Von Lidia Misnik
Vergangene Woche wurde Finnland offiziell der 31. Mitgliedsstaat der NATO. Der finnische Außenminister Pekka Haavisto vollzog den Akt, indem er die Beitrittsdokumente dem US-Außenminister Antony Blinken übergab. Dieser Schritt könnte die Spannungen zwischen Russland und dem Westen allerdings noch weiter verschärfen. Analysten in Moskau argumentieren, Helsinki habe seine eigene Sicherheit untergraben, in einem fehlgeleiteten Versuch, sie stärken zu wollen.
Eine kurze kurvenreiche Straße
Finnland ist der US-geführten Militärallianz sogar noch vor Schweden beigetreten, was nur wenige Experten erwartet hatten. Stockholm kämpft wegen eines Streits mit der Türkei noch immer um deren Zustimmung für seinen NATO-Beitritt. Beide skandinavische Staaten beantragten im Mai 2022 ihre Mitgliedschaft und verwiesen dabei auf die angebliche Bedrohung durch "einen aggressiven Nachbarn", nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert war.
Die NATO akzeptierte beide Kandidaturen – obwohl sie grundsätzliche Bereitschaft signalisierte – jedoch nicht auf Anhieb, und zwar aufgrund von Spannungen zum NATO-Mitglied Türkei hinsichtlich der Unterstützung kurdischer Organisationen und diesbezüglicher Fragen zur Auslieferung von Personen, die in der Türkei wegen Terrorismus und Beteiligung an einem Putschversuch 2016 angeklagt sind. Auch Ungarn versuchte, den Prozess zu bremsen. Ministerpräsident Viktor Orbán verwies auf die Bedenken des ungarischen Parlaments, dass der Schritt den Beziehungen zwischen der NATO und Russland möglicherweise schaden könne.
Für Finnland dauerte der Prozess schließlich fast ein Jahr. Am 30. März ratifizierte das türkische Parlament das Beitrittsprotokoll von Helsinki, in Ungarn geschah das bereits am 27. März.
Was die NATO bekommt
Als neuer NATO-Mitgliedsstaat bringt Finnland einen Mix aus fortschrittlichen westlichen Waffen und sowjetischer Technik aus dem vorigen Jahrhundert mit in die Ehe. Ein großer Teil der Artillerie des Landes besteht aus sowjetischen Waffen wie den Feldgeschützen der Typen Giazint-B 2A36 und M-46 sowie den Selbstfahrlafetten vom Typ Gwosdika 2S1und den Haubitzen D-30. Die Hälfte der finnischen Schützenpanzer besteht aus schwedischen CV-9030 und die andere Hälfte aus sowjetischen BMP-2.
Die Streitkräfte Finnlands verfügen auch über den einheimischen Patria AMV, ein modulares Mehrzweckfahrzeug, das als leichter Panzer mit einer großkalibrigen Hauptkanone fungieren oder ein ferngesteuertes Geschütz und ein Modul für Raketen tragen kann. Polen importierte sie und produziert sie selbst unter dem Namen Rosomak. Seit 2001 wurden insgesamt 900 verschiedene Versionen des Patria AMV gebaut. Außerdem exportierte im Jahr 2012 das kroatische Verteidigungsministerium 40 bis 50 Fahrzeuge dieses Typs, die unter Lizenz im nationalen Maschinenbau-Unternehmen Đuro Đaković Special Vehicle gebaut wurden. Insgesamt hat Zagreb 126 Patria AMV gekauft, von denen sechs in Finnland gebaut wurden.
Die finnischen Luftstreitkräfte betreiben hauptsächlich im Ausland hergestellte Flugzeuge. Laut Fachpublikationen verfügen sie über 64 von McDonnell Douglas entwickelte und von Boeing in den USA gebaute F/A-18 Hornet Mehrzweckkampfflugzeuge, die mit Elektronik und Steuersystemen, größtenteils im Inland hergestellt, ausgestattet wurden. Die Lebensdauer der Flotte wird voraussichtlich 2030 ablaufen, daher sucht das Land bereits nach Ersatz. Es wird erwartet, dass die derzeitigen Kampfflugzeuge im Rahmen eines bereits angekündigten Beschaffungsabkommens durch eine ähnliche Anzahl von F-35A-Mehrzweckkampfflugzeugen der fünften Generation ersetzt werden.
