Türkische Opposition fürchtet Wahlbetrug

Die aktuellen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei sind denkbar knapp. Es steht inzwischen fest, dass die Präsidentschaftswahl in den zweiten Wahlgang gehen wird. Oppositionskandidaten zweifeln das Ergebnis bereits an.

Die Auszählung des ersten Wahlgangs ist noch nicht beendet, da erklärte der Spitzenkandidat der Opposition, der 74-jährige Vorsitzende der CHP Kemal Kılıçdaroğlu, die Regierung Erdoğan versuche, den Wählerwillen zu verfälschen. Am Sonntagabend sagte er zu Reportern: "Sie blockieren das Wahlsystem mit wiederholten Einwänden bei Wahlurnen, in denen wir die Mehrheit haben."

Auch der dritte verbliebene Kandidat für die Präsidentschaftswahlen, Sinan Oğan, der dem bisherigen Ergebnis zufolge gerade 5,2 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, erklärte, er habe "gehört, dass bei der Auszählung der Auslandsstimmen einige Manipulationen stattfanden".

Die im Ausland abgegebenen Stimmen sind tatsächlich der Grund dafür, dass die Auszählung noch nicht abgeschlossen ist. Die Türkei ist eines der Länder mit Wahlpflicht: Damit sind Millionen in Westeuropa lebende türkische Staatsangehörige verpflichtet, ihre Stimme abzugeben. Der letzte Stand noch auszuzählender Stimmen betrug nach Aussage des Vorsitzenden der Wahlkommission, Ahmet Yener, 400.000 Stimmen. 99 Prozent der Stimmen sind ausgezählt, große Veränderungen sind also nicht mehr zu erwarten. Nach dem aktuellen Stand hat Erdoğan die absolute Mehrheit mit 49,4 Prozent knapp verfehlt, sodass es am 28. Mai zu einer Stichwahl kommen wird.

In den letzten Umfragen vor der Wahl lag Kılıçdaroğlu, der nach Einschätzung westeuropäischer Politiker die CHP wieder auf einen sozialdemokratischen Kurs zurückführte und von einem Bündnis aus sechs Parteien unterstützt wird, vor Amtsinhaber Erdoğan. Er ist der Favorit des Westens. Nach Aussage des Wahlausschusses erhielt er 44,9 Prozent der Stimmen.

Erdoğan handelte spätestens seit dem gescheiterten Putschversuch gegen ihn im Jahr 2016 meist unabhängiger, als es der EU und den Vereinigten Staaten recht war. Das zeigte sich unter anderem in der Auseinandersetzung um den Kauf russischer S-400-Luftabwehrraketen, auf den hin die USA ihr Angebot zurückzogen, F-35-Kampfflugzeuge zu liefern. Auch die von Russland geförderten Verhandlungen mit Syrien stießen auf westliche Kritik, ebenso wie die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland im vergangenen Frühjahr, die fast erfolgreich waren.

Wie weit Kılıçdaroğlu im Falle eines Wahlsieges tatsächlich eine andere Politik verfolgen wird als Erdoğan, hängt allerdings nicht nur von der Stabilität seines Parteibündnisses ab, sondern auch von der Position des in der Türkei politisch immer sehr aktiven Militärs. Dieses könnte einem kemalistischen Kandidaten wie Kılıçdaroğlu gegenüber zwar sogar aufgeschlossener sein, aber nicht notwendigerweise einer westlich orientierten Politik gegenüber, die die politischen Freiräume preisgibt, die Erdoğan erarbeitet hat.

Wahlbeobachter aus der Organisation der Turkstaaten – aus Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan – hatten nach dem Besuch von 170 Wahllokalen in Istanbul erklärt, sie hätten keine Belege für Einmischungen durch Verwaltung oder Strafverfolgung gefunden. "Die Auszählung der Urnen und der Ergebnisse erfolgte zeitnah und in Übereinstimmung mit dem nationalen Wahlrecht."

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