von Mikrochips nach China zu verhindern.
Beide Substanzen werden in der Elektronik benötigt. Gallium, vor allem für Mikrochips, aber auch für blaue LEDs oder in automatischen Feuerlöscheinrichtungen; 95 Prozent der globalen Produktion stammen aus China. Germanium wird ebenfalls in der Elektronik verwendet, aber eher in der Optik und beispielsweise in Solarzellen. Nach Angaben der Global Times stammen 17 Prozent des in der EU verwendeten Germaniums aus chinesischen Quellen (die FAZ spricht sogar von 45 Prozent beim Germanium und 71 Prozent beim Gallium); insgesamt beträgt der Anteil Chinas an der globalen Produktion 67 Prozent.
Die beiden Schritte belegen, dass der Wirtschaftskrieg gegen China bereits eröffnet ist. In Washington scheint sich jener Teil der Regierung durchgesetzt zu haben, der den Konflikt mit China um jeden Preis führen will. Beleg dafür ist die Tatsache, dass bereits am Tag nach dem Besuch von US-Außenminister Antony Blinken in Peking, bei dem diesem die chinesische Position in aller Deutlichkeit vermittelt wurde, US-Präsident Joe Biden jede Abkühlung wieder zunichtemachte, indem er in einer Wahlkampfrede Chinas Präsidenten Xi Jinping einen "Diktator" nannte und dafür sorgte, dass diese Aussage auch auf der Webseite des Weißen Hauses veröffentlicht wurde.
Die EU-Kommission und insbesondere Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist willig, sich dem US-Kurs anzuschließen, aber die einzelnen Länder der EU sind da durchaus geteilter Meinung. Schließlich sind die Ergebnisse des Wirtschaftskriegs gegen Russland desaströs genug. Nicht nur, dass die Wirtschaftsverbindungen nach China weitaus enger sind, als sie es nach Russland waren; die deutsche Automobilindustrie beispielsweise macht große Teile ihres Umsatzes mit ihrer Produktion in China. So schreibt die FAZ:
"Der chinesische Verbrauchermarkt mit einem Volumen von 6,8 Billionen Dollar ist ein wichtiges Ziel für den europäischen Export von Autos, Pharmazeutika und Maschinen. Die deutschen Automobilhersteller Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW haben Dutzende Fabriken in China gebaut und alle drei Hersteller verkaufen heute mehr Fahrzeuge in China als auf jedem anderen Markt."
Sanktionen von der Tiefe, wie sie Russland gegenüber verhängt wurden, hätten zur Folge, dass nicht nur der chinesische Markt, sondern auch die Investitionen in diese Werke vollständig verloren gingen, weil sie letztlich nationalisiert würden; angesichts der äußerst ungewissen Zukunft in Europa stellt sich die Frage, ob diese Unternehmen derartige Verluste überstehen könnten.
Die EU will jedenfalls wieder einmal "Abhängigkeit" verringern, und will, nach Angaben der FAZ, zusammen mit den USA einen "Käuferclub" gründen, um gemeinsame Verträge mit rohstoffliefernden Ländern abzuschließen. Im normalen Wirtschaftsleben nennt man so etwas ein Kartell, und in vielen Bereichen ist solches Handeln zumindest formell verboten. Natürlich richtet sich trotzdem der Vorwurf "der wirtschaftlichen und handelspolitischen Nötigung" gegen China.
Es ist allerdings auch klar, dass weder eine Ausweitung der Solarenergie noch die Pläne für Elektromobilität etwas werden, wenn China einen Grund hätte, diese essenziellen Rohstoffe nicht länger zu liefern. Nachdem sich, wenn auch im Schneckentempo, die Erkenntnis durchsetzt, dass all die Waffenlieferungen und die massivsten je verhängten Sanktionen nicht dazu führen werden, das geopolitische Spiel um die Ukraine zu gewinnen, ist die Bereitschaft, sich im Schlepptau der USA in den nächsten Konflikt ziehen zu lassen, nicht in allen EU-Ländern gleich hoch. Der französische Präsident Emmanuel Macron jedenfalls warnte letzten Monat, Europa dürfe sich nicht "dem amerikanischen Tempo und einer chinesischen Überreaktion anpassen."
Bei einer Umfrage in elf EU-Ländern waren in jedem Land die Befragten mehrheitlich der Meinung, bei einem Konflikt zwischen den USA und China solle ihr Land neutral bleiben. Während die Antworten auf das Verhältnis zu Russland und zu den USA eher die Wirksamkeit der stetigen Propaganda belegen (mit dem besonders absurden Ergebnis, dass die Anzahl der Deutschen, die die USA als Gegner oder Rivalen betrachten, trotz Nord Stream in den letzten zwei Jahren zurückgegangen ist), ist die Position China gegenüber noch vergleichsweise unbeeinflusst.