Zudem betreibt die finnische Armee etwa 215 unbemannte Luftfahrzeuge verschiedener Typen, darunter auch neun vom Typ MQ-9 Reaper.
Die finnische Marine, die sich hauptsächlich auf Küstenoperationen konzentriert, ist ausgebildet und bewaffnet, um die Hoheitsgewässer des Landes in der Ostsee zu schützen und feindliche Schiffe anzugreifen, Transportwege und Meerengen zu verteidigen und Aufklärungsmissionen durchzuführen, sagte Sergei Andrejew, ein Experte beim Russischen Rat für auswärtige Angelegenheiten. Die finnische Marine verfügt über 17 Minensuchboote verschiedener Typen und acht Hochgeschwindigkeits-Raketenboote: vier der Hamina-Klasse und vier der Rauma-Klasse.
Finnland besitzt ferner deutsche Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A4 sowie einige gebrauchte Leopard 2A6, die 2015 aus den Niederlanden gekauft wurden. Die finnischen Streitkräfte haben etwa 21.500 Männer und Frauen im aktiven Dienst. Das Land kann zudem auf rund 900.000 Reservisten zählen, die den Wehrdienst abgeleistet haben.
Die von RT befragten Experten glauben jedoch, dass durch die Aufnahme Finnlands der größte Gewinn der NATO darin besteht, den Einfluss der Allianz zu erweitern und näher an die Grenzen Russlands zu rücken.
"Wie jede bürokratische Organisation profitiert die Allianz in diesem Fall von der Erweiterung ihrer Reichweite und ihres Einflusses. Darüber hinaus ist es eine Möglichkeit, den Einfluss Russlands zu begrenzen", sagte Sergei Osnobischtschew als Direktor des Instituts für strategische Bewertungen und Professor am Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen.
"Die NATO versucht weiter zu expandieren und sieht Russland als ihren Hauptgegner. Sie rückt so nahe wie möglich heran, baut ihre Infrastruktur in unmittelbarer Nähe zu Russland auf, was für die NATO wichtig und sicherlich gefährlich für Russland ist", präzisierte Wladimir Bruter, Experte am Internationalen Institut für Humanitäre und Politische Studien. Anders sieht das Alexander Chramtschichin, der Leiter der Analytischen Abteilung am Institut für Politische und Militärische Analyse (IPWA). Seiner Meinung nach "profitiert die NATO nicht von der Mitgliedschaft Finnlands. Ganz im Gegenteil, es erhöht nur die Verbindlichkeiten für die Allianz".
Was bedeutet es für Russland?
Der NATO-Beitritt Finnlands wird die Spannungen auf der Weltbühne nur noch verstärken, warnte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Er bezeichnete die Erweiterung der Allianz als weiteren Eingriff in die nationalen und Sicherheits-Interessen Russlands.
"So sehen wir diese Entwicklung. Es zwingt uns, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit Russlands sowohl taktisch als auch strategisch zu gewährleisten", erklärte Peskow.
Er wies jedoch darauf hin, dass Russlands Problem mit Finnland "grundlegend anders" sei als der Konflikt mit Kiew und dass die nordische Nation im Gegensatz zur Ukraine nie "antirussisch" gewesen sei oder irgendwelche Streitigkeiten mit Moskau gehabt habe. Dennoch hat Moskau als Reaktion auf den NATO-Beitritt Finnlands bereits angekündigt, seine Verteidigungsfähigkeit in den westlichen und nordwestlichen Regionen Russlands zu verstärken. In welcher konkreten Form ist allerdings noch nicht klar.
