Russlands bemerkenswerte Evolution im Agrarsektor: Versorgungssicherheit und Exportanstieg

Trotz unzähliger Sanktionen aus dem Westen bricht Russlands Wirtschaft nicht ein. Im Gegenteil – zum Teil werden Rekordergebnisse erreicht. Das betrifft insbesondere den Agrar- und Nahrungsmittelsektor. Eine Analyse über die Hintergründe des Erfolgs.

Eine Analyse von Alex Männer

Russland wirtschaftlich "zu ruinieren" – das rückt für die Länder des sogenannten "kollektiven Westens" zunehmend in weite Ferne. Trotz der inzwischen mehr als 11.000 westlichen Sanktionen wirkt die russische Wirtschaft weiterhin sehr robust und meldet sogar bemerkenswerte Erfolge. Vor allem im russischen Agrar- und Nahrungsmittelsektor, wo schon seit Jahren ein starkes und kontinuierliches Wachstum sowie immer neue Rekordwerte verzeichnet wurden.

Für Russland ist dieser Aufschwung nach der desaströsen postsowjetischen Umbruchphase, als praktisch der gesamte Agrarbereich im Niedergang begriffen war und vor dem Zusammenbruch stand, im Grunde lebensnotwendig. Dass dieser Aufschwung möglich ist, ist Experten zufolge in erster Linie dem bisher ungenutzten und immensen agrarischen Potenzial Russlands, dem westlichen Know-how und den aus dem Ausland importierten Technologien zu verdanken.

Zum Teil stimmt das. Allerdings ist hervorzuheben, dass der Agrarsektor – dessen Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung Russland eigentlich relativ klein ist – in Bezug auf die nationale Sicherheit des Landes eine zentrale Stellung innerhalb der russischen Politik einnimmt und daher vom Staat massiv gefördert wird.

Lebensmittelsicherheit in Russland

Schon in den 2000er-Jahren war ein grundlegender Wandel in der russischen Agrarpolitik erfolgt, der sich mit der Verabschiedung einer nationalen Doktrin zur Lebensmittelsicherheit 2010 manifestiert hatte: Gemäß dieser Doktrin war damals in Russland ein Selbstversorgungsgrad von 90 Prozent für die wichtigsten Grundnahrungsmittel festgeschrieben worden. Infolgedessen hatte die russische Regierung im Rahmen der sogenannten Importsubstitutionspolitik, die als Reaktion auf die westlichen Sanktionen im Lebensmittelbereich 2014 zum Hauptanliegen der russischen Staatspolitik erklärt worden war, langfristige und anspruchsvolle Ziele für die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln festgesetzt. Dafür waren Finanzmittel in Milliardenhöhe bereitgestellt worden, die in Form von Zuschüssen oder Förderprogrammen an die Agrarproduzenten geflossen waren.

So konnte in Russland inzwischen eine sichere Versorgung mit Getreide und Getreideerzeugnissen, Fleisch- und Fischprodukten, Pflanzenöl, Zucker sowie anderen wichtigen Nahrungsmitteln erreicht werden. Laut Angaben der nationalen Statistikbehörde Rosstat beträgt der Selbstversorgungsgrad beim Weizen etwa 190 Prozent, beim Pflanzenöl 210 Prozent und beim Zucker mehr als 100 Prozent.

Die heimische Versorgung mit Fleisch ist von solchen Werten zwar noch weit entfernt, reicht aber bei den wichtigsten Fleischarten theoretisch für die Deckung der inländischen Nachfrage aus. Diesbezüglich ist anzumerken, dass der beobachtete Anstieg der Selbstversorgung mit Fleisch mit einem steigenden Konsum im Inland einhergeht, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten merklich zugenommen hatte: Während sich der menschliche Verzehr von Fleisch pro Kopf in den Neunzigerjahren um etwa die Hälfte auf knapp 40 Kilogramm verringert hatte, liegt er heute schon bei 80 Kilogramm und damit sogar über dem sowjetischen Niveau.

