Der ehemalige NATO-Generalsekretär Anders Rasmussen hat erklärt, dass sich einige Mitgliedsstaaten freiwillig zur Entsendung von Soldaten in die Ukraine bereit erklären könnten, wenn dem Land auf dem bevorstehenden Gipfel am 11. und 12. Juli im litauischen Vilnius keine Sicherheitsgarantien in einer Vielzahl von Fragen gegeben werden.
Rasmussen ist als Berater des ukrainischen Präsidenten, Wladimir Selenskij, tätig und hat auch mit dessen Vorgänger, Petro Poroschenko, zusammengearbeitet. Er forderte, Kiew solle vor dem Treffen der NATO-Staats- und Regierungschefs im nächsten Monat schriftliche Garantien erhalten, auch für den Austausch westlicher Geheimdienstinformationen, Waffentransfers und die gemeinsame militärische Ausbildung.
Bodentruppen unter polnischer Führung
Wenn sich die NATO nicht auf einen klaren Weg für die Ukraine einigen könne, bestünde die Möglichkeit, dass einige Länder einzeln Maßnahmen ergreifen, sagte Rasmussen am Mittwoch laut der britischen Tageszeitung The Guardian. Er schließe nicht aus, dass sich Polen in diesem Zusammenhang auf nationaler Ebene noch stärker engagiert und die baltischen Staaten folgen, vielleicht sogar mit Bodentruppen ("troops on the ground").
"Ich denke, die Polen würden ernsthaft in Erwägung ziehen, eine Koalition der Willigen zu bilden, wenn die Ukraine in Vilnius nichts erreicht."
Rasmussen war in den letzten Wochen durch Europa und die USA gereist, um militärische Unterstützung für die Ukraine zu gewinnen. Die Entsendung ausländischer Truppen wäre laut dem ehemaligen NATO-Generalsekretär nach internationalem Recht legal, wenn Kiew darum bitte.
"Bukarest Neun" fordern mehr Unterstützung
Der derzeitige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bestätigte zwar kürzlich, dass auf dem Gipfel einige Sicherheitsgarantien erörtert würden. Stoltenberg betonte jedoch, dass vollständige Garantien nur den Mitgliedsstaaten angeboten werden könnten. Die NATO hatte der Ukraine erstmals 2008 die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, und Kiew hatte im September 2022 offiziell einen Beitrittsantrag eingereicht. Seitdem blieb diese Situation weitgehend unverändert.
Mehrere NATO-Mitglieder äußerten sich in letzter Zeit zunehmend zur Zukunft der Ukraine im Nordatlantikbündnis und forderten andere westliche Länder auf, einen klaren Weg zur Mitgliedschaft zu skizzieren.
Anfang dieser Woche gab eine Untergruppe osteuropäischer NATO-Staaten, die sogenannten "Bukarest Neun", eine Erklärung ab. Darin forderten sie den Block auf, bei der Veranstaltung in Vilnius einen neuen politischen Weg einzuschlagen, der zu einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine führen wird, sowie "ein robusteres, mehrjähriges und umfassendes Unterstützungspaket".
Washington prüft Optionen
Obwohl Washington wiederholt bekräftigt hat, dass die Ukraine eines Tages dem Militärbündnis beitreten werde, konzentrieren sich die USA stärker auf den aktuellen Konflikt mit Russland – in der Hoffnung, die Frage der Mitgliedschaft zu einem späteren Zeitpunkt lösen zu können. Die US-Botschafterin bei der NATO, Julianne Smith, erklärte jedoch am Mittwoch gegenüber The Guardian:
"Wir prüfen eine Reihe von Optionen, um zu signalisieren, dass die Ukraine in ihren Beziehungen zur NATO vorankommt."
Selenskij lehnte kürzlich jeden "Ersatz für die NATO" ab und erklärte Berichten zufolge gegenüber den westlichen Partnern, dass er nicht an dem Gipfeltreffen in Litauen im Juli teilnehmen werde, wenn der Militärblock der Ukraine nicht "konkrete" Garantien oder einen Fahrplan für die Vollmitgliedschaft anbiete.
Russland betrachtet die fortgesetzte Osterweiterung der NATO als Bedrohung seiner Sicherheit und hat die Hilfe der Mitgliedsstaaten für die Ukraine als einen der Gründe für die Einleitung der Militäroperation in dem Nachbarstaat im Februar 2022 angeführt.
Moskau hat wiederholt erklärt, dass die Neutralität der Ukraine eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden sei.
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