"Wenn andere NATO-Mitglieder ihre Streitkräfte und Ausrüstung auf finnischem Territorium stationieren, werden wir zusätzliche Schritte unternehmen müssen, um die Sicherheit Russlands zu gewährleisten", warnte der stellvertretende Außenminister Alexander Gruschko am Tag vor Finnlands Beitritt zur NATO.
Daran wird bereits gearbeitet, beispielsweise kündigte Verteidigungsminister Sergei Schoigu zu Beginn dieses Jahres an, dass ein neues Armeekorps an der Grenze zu Finnland, in Karelien und in der Region um Sankt Petersburg gebildet wird – als Teil der Bemühungen, die russischen Streitkräfte in diesem Teil des Landes zu verstärken. Das Korps wird aus drei motorisierten Schützendivisionen und zwei Luftlandedivisionen bestehen. Laut dem Militärexperten Oberst Michail Chodarjonok wird sich Moskau auf die Stärkung der Boden- und Küstentruppen in der Region und den Ausbau der Präsenz russischer Raketentruppen und der Artillerie konzentrieren: "Es ist wahrscheinlich, dass diese neuen Formationen Brigaden umfassen werden, die Iskander-M-Raketensysteme betreiben, sowie Brigaden mit schwerer Artillerie, die Nuklearmunition mit sich tragen", bemerkte Chodarjonok.
Sollte es so weit eskalieren, dass Russland Kampfhandlungen in der Region planen muss, wird Moskau höchstwahrscheinlich hochpräzise Langstreckenangriffe auf Ziele in Finnland und Schweden in Betracht ziehen, die von Langstreckenflugzeugen mit Marschflugkörpern oder von Seestreitkräften mit Kalibr-Raketen ausgeführt werden können, so der Experte.
"Angesichts der Überlegenheit der NATO bei konventionellen Waffen täte Moskau gut daran, die Verlegung von nuklearen Landminen entlang der Staatsgrenze zu den neuen Mitgliedsstaaten des Bündnisses in Erwägung zu ziehen. Dennoch muss jede Verteidigungsoperation dieser Größenordnung zuerst genehmigt werden. Alle militärischen Einheiten müssen gebildet und ihr Einsatz muss geplant werden. Weitere zu implementierende Prozesse umfassen Koordinations-, Befehls- und Kontrollstrukturen sowie alle Arten von Versorgungswegen und die Militärlogistik. Die mit einer solchen Operation verbundenen Kosten wären natürlich beträchtlich. Aber in diesem Fall haben nationale Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen eindeutig Vorrang", fasste Oberst Chodarjonok zusammen.
Warum Finnland das will
Im Mai des vergangenen Jahres sagte Finnlands damalige Ministerpräsidentin Sanna Marin in einem Interview dem italienischen Corriere della Sera, dass die Frage der Stationierung von Atomwaffen durch die NATO oder die Eröffnung von Stützpunkten in Finnland nicht Teil der Beitrittsverhandlungen Helsinkis zum Bündnis gewesen sei.
"Niemand wird zu uns kommen, um uns Atomwaffen oder dauerhafte Stützpunkte aufzuzwingen, wenn wir das nicht wollen. Daher denke ich, dass dieses Thema nicht auf der Tagesordnung steht", sagte sie. Laut der Ministerpräsidentin habe die NATO auch gar kein Interesse daran, ihre Streitkräfte oder Atomwaffen in Finnland zu stationieren. Marin betonte, dass Finnland als "ein kleines Land", das "einen aggressiven Nachbarn hat", stark in seine Sicherheit investiert habe, nannte den Antrag auf NATO-Mitgliedschaft daher sogar "einen Akt der Friedensförderung" und nicht des Krieges. "Es geht darum, dass der Krieg nie nach Finnland zurückkehrt", sagte Marin und versicherte zugleich, dass Helsinki "immer versuchen wird, diplomatische Lösungen für alle Probleme zu finden".
