Von Andrei Restschikow
Am 10. April wird der Jahrestag der Befreiung von Odessa von nazideutscher Besatzung begangen. Die Stadt war als eine der ersten von der Wehrmacht angegriffen worden. Im August 1941 war Odessa von der Landesseite bereits umzingelt, es blieb nur ein Seeweg übrig. Am 10. April 1944 befreiten sowjetische Streitkräfte die Stadt und seitdem bleibt dieses Datum für die Stadtbewohner für immer bedeutsam. Am 8. Mai 1965 erhielt Odessa anlässlich des 20. Jahrestags des Sieges über den Faschismus den Titel einer Heldenstadt.
Die Feier der Befreiung der Stadt hatte immer einen Massencharakter und wurde ähnlich zum Tag des Sieges am 9. Mai im großen Stil begangen. Seit dem frühen Morgen kamen viele Menschen zur Ruhmesallee, um Blumen am Denkmal des unbekannten Matrosen niederzulegen. Über dem Gebäude der Stadtverwaltung wurde die Siegesfahne gehisst. Beim Denkmal des Herzogs von Richelieu und der Stele "Flügel des Sieges" bei der Gedenkstätte der heldenhaften Verteidigung von Odessa fanden immer groß angelegte Veranstaltungen statt.
Doch bereits nach dem Putsch im Jahr 2014 und der Tragödie vom 2. Mai begann sich vieles zu ändern. Insbesondere war die Siegesfahne vom "Gesetz über Dekommunisierung" betroffen, wer ein Georgsband trug, riskierte, von Rechtsradikalen zusammengeschlagen zu werden. Im vergangenen Jahr hatte der Leiter der regionalen Militärverwaltung Maxim Martschenko eine Sperrstunde bis zum 11. April verhängt, um die Feier zu verhindern.
Allerdings zeigten sich die Bewohner von Odessa erfinderisch und feierten am 9. April, indem sie Berge von Blumen zum Denkmal des unbekannten Matrosen und an der Ruhmesallee niederlegten. Im laufenden Jahr finden keine Massenveranstaltungen statt, doch Menschen erinnern sich trotzdem an die Feier und gedenken aktiv der Geschichte der Stadt in sozialen Netzwerken.
Alexei Albu, der ehemalige Abgeordnete des Stadtrats von Odessa, merkte an, dass der ursprüngliche Schockzustand wegen des Beginns der Kampfhandlungen vor einem Jahr vergangen sei, die Menschen hätten sich an ihre Lage allmählich gewöhnt. Albu erklärte:
"Unter unseren Sympathisanten ist Enttäuschung zu beobachten, denn viele rechneten mit einem schnellen Ende und einer baldigen Rückkehr von Odessa nach Russland. Dennoch verstehen viele, dass ohne die militärische Hilfe Dutzender westlicher Staaten die spezielle Militäroperation ihre Ziele längst erreicht hätte." Und weiter:
"Daher kann man mit Sicherheit sagen, dass sich während des Jahres zwar die Stimmung der Odessiten änderte, nicht aber ihre politischen Ansichten. Diejenigen, die auf eine Befreiung von den Nazis warteten, warten immer noch darauf. Und diejenigen, die sich mit dem neuen 'Post-Maidan-System' arrangiert hatten, werden auch weiterhin dafür kämpfen, dass Odessa unter ukrainischem Einfluss verbleibt."
Anatoli Wasserman, ein Abgeordneter der Staatsduma, schließt nicht aus, dass die Odessiten zu Opfern eines Stockholm-Syndroms wurden, weil sie sonst nicht hätten überleben können. Deswegen demonstrierten sie gezwungenermaßen ihre Loyalität gegenüber der ukrainischen Regierung. "Allerdings hört das Stockholm-Syndrom nach einer Befreiung von Geiseln schnell auf", betonte Wasserman.
Er erklärte, dass nach dem Beginn der Militäroperation nur wenige Menschen Odessa verließen, weil alle, die es wollten, dies schon längst getan hätten. Der Politiker erklärte:
"Leider ist eine Ausreise aus der Ukraine praktisch blockiert. Sie wurde noch zu Friedenszeiten erschwert. Und nun, als das ukrainische Militär große Mengen an Kanonenfutter benötigt, ist es noch schwieriger, auszureisen."
