Von Anton Gentzen
Die allgegenwärtige antirussische Hasspropaganda, die deutsche Medien – auch die sogenannten öffentlich-rechtlichen – seit längerer Zeit betreiben, verlangt dem Medienkonsumenten längst vergessene (im Falle der Ostdeutschen) oder nie erworbene (im Falle der Westdeutschen) Fähigkeiten ab: "Zwischen den Zeilen" zu lesen und aus einem Meer an Lügen und Halbwahrheiten den Tatsachenkern herauszufiltern.
Aktuell ist es das Thema der in Russland gestrandeten Kinder aus dem Donbass und den ukrainischen Regionen Cherson und Charkow, das den Hasspropagandisten Futter liefert. In deutschen Medien wird von "Deportationen" gesprochen und geschrieben, bei denen es sich um Kriegsverbrechen handele. Das Thema ist naturgemäß emotionsgeladen, es eignet sich besonders gut, um Hass gegen das gesamte russische Volk zu säen. Einen Hass, der Generationen andauern und Rechtfertigung für einen Genozid an den Russen selbst bieten könnte. Nicht umsonst wird in diesem Zusammenhang häufig von "den Russen" gesprochen (wörtliches Zitat eines beim ZDF angestellten "Qualitätsjournalisten"), womit gleich ein ganzes Volk, eine 150 Millionen zählende Ethnie, einschließlich jener Russen, die gar nicht in Russland leben und keine Staatsbürger Russlands sind, kollektiv in Haftung genommen wird.
Einem kritischen Medienkonsumenten wird sicherlich sofort auffallen, dass der Begriff "Deportation" – so einhellig verwendet, als wäre er den "Qualitätsjournalisten" zentral vorgegeben worden – in diesem Zusammenhang gar nicht passt. Von einer Deportation spricht man gewöhnlich, wenn eine unliebsame Person oder eine Menschengruppe gewaltsam außer Landes oder von einem Ort, an dem man sie nicht haben will, weggebracht wird. Das Entscheidende ist, dass der Ausführende sich dieser Person oder Menschengruppe entledigen will. So werden Straftäter oder abgewiesene Asylantragsteller aus dem Land deportiert. Von Deportationen spricht man bei ethnischen Säuberungen. Und in Nazi-Deutschland wurden Juden und andere Opfer nach Auschwitz deportiert.
In den Darstellungen deutscher Medien scheint es jedoch so zu sein, als sei Russland geradezu erpicht auf diese "ukrainischen" Kinder, als möchte es sich diese Kinder "aneignen". Treffender wäre es daher, von "Evakuierung" oder – wenn man dem Leser unbedingt eine negative Färbung vorgeben will – von "Entführung" zu sprechen. Dann ginge aber auch die offenbar bezweckte Gleichsetzung des Vorgehens Russlands mit den Nazi-Verbrechen verloren.
Was aber geschah mit den betroffenen Kindern wirklich? Entbehrt die westliche Hasspropaganda jedes Tatsachenkerns? Da man mit bloßen Behauptungen nicht weit kommt, mussten deutsche und ukrainische Medien inzwischen Lebensberichte zur Unterfütterung ihrer bis dahin pauschalen und substanzlosen Beschuldigungen präsentieren. Entkleidet man die Geschichten der Betroffenen der Propagandaelemente, mit denen die Medien sie "ausgeschmückt" haben, wird man der objektiven Wahrheit sehr nahe gekommen sein. Schauen wir uns zwei Beispiele exemplarisch genauer an, eines aus der ukrainischen Presse und eines aus dem gebührenfinanzierten deutschen Fernsehen.
Lilia: Bericht in ukrainischer Presse
"Save Ukraine" ist nach eigenen Angaben eine NGO, die Eltern im Osten des Landes dabei hilft, ihre Kinder aus Russland zurückzuholen. Sie organisiert und finanziert die Reisen von Erziehungsberechtigten, die in Ermangelung direkter Reiseverbindungen über Polen und Weißrussland führen, zu jenem Ort, wo das jeweilige Kind in einem Ferienlager oder Sanatorium untergebracht ist. Die Abholung der Kinder selbst sei, so die Organisation ausdrücklich, kein Problem: Die Kinder werden durch die russischen Pädagogen an den Erziehungsberechtigten sofort und ohne jeden Widerstand übergeben. Es sei der Organisation bereits gelungen, Dutzende von Eltern bei der Rückholung ihrer Kinder zu begleiten.
Für die Nachrichtenplattform Spektr.Press präsentierte die Helferorganisation exemplarisch den Fall der 13-jährigen Lilia und ihrer Mutter Tatjana Wlaiko. Der Erfahrungsbericht erschien auf Spektr.Press – natürlich in ein antirussisches propagandistisches Narrativ eingebettet – unter dem Titel "112 Tage ohne Mutter" am 20. März dieses Jahres. Wir lassen hier alles Propagandistische weg und geben nur die Geschichte von Mutter und Tochter wieder.