Was die Versorgung mit Gemüse, Obst und Milch beziehungsweise Milchprodukten betrifft, kann der inländische Verbrauch zwar noch nicht zu 90 Prozent durch die heimische Produktion abgedeckt werden, macht jedoch bereits mehr als 80 Prozent der Eigenversorgung aus. Das Milchaufkommen etwa deckte im vergangenen Jahr in Russland rund 84 Prozent des Inlandsbedarfs an Milchprodukten.

Ausweitung des Exports

Da die Selbstversorgung im Grunde schon seit mehreren Jahren gewährleistet wird und die Nahrungsmittelimporte dementsprechend zurückgegangen sind, legt die russische Regierung das Augenmerk bei der Agrarpolitik mittlerweile auf den Export. Bis 2024 strebt sie eine Steigerung der russischen Agrarausfuhren auf 45 Milliarden US-Dollar an, wie es aus offiziellen russischen Angaben hervorgeht.

Ausgehend vom laufenden Agrarjahr, das am 30. Juni 2023 endet, ist dieses Ziel bereits in greifbarer Nähe. Denn laut der Nachrichtenagentur TASS, die auf vorläufigen Angaben des russischen Landwirtschaftsministeriums verweist, konnte Russland seine Einnahmen aus dem Agrarexport im Vergleich zu 2021 bereits um zwölf Prozent auf einen Rekordwert von 41,5 Milliarden US-Dollar steigern. Demnach ist der Exportzuwachs in der Landwirtschaft am stärksten, wo er schon seit Jahren im zweistelligen Bereich liegt.

Wie die Nachrichtenagentur Interfax berichtete, könnten die russischen Getreideexporte bis Ende Juni insgesamt bis zu 60 Millionen Tonnen betragen. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die gesamte Getreideproduktion in Russland vor nicht so langer Zeit gerade mal in diesem Bereich lag. Und heute ist es, wohlgemerkt, allein das Exportpotenzial des Landes.

Allerdings ist dieses Potenzial noch bei Weitem nicht ausgeschöpft. Wenn man nämlich das globale Rating der Agrarexporteure betrachtet, dann befindet sich Russland immer noch außerhalb der Top Ten, obwohl es schnell aufholt. Ausgehend von den Daten des Statistikportals Statista konnte es sich in den vergangenen zehn Jahren etwa von einem Weizenimporteur zum größten Weizenexporteur der Welt entwickeln und solche Weizenexportnation wie die USA, Australien oder Kanada hinter sich lassen. Durch den erwarteten Export von etwa 45 Millionen Tonnen Weizen kommt Russland in diesem vermutlich auf einen Weltmarktanteil von nahezu 20 Prozent bei den Exporten von Weizen, Mehl und Weizenprodukten.

Auch der Export von Fleisch- und Fleischprodukten wird kontinuierlich ausgeweitet. Einem TASS-Bericht vom April zufolge hat der gesamte Fleischexport aus Russland um 13 Prozent zugenommen und erreichte mit 650.000 Tonnen eine historische Bestmarke. Zugleich liegt der Export von Fleisch mit 100.000 Tonnen deutlich über dem Import, was im Hinblick auf die künftige Entwicklung der russischen Fleischproduktion ein gutes Zeichen ist. Branchenexperten hatten diesbezüglich bereits in den vergangenen Jahren darauf hingewiesen, dass die Russen sich von einem großen Fleischimporteur zum Nettoexporteur von Geflügel- und Schweinefleisch entwickelt hätten.

Insgesamt kann man konstatieren, dass Russland seine Rolle als einer der wichtigsten Lieferanten für Agrarprodukte auf dem globalen Markt angesichts der Beschränkungen im Außenhandel erneut behaupten konnte. Auch künftig sollte der russische Agrarexport eine wichtige Rolle auf der Welt spielen. Manche Experten gehen sogar davon aus, dass die agrarische Zusammenarbeit zwischen Europa und Russland trotz der aktuellen Spannungen bald wieder verstärkt werden könnte. Denn das russische Potenzial ist in diesem Bereich nach wie vor immens und wie gesagt bei Weitem nicht ausgeschöpft. Unter anderem gibt es in dem Riesenland gigantische Agrarflächen, die immer noch nicht genutzt werden. Für die Europäer wäre das die Chance, ihre Situation im Lebensmittelbereich zu verbessern und den Anstieg der Lebensmittelpreise zu bremsen.

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