Albu fügte hinzu, dass zahlreiche Odessiten zurückkehrten, nachdem sie mit Schwierigkeiten im europäischen Alltag konfrontiert wurden. "Gleichzeitig muss eine klare Trennlinie gezogen werden zwischen denjenigen, die aus Furcht vor Kampfhandlungen ausreisten, und denjenigen, die vor der ukrainischen Regierung und den Rechtsradikalen flohen. Es gibt viele solche Menschen, und sie können vor ihrer Befreiung nicht nach Odessa zurückkehren", erklärte der Politiker.
Wasserman fügte hinzu, dass die Stadtbewohner über den Abriss des Denkmals für die Gründerin von Odessa Katharina II unzufrieden sind. Kurz davor hatte die Stadtverwaltung das Denkmal für den russischen Feldherrn Alexandr Suworow abgerissen.
Ende März beschloss die Verwaltung von Odessa, die Gedenktafel für den russischen und sowjetischen Schriftsteller Maxim Gorki von der Fassade eines der Gebäude im Stadtzentrum zu entfernen. Albu erklärte:
"Die Stadtbewohner sind unzufrieden, doch nur wenige können diese Unzufriedenheit zeigen, denn dafür können sie nicht nur ins Gefängnis gebracht, sondern gleich getötet werden. Nach dem Mord an Oles Busina riskiert es kaum jemand, öffentlich gegen die ukrainischen Machthaber zu protestieren."
"Die Odessiten empfanden den Abriss der Denkmäler der Stadtgründer als eine weitere Handschelle durch die ukrainische Regierung, als einen Schlag ins Gesicht."
"Das Problem liegt allerdings darin, dass die Menschen keine Möglichkeit haben, sich zum Schutz ihrer Rechte zu organisieren. Jede solche Vereinigung wird von der ukrainischen Regierung als feindlich eingestuft werden, ihre Gründer und Mitglieder werden Repressalien unterworfen. Dennoch versteht die Mehrheit der Odessiten, dass dies vorübergehend ist. Katharina die Große wird trotzdem an ihren Ehrenplatz zurückkehren."
Darüber hinaus verwies Wasserman darauf, dass sowjetische Truppen das vom deutschen und rumänischen Militär besetzte Odessa am 10. April 1944 nicht stürmten. Die russischen Streitkräfte könnten daran ein Beispiel nehmen, wenn sie sich früher oder später der Heldenstadt nähern. Wasserman bemerkte:
"Die sowjetischen Streitkräfte umgingen Odessa, und die Deutschen und Rumänen flohen vor der drohenden Einkesselung. Unsere Truppen kamen nach Odessa nur nach einigen Stunden. Sie wurden von deutschen und rumänischen Kollaborateuren empfangen, die es nicht schafften zu fliehen und an Laternenpfählen und Bäumen aufgehängt wurden."
Albu schätzte, dass das Erscheinen der russischen Streitkräfte bei Odessa von den Stadtbewohnern unterschiedlich aufgenommen wird:
"Diejenigen, die etwas zu verlieren haben, sogenannte Hacibeyer oder Odesser unter denjenigen, die sich in Odessa nach 2014 niederließen, werden Widerstand leisten. Der apolitische Teil hat einfach Angst vor dem Krieg. Unter diesen Menschen gibt es unterschiedliche Stimmungen: Manche glauben der ukrainischen Propaganda und fürchten, dass ihre Toilettenschüssel und Waschmaschinen gestohlen werden, manche bereiten sich darauf vor, die schwierigen Zeiten in Bombenschutzkellern zu überstehen."
Indessen stehe ein bedeutender Teil der Odessiten Russlands Streitkräften loyal gegenüber, warte auf ihre Ankunft und sei bereit zu helfen, betonte Albu. "Man sollte allerdings nicht erwarten, dass diese Hilfe offen sein wird, denn viele fürchten sich tatsächlich vor einer Wiederholung des Chersoner Szenarios. Diese Furcht ist eine ernsthafte Einschränkung unter unseren Anhängern", erklärte der Ex-Abgeordnete des Stadtrats von Odessa.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
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