Laut dem Militärjournalisten Iwan Konowalow sichert sich Helsinki mit dem NATO-Beitritt jedoch keineswegs den Frieden, sondern den Verlust seines Status und seiner Souveränität. Er sagte gegenüber RT: "Finnland genoss bisher einen ganz besonderen Status als neutraler Staat auf der internationalen Bühne. Selbst zu Zeiten des Kalten Krieges, als die UdSSR in einer Pattsituation mit der NATO stand, zeichnete sich Finnland – im Gegensatz zu vielen anderen – durch seine neutrale Haltung als Akteur auf der globalen Bühne aus. Aber jetzt ist Schluss damit. Es wird ein politischer Tod für Finnland sein, das jetzt nur noch eine unter vielen Nationen sein wird, die den Befehlen aus Washington zu folgen haben. Es wird seine politische Einzigartigkeit verlieren und von der NATO assimiliert werden."
Laut Alexander Chramtschichin widerspricht diese Entscheidung den eigenen Interessen Finnlands, da sie die Sicherheit des Landes lediglich untergraben wird, selbst wenn Helsinki glaubt, dass es umgekehrt sein kann. "Das war eine irrationale Entscheidung, die von Angst inspiriert war", glaubt er.
Was kommt als nächstes?
Das Verhältnis zwischen Moskau und Helsinki hat sich zuletzt verschlechtert, und aus Sicht von Wladimir Bruter wird es so schnell nicht besser.
"Die einzige Chance, eine ausgewogene Beziehung aufzubauen, besteht darin, dass der Westen aufhört, über Russland als eine einzudämmende Kraft zu sprechen. Russland ist entweder Partner oder Gegner. Es gibt keine Möglichkeit für den Westen, Russland weiterhin einzudämmen und gleichzeitig gute Beziehungen aufrechtzuerhalten. Russland hat dem Westen bereits zu viel Zeit gelassen, obwohl es sich offensichtlich damit selbst benachteiligt hat. Denn wie wir sehen können, hat der Westen diese Zeit genutzt, um Russland weiterhin als wirtschaftliche, politische und militärische Kraft zu behandeln, die es einzudämmen gelte. Ich hoffe, Moskau lässt das nie wieder zu", kommentierte Bruter.
Sergei Osnobischtschew glaubt, dass der NATO-Beitritt Finnlands zwar gegen die langfristigen Interessen Russlands verstößt, aber keine unmittelbare oder übermächtige Bedrohung darstellt. Viel wird davon abhängen, wie gut Moskau und Helsinki daran arbeiten werden, die Beziehungen zwischen den beiden Nationen zu retten. Laut Osnobischtschew haben sie eine solide Grundlage, die ihnen dabei hilft, nämlich "all diese Jahrzehnte der Freundschaft und der gutnachbarlichen Beziehung zu Helsinki".
Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, um mit der Arbeit daran zu beginnen, argumentierte er: "Es ist an der Zeit, sich auf die Stabilisierung der Beziehungen Russlands zu Finnland und Schweden zu konzentrieren, solange wir noch alles haben, was gerettet werden kann. Bisher waren diese beiden Nationen nicht übermäßig unfreundlich. Entscheidend für Russland ist, dass sie ihre Territorien nicht von der NATO nutzen lassen, um ihre militärische Präsenz zu erhöhen und militärische Fähigkeiten aufzubauen."
Laut Alexander Chramtschichin haben sich die Beziehungen Russlands zu allen westlichen Ländern so sehr verschlechtert, dass die nächste Stufe nur ein offener Krieg sein könnte, der jedoch wahrscheinlich nicht eintreten werde. "Ich denke, wir müssen das endlose Jammern über die Wiederherstellung der Beziehungen zum Westen beenden. Es wird niemals geschehen, und wir müssen das akzeptieren", sagte er.
Übersetzt aus dem Englischen
Lidia Misnik ist eine in Moskau ansässige Journalistin mit den Schwerpunkten Politik, Soziologie und internationale Beziehungen.
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