In einem Namensbeitrag für die französische Wochenzeitung Journal du Dimanche forderte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Patrouillenfahrten europäischer Kriegsschiffen in der Straße von Taiwan. Damit eskaliert der Chefdiplomat der EU die Spannungen mit China.
Um "Europas Engagement für die Freiheit der Schifffahrt unter Beweis zu stellen", schlage er den europäischen Marine-Streitkräften vor, Schiffe zu entsenden, schreibt Borrell. Das Thema Taiwan betreffe die EU kommerziell und technologisch. Borrell plädierte daher dafür, die Bereitschaft der EU zu signalisieren, diese Interessen auch militärisch abzusichern und durchzusetzen.
Chinesische Beobachter halten die Aussagen Borrells für extrem gefährlich, schreibt die chinesische Zeitung Global Times, da sie einen Rückschritt in der Haltung der EU darstellen. Die EU hatte sich bisher zum völkerrechtlich verankerten Ein-China-Prinzip bekannt. Die Äußerungen Borrells deuten nun auf eine Abkehr davon hin. Die Forderungen des EU-Politikers werden von chinesischen Experten im Zusammenhang mit dem jüngsten Treffen der G7-Außenminister gesehen, auf dem die USA ein deutlich stärkeres Engagement gegen China eingefordert hatten.
Borrell mahnte zur Geschlossenheit der EU hinsichtlich des Umgangs mit China. Gerade die Forderung nach Militärpatrouillen im Namen der EU in der Straße von Taiwan deutet jedoch auf einen Riss innerhalb der EU hin. Bei seinem Besuch in China hatte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Vorfeld für mehr strategische Autonomie ausgesprochen. Die EU solle sich nicht in den Konflikt zwischen den USA und China ziehen lassen, so der französische Präsident. Dies hatte zwar in Deutschland großen Widerspruch hervorgerufen, war aber in anderen Ländern der EU auf Sympathie gestoßen.
Chinesische Experten werten die Forderung Borrells daher als Absage an Macron und als ein deutliches Bekenntnis zur Unterordnung der Interessen der EU unter die außenpolitische Agenda der USA.
"Borrells Bemerkungen sind sehr gefährlich", warnte etwa Li Haidong, Professor am Institut für Internationale Beziehungen an der chinesischen Universität für Außenpolitik. "Sie zeigen die Absicht, die Taiwan-Frage als internationale Angelegenheit zu behandeln." Nach chinesischem Verständnis ist Taiwan jedoch eine innere Angelegenheit.
Europa habe keinen Grund, an der Sicherheit der Durchfahrt zu zweifeln, denn China sei faktisch der Garant dafür. Handelsschiffe wurden bisher auf ihrer Passage durch die Straße von Taiwan noch nie behindert, schreibt die Global Times. Die Präsenz von Kriegsschiffen der EU könnte jedoch dazu führen, dass genau das passiert, was die EU mit ihrer Eskalation angeblich vermeiden wolle: dass Schockwellen erzeugt werden, die den Handel zwischen Europa und Asien nachhaltig behindern. Die Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen China und der EU sei die vorbehaltlose Anerkennung des Ein-China-Prinzips.
Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) sorgte bei ihrer jüngsten China-Reise für Verstimmungen, nachdem sie sich besorgt um die Sicherheit der zivilen Schifffahrt in der Straße von Taiwan gezeigt hatte. China forderte von Baerbock daraufhin ein Bekenntnis zur Unterstützung der friedlichen Wiedervereinigung von Taiwan und China unter Verweis darauf, dass auch China die Wiedervereinigung Deutschlands unterstützt habe. Die deutsche Außenministerin äußerte sich dazu bisher nicht.
Die Forderung Chinas brachte Baerbock angesichts des Ukraine-Konflikts in eine Zwickmühle. Hinsichtlich der Ukraine lehnt die deutsche Außenministerin die separatistischen Bestrebungen der Republiken im Donbass ab. Schon vor Ausbruch des Krieges äußerte sie, die in Minsk getroffene völkerrechtlich bindende Vereinbarung einer umfassenderen föderalen Autonomie des Donbass sei Kiew nicht zumutbar. In Taiwan dagegen unterstützt Baerbock die Bestrebungen der taiwanesischen Separatisten.
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