Die Zeiten ändern sich, die Bekenntnisse des Westens zur unverbrüchlichen militärischen Unterstützung der Ukraine bröckeln. In Deutschland zwar noch nicht, dort beschimpft der Kanzler alle, die von ihm mehr Einsatz für Frieden und Verhandlungen fordern. Aber innerhalb der EU wendet sich das Blatt. Vor allem jedoch in den USA werden Forderungen nach einer diplomatischen Lösung nicht nur immer lauter, sondern inzwischen auch an ganz prominenter Stelle präsentiert.
Am 5. Juni erschien in der renommierten US-Zeitschrift Foreign Affairs ein Beitrag unter der Überschrift "Ein nicht zu gewinnender Krieg", dessen Autor sich mit der Ukraine auseinandersetzt und das Einfrieren des Konfliktes fordert.
Das ist bemerkenswert, denn Foreign Affairs gilt als das führende Blatt zur US-Außenpolitik. Hinter Foreign Affairs steht der US-amerikanische Thinktank "Council on Foreign Relations" mit großem Einfluss auf die strategische Ausrichtung der US-Außenpolitik.
Natürlich kommt der Autor Samuel Charap nicht umhin, einleitend Russlands militärische Schwäche zu betonen und den Heldenmut der Ukraine zu loben, um dann eine argumentative Wende zu vollziehen: Auch wenn es der Ukraine in der Gegenoffensive gelänge, Geländegewinne zu erzielen, wenn sie weitgehend erfolgreich verliefe, würde das den Krieg nicht beenden.
"Aber selbst wenn sie gut verläuft, wird eine Gegenoffensive nicht zu einem militärisch entscheidenden Ergebnis führen", schreibt Charap, Politikwissenschaftler bei der RAND Corporation.
Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf einige der bereits bekannten Probleme, mit denen die ukrainische Armee zu kämpfen hat: Munitionsmangel, große Verluste wie beispielsweise bei der Verteidigung von Artjomowsk und die Komplexität westlicher Waffensysteme, in die sich einzuarbeiten den ukrainischen Soldaten die Zeit fehlt. Ein militärischer Erfolg würde zudem nicht zwangsläufig zu einem Ende des Krieges führen.
"Selbst wenn Kiew über alle Erwartungen hinaus Erfolg hätte und die russischen Truppen zum Rückzug über die internationale Grenze zwingen würde, würde Moskau die Kämpfe nicht unbedingt einstellen. Aber kaum jemand im Westen erwartet so ein Ergebnis zu irgendeinem Zeitpunkt, geschweige denn in naher Zukunft. Stattdessen ist die optimistische Erwartung für die kommenden Monate, dass die Ukrainer im Süden einige Gewinne erzielen werden. (...) Kurz gesagt, selbst Erfolge auf dem Schlachtfeld führen nicht notwendig zu einem Ende des Krieges."
Gelänge es nicht, eine Verhandlungsoption zu eröffnen, drohe daher ein langer Krieg. Es liege in der Verantwortung der USA, die Ukraine zu Verhandlungen zu drängen.
Vorgeschlagen wird ein Einfrieren des Kriegs nach koreanischem Vorbild. Zwischen Nord- und Südkorea existiert lediglich eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand. Dieser Waffenstillstand hält jedoch bereits seit 1953. Die Ukraine müsste damit ihre territorialen Ansprüche nicht aufgeben, könnte eine Wiedervereinigung aber in die Zukunft aufschieben und die gegebenen Realitäten vorerst anerkennen, schreibt der Autor des Beitrags.
Statt eines Beitritts zur NATO schlägt Charap Sicherheitsgarantien durch die USA als Alternative vor. Sollte eine Beitrittsperspektive der Ukraine zur NATO aufrechterhalten bleiben, könnte das die Bereitschaft Russlands erhöhen, den Krieg fortzuführen.
"Selbst wenn es unter den Verbündeten einen Konsens gäbe, Kiew eine Mitgliedschaft anzubieten (was nicht der Fall ist), könnte die Gewährung einer Sicherheitsgarantie für die Ukraine durch die NATO-Mitgliedschaft den Frieden für Russland so unattraktiv machen, dass Putin beschließen würde weiterzukämpfen."
Es brauche daher eine doppelte Strategie, argumentiert der Autor. Der Westen müsse die Ukraine weiter unterstützen, während er Gesprächskanäle nach Russland öffnet und sich um Gespräche bemüht. Es brauche einen Plan zur Beendigung des Krieges. Diesen Plan gibt es bisher nicht, er müsse dringend erarbeitet werden, da sonst die sinnlose und verlustreiche Verlängerung des Krieges droht. Eine Verringerung der militärischen Aktivität auf ein niedrigeres Niveau sei unter den aktuellen Bedingungen und unter Ausschluss von Diplomatie nicht möglich, meint Charap. Das zeige die Geschichte.
"Während westliche Regierungen weiterhin alles in ihrer Macht Stehende tun sollten, um die Ukraine militärisch zu unterstützen, muss der Westen auch eine Ausstiegsstrategie aus dem Krieg erarbeiten – eine Vision für ein Endspiel, das unter den alles andere als idealen Umständen plausibel ist. Denn ein entscheidender militärischer Sieg ist höchst unwahrscheinlich."
In den nächsten Monaten sei daher ein konkreter diplomatischer Pfad zu etablieren, der Verhandlungen ermöglicht. Zu beachten sei dabei, dass der Schritt nicht als grundlegende Abkehr von der bisherigen Politik der Unterstützung der Ukraine erscheint und von Kiew nicht als Preisgabe ukrainischer Interessen verstanden wird.
"Bereits jetzt muss jeder Schritt der USA und ihrer Verbündeten, den diplomatischen Weg zu öffnen – selbst mit der Unterstützung der Ukraine – sorgfältig bedacht werden, damit er nicht als Politikumkehr oder Aufgabe der westlichen Unterstützung für Kiew verstanden wird."
Die Vorschläge, die Charap macht, sind relativ weit ausgearbeitet. Es scheint in den USA vieles in Bewegung zu kommen. Es sieht daher ganz danach aus, als müsse der Kanzler bald seine Position gegenüber Friedensaktivisten korrigieren. Die USA werden ihn dazu zwingen. Man darf gespannt sein, wie Scholz seine geänderte Position dem Publikum verkauft.
Mehr zum Thema – Der Blasen-Kanzler: Kaum trifft Olaf Scholz auf echte Menschen, flippt er aus