Bei den Aussagen neutral bleiben/China unterstützen/ich weiß nicht/die USA unterstützen kam der höchste Wert bei der letzten Aussage aus Schweden (49/4/12/35 Prozent), der niedrigste aus Bulgarien (79/4/9/8 Prozent). Deutschland befindet sich diesbezüglich im Mittelfeld, mit 23 Prozent für eine Position an der Seite der USA, aber 60 Prozent für Neutralität und ganze 7 Prozent mit der Ansicht, man müsse sich in einem solchen Konflikt für die Seite Chinas entscheiden.
Übrigens sind auch in den Niederlanden, die mit ihrer Blockade des Exports von Lithografie-Maschinen diese Runde ökonomischer Konfrontation ausgelöst haben, 62 Prozent der Überzeugung, ihr Land solle neutral bleiben. Und diese Frage bezog sich nicht auf einen Wirtschaftskrieg, sondern auf eine militärische Auseinandersetzung, falls "China Taiwan besetzte und die USA zu seiner Verteidigung kämen". Allerdings sind die EU-Bürger nicht wirklich optimistisch, dass die Regierungen auf sie hören, 60 Prozent sind überzeugt, sie täten das zu wenig.
Ein Wirtschaftskrieg, der Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse hat – wie es bei den Russland-Sanktionen ja unbestreitbar der Fall ist – dürfte also auf wenig Gegenliebe bei den Bevölkerungen stoßen. Nun, man weiß ja, wie auf diese Lage reagiert werden wird. Man wird jede Aussage, die die chinesische Position darstellt, zur chinesischen Propaganda erklären, den Zugang zu allen Internetseiten einschränken, auf denen diese zugänglich ist, und die täglichen Minuten Hass mit Gräuelgeschichten aus dem Reich der Mitte füllen.
Übrigens war die Datierung der niederländischen Entscheidung kein Zufall – exakt am selben Tag eröffnete die Western China International Fair in Chengdu, die nebenbei auch Ort der 17. Messe für die Geschäfts- und Technologiekooperation zwischen China und der EU ist. In früheren Jahren wurden dort Milliardenverträge geschlossen. Die niederländischen Exportbeschränkungen kamen also punktgenau, um dort Verwirrung zu stiften und womöglich Abschlüsse zu verhindern.
Inzwischen wurde in den USA sichtbar, welcher Vorwurf gegen China die nächste Stufe der Eskalation einleiten soll. Am Wochenende erklärten zwei US-Senatoren aus Ohio China zum Schuldigen in der Opioidkrise. So erklärte der republikanische Senator J.D.Vance:
"Wir sollten bereit sein, zu sagen: 'Wenn Ihr nicht aufhört, Vorprodukte von Fentanyl nach Mexiko und in unsere eigenen Einfuhrhäfen zu schicken, werden wir Euch wirklich wirtschaftlich strafen'. Das ist das echte Werkzeug, wir können Zölle erhöhen und massive wirtschaftliche Kosten verursachen. Ich denke, die Regierung Biden sollte genau das tun."
Interessanterweise vertrat sein demokratischer Kollege die gleiche Position. Es ist dieses Detail, das dafür spricht, dass es sich um die Einleitung eines außenpolitischen Schachzugs handelt. Dabei ist die Opioidkrise tatsächlich hausgemacht und die Werbemaßnahmen von US-Pharmakonzernen haben dabei eine beträchtliche Rolle gespielt. Als 2022 bekannt wurde, dass China eine der Hauptquellen für in den USA illegal verkauftes Fentanyl ist, wurden in China alle Varianten des Opioids strengen Kontrollen unterworfen, was tatsächlich zu einem Rückgang der Lieferungen führte.
Mit Vorprodukten ist dies weitaus schwieriger, denn jeder, der sich etwas mit Chemie auskennt, weiß, dass ein und dasselbe Vorprodukt, für völlig verschiedene Endprodukte genutzt werden kann, das Ziel des Prozesses, dessen Teil sie sind, also nur identifizierbar ist, wenn man die komplette Liste der Ingredienzien kennt. Ungefähr so, wie ich aus dem Kauf eines Tiefkühlhühnchens noch nicht schließen kann, ob es in einer Suppe oder einer Paella landet oder gebraten wird. Der Endkunde, etwa mexikanische Kartelle, kann es also vergleichsweise einfach erschweren, ihm auf die Spur zu kommen.
