Von Felicitas Rabe
Die hessischen Freidenker luden am Abend des 2. Mai 2023 zu einer Vorführung des Dokumentarfilms "Remember Odessa" ein mit anschließender Diskussion über den Hintergrund des Massakers und über die politische Entwicklung in der Ukraine. Anlässlich des Jahrestages des Massenmords im Gewerkschaftshaus in der südwestukrainischen Stadt Odessa wollten sie der Opfer gedenken. An der Podiumsdiskussion nahmen neben dem Filmregisseur und Publizisten Wilhelm Domke-Schulz auch der Gründer des Youtube-Kanals Druschba FM, Sergey Filbert, sowie Jan Veil von den Freien Linken und der Präsident der Weltunion der Freidenker, Klaus Hartmann, teil.
In der Veranstaltungsbeschreibung der Freidenker werden die schrecklichen Ereignisse vom Mai 2014 in Odessa zusammengefasst:
"Nach dem Staatsstreich in Kiew kommt es im Osten und Süden der Ukraine zu massiven Gegenprotesten, Odessa wird zum wichtigsten Zentrum des zivilen Widerstandes. Zehntausende Menschen protestieren Woche für Woche gegen das illegitime Regime in Kiew. Am 2. Mai 2014 stürmen mehrere Hundert radikaler Nationalisten und Bewaffnete des faschistischen Asow-Regiments das Protestlager. Die Regierungsgegner flüchten in das dahinter liegende Gewerkschaftshaus, das dann von den Nazis in Brand gesetzt wurde. 48 Menschen wurden bei lebendigem Leib verbrannt, wer durch die Fenster ins Freie flüchten konnte, wurde mit Knüppeln erschlagen. Der Film führt uns an den Ort des bis heute ungesühnten, furchtbaren Verbrechens, die Mörder von Odessa sind bis heute auf freiem Fuß."
Der Präsident der Weltunion der Freidenker, Klaus Hartmann, erinnerte im Rahmen der Gedenkveranstaltung an die Stürmung der Gewerkschaftshäuser durch die SA-Horden am 2. Mai 1933. Anschließend habe die Gleichschaltung der Gewerkschaften in Nazi-Deutschland begonnen. Im Februar 2023 verurteilte der DGB in einer gemeinsamen Erklärung mit dem deutschen Arbeitgeberverband die "kriegerische Aggression" Russlands. Zum Verbrechen im Gewerkschaftshaus in Odessa würden die deutschen Gewerkschaftsspitzen bis heute schweigen.
Vor der Filmvorführung begrüßte der Filmemacher Wilhelm Domke-Schulz die rund 70 Zuschauer, die sich in der kleinen Ortschaft Offenbach-Bieber zum Gedenktag im Wiener Hof eingefunden hatten. Zur Zeit seiner Ausbildung habe man sich an der Filmhochschule Babelsberg intensiv mit dem Faschismus und der Ideologie des Faschismus auseinandergesetzt, erklärte Domke-Schulz.
In der ehemaligen DDR habe es zum Ideal eines Filmemachers gehört, sich mit seinen Werken gegen den Faschismus zu engagieren. Die Ehrung von Anti-Faschisten sei Bestandteil seiner Sozialisation gewesen, insbesondere auch deshalb, weil zu DDR-Zeiten viele Straßen nach Anti-Faschisten benannt wurden. Nach der Wende habe man diese Straßennamen ausgetauscht.
Bei den Maidan-Ereignissen in Kiew im Jahr 2014 sei er vom ersten bis zum letzten Tag mit Filmteams dabei gewesen. Die Berichterstattung über die nach offiziellen Angaben 48 toten Regierungsgegner habe in der westlichen Presse nur drei Tage angehalten. Am Ende seien die Morde russischen Agenten in die Schuhe geschoben worden.
Das Filmwerk lässt den Zuschauer unmittelbar in die Ereignisse in Odessa im Mai 2014 eintauchen. Mit Originalbildern und -zeitzeugen werden die politischen Kämpfe zwischen den ukrainischen Nationalisten und den traditionell multikulturell eingestellten Regierungsgegnern in der Stadt am Schwarzen Meer nachvollziehbar wiedergegeben.
Dabei werden den Zuschauern auch Originalaufnahmen von den Gräueltaten der Nationalisten an den Regierungsgegnern zugemutet, die damals von Zeugen gefilmt wurden. Im Film werden die schrecklichen Verbrechen und die politischen Auseinandersetzungen, die in Odessa bis heute andauern, auf eine Weise rekonstruiert, dass der Zuschauer schließlich die Entwicklung in der Ukraine insgesamt nachvollziehen kann.
Angehörige beklagen ungefähr hundert Menschen, die an dem Tag im Gewerkschaftshaus durch Brände und Gasvergiftungen getötet wurden. Einige starben auch bei einem Sprung aus dem Fenster, wurden erschossen oder zu Tode geprügelt. Bis heute gibt es weder eine politische noch gerichtliche Aufarbeitung der Verbrechen. Weitere 100 Personen werden seit jenem Tag vermisst. International bleibt es bei der Zahl von 48 Opfern – denn bei mehr als 50 Toten müsse eine internationale Untersuchung einberufen werden, erklärte Sergey Filbert.
Während die Regierungsgegner bis heute der Opfer im Gewerkschaftshaus gedenken, feiern die Nationalisten diesen Tag als Tag des Sieges für die Helden der Ukraine, macht der deutsch-russische Friedensaktivist von Druschba FM den Zuschauern in der Diskussion noch einmal deutlich. Selbst "gestandene Linke" würden es ablehnen, über den Donbass und das Gewerkschaftshaus in Odessa zu diskutieren.
Jan Veil von den Freien Linken geht davon aus, dass man die Regierungsgegner am 2. Mai zwecks Abschreckung planmäßig umgebracht habe:
"Es war geplant, dass es viele Tote gibt, damit der Widerstand gegen die Nazis abgeschreckt wird."
Schließlich seien in Odessa massenhaft Regierungsgegner in den Widerstand gegangen, das wollte man damit beenden, so Veil. Es sei ihm bislang nicht bekannt gewesen, dass es in Kiew auch so einen großen, friedlichen Anti-Maidan gegeben hätte, bekannte ein Zuschauer nach dem Film. Und ein anderer Zuschauer stellte fest, man könne in den Originalaufnahmen des Films sehr gut erkennen,
dass es sich tatsächlich um Nazis handele, die gegen die Regierungsgegner kämpften – an ihren Slogans zur Banderaverehrung und an ihren verachtenden Aussagen gegenüber Juden.
Dieser Film müsse unbedingt in die Kinos, plädierten am Ende gleich mehrere Zuschauer.
Veranstaltungen zum Gedenken an den Tag der Befreiung vom Faschismus, an denen der deutsche Freidenker-Verband sich beteiligt:
Sonntag, 7. Mai um 11 Uhr auf dem Opernplatz in Frankfurt a. M., Teilnahme am "Unsterblichen Regiment"
Montag, 8. Mai um 16 Uhr in Offenbach an der Flamme für die Opfer des Naziterrors vor dem Rathaus eine Gedenkstunde zum Tag der Befreiung vom Faschismus
Dienstag, 9. Mai um 11 Uhr, Frankfurter Hauptfriedhof, Teilnahme an der Kranzniederlegung zum Tag des Sieges am Denkmal für die sowjetischen Kriegsopfer
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