Von Seyed Alireza Mousavi
Der französische Präsident Emmanuel Macron erwägt die Teilnahme am bevorstehenden BRICS-Gipfel im August in Johannesburg. Das berichtete vor Kurzem die Zeitung l'Opinion unter Berufung auf eine Quelle im Elysée-Palast. Die Meldung hat große Aufmerksamkeit in Frankreich erregt, da die BRICS-Gruppe als ein Gegenmodell zu der von den USA dominierten Staatengruppe G7 angesehen wird. Seit der Verhängung der historisch beispiellosen Sanktionen des Westens gegen Moskau rücken Russland, China und Staaten des sogenannten "Globalen Südens" enger zusammen. Die BRICS-Staaten, Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika haben sich zum Ziel gesetzt, ein Gegengewicht zu der von westlichen Staaten dominierten Weltordnung zu bilden.
Die Meldung zur möglichen Teilnahme Macrons am BRICS-Gipfel klingt allerdings nicht so überraschend. Denn Frankreich ist eine mitteleuropäische Macht, die die bevorstehenden geopolitischen Machtverschiebungen in der globalen Landschaft immer früh erkannt hat. Macron selbst hat bei mehreren Gelegenheiten überraschende Erklärungen abgegeben und damit ein gewisses Maß an Autonomie gegenüber den USA demonstriert. Macron brachte kürzlich auch seine Besorgnis über den Plan der NATO zum Ausdruck, ein Verbindungsbüro in Tokio zu eröffnen. Asien liege außerhalb des geografischen Geltungsbereichs des Nordatlantiks, kritisierte der französische Präsident. Macron entwickelt damit seinen Standpunkt weiter, den er in seiner Grundsatzrede an der Sorbonne 2017 bereits dargelegt und seit dem Ukraine-Krieg vehement propagiert hat. Die EU soll ihre "strategische Autonomie" stärken, um mehr wirtschaftliches Gewicht und Einfluss gegenüber China und den USA zu erlangen und sich als dritte Kraft zu etablieren. Frankreich beansprucht eine Führungsrolle in der EU, und deshalb lehnt es das Land ab, dem US-Tempo in der China-Politik bei der Taiwan-Frage zu folgen.
Seit dem Ukraine-Krieg bemüht sich Macron, eine europäische Strategie für die geopolitische Zeitenwende zu entwickeln, selbst wenn Berlin sich als treuer Vasall der USA immer querstellt. Kürzlich trafen 20 europäische Verteidigungsminister und Vertreter der NATO in Paris zu einer "Konferenz über die Luftverteidigung und Raketenabwehr Europas" zusammen. Während Berlin in Systeme wie die US-amerikanischen Patriots und das israelische Arrow 3 investieren will, plädiert Macron dafür, dass Europa sich in Rüstungsfragen von den USA emanzipiert.
Der französische Präsident unterstrich in einem Interview auf dem Rückflug von seinem jüngsten Staatsbesuch in China, dass Europa seine Abhängigkeit von den USA verringern müsse. Außerdem dürfe sich Europa nicht in die Konfrontation zwischen China und den USA um Taiwan hineinziehen lassen. Im Gespräch mit Politico sagte Macron, das "große Risiko" für Europa bestehe darin, "in Krisen hineingezogen zu werden, die nicht die unseren sind, was uns daran hindern würde, unsere strategische Autonomie aufzubauen".
Es bleibt allerdings fraglich, inwieweit Macron in der Lage ist, einen Balanceakt zwischen den USA und dem "Globalen Süden" zu vollführen. Als ehemalige Kolonialmacht haben westliche Staaten weniger Chancen, als vertraulicher Partner im sogenannten "Globalen Süden" wahrgenommen zu werden. Der Abzug französischer Truppen aus Mali nach der Demütigung und den Misserfolgen im vergangenen Sommer war im Grunde ein Weckruf für westliche Strategen, dass der westliche Einfluss auf geopolitischer Ebene schwindet.
Hinzu kommt, dass Frankreich zu tief in die US-amerikanische Weltordnung integriert ist. Die EU ist kein autonomer Großraum, sondern gehört militärstrategisch definitiv zum Raum der NATO und der von den USA dominierten unipolaren Weltordnung. Insofern ist weiterhin die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Europa in den Wettstreit zwischen den USA und China hineingezogen wird.
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