Deutschlands antirussische Rolle ist teilweise auf Berlins Konkurrenz mit Polen zurückzuführen

Ideologische Motivationen und undurchsichtige US-Einflussnetzwerke erklären nur bedingt Deutschlands Abkehr von einer Position des bevorzugten Partners von Russland, hin zur Position eines seiner verbissensten Gegner. Es lohnt sich dabei, die geopolitische Komponente zu beleuchten, in Bezug auf Deutschlands Rivalität mit Polen.

Eine Analyse von Andrew Korybko

Fjodor Lukjanow, ist der Vorsitzende des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des renommierten Waldai-Clubs, eine Position, die ihn zu einem der wichtigsten politischen Einflussnehmer Russlands macht. Er stellte in seiner jüngsten Analyse für RT fest, dass "die Grünen Deutschland osteuropäisch gemacht haben." Ihm zufolge bewege sich Deutschland in Bezug auf Russland nun gleichfalls in Richtung einer konventionellen osteuropäischen Haltung, während das Land zuvor die Säule einer normalen westeuropäischen Positionierung gewesen sei.

Lukjanow glaubt, dass dies vor allem auf den Einfluss der Grünen Partei auf Deutschlands langfristige Strategie zurückzuführen ist, der nunmehr zusätzliche US-Sicherheitsgarantien versprochen wurden, wenn Deutschland seinen früheren Pragmatismus und seine strategische wirtschaftliche Autonomie gegenüber Russland aufgibt. Dies klingt nach einer vernünftigen Erklärung dafür, wie die USA ihre zuvor schwindende Hegemonie über die de facto Führungsnation der EU erfolgreich behaupten konnten. Aber es steckt noch mehr dahinter, bei allem Respekt vor diesem exzellenten Experten.

Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, die geopolitische Komponente zu beleuchten, in Bezug auf Deutschlands Rivalität mit Polen, das beabsichtigt, seine längst verlorene "Einflusssphäre" wiederherzustellen und sogar zu erweitern. Zu diesem Zweck hat Polen im vergangenen Jahr die Kulisse einer deutschen Bedrohung für Mittel- und Osteuropa aufgebaut.

Seit dem Beginn der russischen militärischen Sonderoperation hat Warschau die sichtbare Zurückhaltung Berlins in die Hände gespielt, wenn es darum ging, nach dem Vorbild Polens und der baltischen Staaten eine führende Rolle im Stellvertreterkrieg der NATO in der Ukraine zu übernehmen. Denn auf diese Weise konnte die polnische Regierung die Befürchtungen am Köcheln halten, Deutschland könnte heimlich mit dem Kreml unter einer Decke stecken. Indem Polen seine äußerst sensiblen historischen Erinnerungen im Zusammenhang mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt als Vorschlaghammer einsetzte, war Warschau in der Lage, Deutschland maximal unter Druck zu setzen, damit es seinen bisherigen Pragmatismus gegenüber Moskau aufgibt.

Die zuvor genannten Faktoren der liberal-globalistischen grünen Ideologie und des undurchsichtigen US-Einflusses sorgten dafür, dass die Befürchtung einiger deutscher Politiker, Polen sei bereit, den Einfluss Deutschlands auf Mittel- und Osteuropa im Verlauf dieses Konflikts zu ersetzen, zu der von den USA angestrebten anti-russischen Haltung in Berlin führte. Wären diese beiden genannten Faktoren nicht gewesen, wäre auf diese Befürchtung vielleicht nicht reagiert worden. Aber man kann andersherum ebenso gut sagen, dass die Befürchtung eines wachsenden Einflusses Polens die Politik bestimmte, welche noch zusätzlich von der grünen Ideologie und den US-Interessen beeinflusst wurde.

Durch das Eingeständnis der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel ist heute bekannt, dass Berlin nie die Absicht hatte, die Minsker Abkommen zu respektieren, sondern versucht hat, diese zum Zweck einer Wiederbewaffnung Kiews im Vorfeld einer ultimativen Offensive gegen den Donbass auszunutzen. Dies beweist, dass Deutschland die ganze Zeit über versucht hat, seinen Einfluss bis in die äußersten Regionen von Mittel- und Osteuropa auszudehnen. Aber dieses große strategische Ziel wurde abrupt durch Russlands militärische Sonderoperation infrage gestellt, und auch durch die führende Rolle, die Polen sich selbst im Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland zugewiesen hat.

Trotz der ideologischen Faktoren, die bereits zu Beginn dieses Konflikts die deutsche Politik beeinflussten, war Warschau nicht mächtig genug, um Berlin dazu zu bewegen, dieselbe Rolle wie Polen einzunehmen. Die deutsche Politik könnte fälschlicherweise angenommen haben, dass der Krieg in ein paar Wochen – oder höchstens nach wenigen Monaten – bereits vorbei sein würde. Und sie könnte darauf gewettet haben, dass es besser sei, eine vergleichsweise pragmatische Politik gegenüber Russland beizubehalten, ungeachtet der Sanktionsforderungen aus den USA.

Erst als offensichtlich wurde, dass dies wahrscheinlich ein langwieriger Konflikt werden würde, begann man in Berlin zu überlegen, ob man die eigene Haltung ändern sollte. In der Folge nahm Deutschland dann eine Art militärische Rolle ein, um auf den immensen Druck zu reagieren, mit Polen um Mittel- und Osteuropa konkurrieren zu müssen. Aus Sicht der USA war es natürlich von Vorteil, diese Dynamik zu fördern. Um nicht zu sehr von Polen als dem wichtigsten europäischen Partner abhängig zu sein, wenn der Konflikt zu Ende gehen sollte. Und um Deutschland dazu zu bringen, seine gewachsenen Beziehungen zu Russland zu ruinieren.

Die Konföderation, die Polen und die Ukraine nach der Reise von Präsident Duda nach Kiew Ende Mai 2022 angekündigt hatten, ließ Deutschland befürchten, dass man von seinem Nachbarn im Wettbewerb um den wichtigsten Partner der Ukraine geschlagen werden könnte. Diese Entwicklung – gepaart mit dem wachsenden polnisch geführten Druck aus Mittel- und Osteuropa – trug dazu bei, dass Deutschland letzten Endes eine prominentere Rolle in diesem Stellvertreterkrieg in Betracht zog. Was in dem hegemonialen Manifest von Bundeskanzler Scholz gipfelte, das er im Dezember 2022 enthüllte.

Alles, was in Bezug auf Deutschlands wachsende Rolle als antirussische Großmacht folgte, kann mit diesem Manifest in Verbindung gebracht werden. Diese groß angelegte Strategie wäre nicht mit der Öffentlichkeit geteilt worden, wenn nicht einflussreiche ideologische und geopolitische Faktoren zusammengekommen wären.

Um auf die Analyse von Fjodor Lukjanow zurückzukommen, so ist sie freilich sehr aufschlussreich. Aber dennoch bleibt sie unvollständig, da in ihr der polnische Faktor fehlt, der erklärt, warum es gleich nach dem Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands zu dieser antirussischen Wende in Deutschland kam. Auf jeden Fall ist die Schlussfolgerung von Lukjanow, dass Deutschland derzeit einer der größten Gegner Russlands ist, von großer Bedeutung. Denn darin spiegeln sich intuitiv die Ansichten seiner politischen Einflussgenossen wider, was nichts Gutes für die Zukunft der bilateralen Beziehungen zwischen Moskau und Berlin verheißt.

Übersetzt aus dem Englischen.

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien spezialisiert hat sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung.

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