Die Tatsache, dass das Thema Opioide Teil der Gespräche Blinkens in China war, belegt abermals, dass die chinesische Regierung grundsätzlich kooperationsbereit ist. Es hatte auch bereits zuvor Gespräche dazu gegeben, die im vergangenen Jahr wegen Nancy Pelosis’ Reise nach Taiwan abgebrochen wurden und nun hätten wieder aufgenommen werden können. Aber Joe Bidens Bemerkung hat diese Möglichkeit auf Eis gelegt, und jetzt soll dieses Thema instrumentalisiert werden, um den Wirtschaftskrieg gegen China anzuheizen, nachdem die auf COVID-19 beruhende Propaganda in Folge von Impfkorruption und -schäden offenbar an Wirkung verloren hat.
Die chinesische Reaktion auf das Ausfuhrverbot erinnert an die russische Reaktion auf das fünfte EU-Sanktionspaket, als der Export von Edelgasen aus Russland eingeschränkt wurde. Auch diese sind für die Chipproduktion unentbehrlich, allerdings lag der russische Marktanteil etwa bei hochreinem Neon nur bei 30 Prozent. Das kann sich jedoch im Gefolge der militärischen Entwicklung in der Ukraine ändern – die nächsten 50 Prozent des globalen Marktes werden aus Odessa bedient.
Der Irrwitz der nun eröffneten Runde gegen China besteht genau darin, dass die Effekte auf den Westen selbst mit jenen der Russlandsanktionen kumulieren, und zwar nicht nur in Gestalt der unmittelbar erkennbaren Folgen. Das grundsätzliche Problem besteht darin, dass sich die aus solchen Handlungen resultierenden Risiken nicht addieren, sondern multiplizieren. Wenn die EU-Kommission meint, man könne es sich leisten, neben Russland auch noch China zu sanktionieren, hat sie vermutlich wieder einmal niemanden gefragt, der ihr die Konsequenzen vorrechnet.
Was in der Regel völlig negiert wird, sind die indirekten Konsequenzen; als die Verschiffung russischen Öls in die EU sanktioniert wurde, führte das dazu, dass Versicherungen sich weigerten, die Transporte auch völlig anderer Güter aus Russland zu versichern, was dann dazu führte, dass Reedereien sie nicht mehr transportierten.
Man stelle sich Ähnliches einmal bezogen auf China vor, auf die gewaltigen Warenströme, die täglich die chinesischen Häfen verlassen. Natürlich hätte China die Ressourcen, seine Waren selbst zu versichern, und im günstigsten Fall würde das dazu führen, dass westliche Großreedereien einen gewaltigen Anteil ihres Geschäfts verlieren; aber es ist nicht gesagt, dass die chinesische Regierung im Falle solcher Sanktionen ein Interesse daran hat, diese Nebenwirkungen zu heilen. Es könnte politisch wirkungsvoller sein, die Folgen einmal ungedämpft vorzuführen.
Das US-Handelsministerium jedenfalls hat vor, die Exportbeschränkungen für Mikrochips noch auszuweiten, und die Tagesschau betet die Begründung brav nach: Die USA wollten "so verhindern, dass China an diese hochleistungsfähigen Halbleiter kommt und diese im Militär nutzen kann."
Wenn die letzten Monate eines gezeigt haben, dann, dass es gar keine besonderen, hochleistungsfähigen Chips benötigt, um sich die versammelte NATO vom Leib zu halten. Das Hauptwerkzeug auch für China dürften Hyperschallraketen sein, die die USA weder abwehren noch besitzen noch herstellen können; das Problem dabei liegt allerdings im Bereich der Physik und nicht dem der Elektronik, weil solche Raketen nicht durch gasförmige Luft, sondern durch Plasma fliegen. Dieser Raketentyp ist vor allem deshalb wichtig, weil im Falle eines Krieges mit den USA diese vollständig darauf angewiesen wären, ihren Nachschub per Schiff zu transportieren. Nein, tatsächlich geht es bei den ganzen Manövern im Bereich der Mikrochipproduktion um den Wettbewerbsvorteil, den sich die USA im Bereich der künstlichen Intelligenz erhoffen. Nur – ohne seltene Erden dürfte das schwierig werden, und mit Gallium und Germanium ist die Liste erst am Anfang.
Man könnte also sagen, diese chinesischen Exportbeschränkungen sind ein Warnschuss in Reaktion auf den Schritt der Niederlande, und die westlichen Länder wären gut beraten, noch einmal darüber nachzudenken, ob sie sich wirklich auf dieses Spiel einlassen wollen. Wirkliche Hoffnung in dieser Richtung gibt es allerdings nur in zwei Varianten – entweder in Gestalt eines Regierungswechsels in den Vereinigten Staaten, oder in Gestalt eines Auseinanderbrechens der EU (eine kollektive Lösung von der US-Politik ist wegen der Polen und Balten nicht möglich). Ansonsten dürften die nächsten Schritte dieser wirtschaftlichen Konfrontation die Folgen der Russland-Sanktionen wie einen milden Sommerregen wirken lassen – im Vergleich mit einer Sturzflut.
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