Tatjana Wlaiko lebte bis zum 24. Februar 2022 in dem Dorf Alexandrowka, 40 Kilometer von Cherson entfernt, in der Südukraine. Sie arbeitete in einer Käserei und zog einen 19-jährigen, behinderten Sohn und ihre 13-jährige Tochter Lilia auf. Während der russischen Besatzung der Region kam das Dorf unter schweren Beschuss (der Spektr-Artikel versucht es so darzustellen, als hätte die russische Armee das Dorf beschossen, was im Widerspruch steht zu der Evakuierung der Familie durch die russische Armee in die damals russisch kontrollierte Bezirkshauptstadt Cherson). Die Mutter sagt, dass sie mit ihrem Sohn und ihrer Tochter gezwungen war, "auf einem Panzer und mit zwei Säcken voller Kleidung" nach Cherson zu fahren.
Am 14. September sei Lilia in die Schule in Cherson eingeschult worden und habe dort ein verlockendes Angebot erhalten. Tatjana Wlaiko berichtet wörtlich:
"Sie geht eine Woche lang zur Schule und kommt dann nach Hause und sagt: 'Mama, sie nehmen uns für zwei Wochen zu einem kostenlosen Gesundheitsurlaub mit'. Ich habe sofort befürchtet, dass es einfacher werden wird, sie wegzugeben als sie zurückzubringen. Meine Tochter aber sagte mir: 'Mama, ich will, das ist meine erste Reise.' Und der Schulleiter sagte: 'Was soll sie hier in Cherson, schick sie doch hin.' Also taten wir es ..."
Am 7. Oktober fuhr die Schülergruppe in das Sanatorium "Metschta" (dt.: Traum) auf die Krim. Als elf Tage später die Evakuierung der Menschen aus Cherson angekündigt wurde, ahnte Tatjana Böses:
"Es wurde klar, dass niemand unsere Kinder zu uns zurückbringen wird."
Tatjana fuhr dann sogar auf die Krim, wofür sie 3.000 Griwna an einen Bootsmann zahlte, sagt sie. Wegen Beschusses (Spektr.Press erwähnt nicht, von welcher Seite) sei zu diesem Zeitpunkt der Fährverkehr über den Dnjepr eingestellt gewesen. In Genitschesk, wo der Bootsmann sie absetzte, bekam sie jedoch eigenen Angaben nach Angst, dass "die Russen sie nicht von der Halbinsel lassen würden", und so brach sie die Reise unverrichteter Dinge ab, ohne überhaupt in dem Sanatorium ihrer Tochter gewesen zu sein. In der Zwischenzeit war Cherson unter ukrainische Kontrolle gelangt. Die Behörden, die Tatjana um Hilfe bat, halfen ihr jedoch nicht:
"Die Polizei in Cherson sagte mir, dass sie mir nicht helfen könne ..."
Ende Dezember habe Tatjana von den Freiwilligen von "Save Ukraine" erfahren, die sich bereit erklärten, beim Abholen von Lilia zu helfen. Die Vorbereitungen für die Reise dauerten etwa einen Monat. Ende Januar schließlich machte sich eine Gruppe von Eltern auf eine lange Reise. Sie mussten von Kiew erst westwärts nach Polen und dann durch Weißrussland und Russland reisen, um endlich auf die Krim zu gelangen. Am 27. Januar kamen sie in Jewpatoria an. Die angebliche "Befreiung" der "deportierten" Kinder selbst habe sich dann komplikationslos und unspektakulär gestaltet. Tatiana erzählt:
"In der Pension, in der Lilia untergebracht war, wurden uns keine Steine in den Weg gelegt. Ich ging zur Verwaltung und schrieb einen Antrag, dass ich meine Tochter mitnehmen will. Und überraschenderweise haben sie sie mir sehr schnell zurückgegeben. Als ich meine Tochter sah, fing ich sofort an zu weinen. Wir beide."
Laut Tatjana wurde ihre Tochter in allen russischen Sanatorien "normal behandelt, sie haben sie nicht geschlagen":
"Sie haben höchstens geschrien. Wegen ihres Verhaltens, wegen des Zustands des Zimmers."
Allein während dieser einen Reise seien, so werden die Freiwilligen von "Save Ukraine" zitiert, 16 Kinder abgeholt worden. Aktuell befinden sich Tatjana und Lilia Wlaiko in Kiew.
Igor: Bericht der ARD
Am 26. März brachte auch das gebührenfinanzierte Erste Deutsche Fernsehen ARD nach einer langen Phase pauschaler Behauptungen einen Erfahrungsbericht über ein "verschlepptes" Kind. Unter dem Titel "Verschleppte ukrainische Kinder: Viele kehren gar nicht mehr zurück" erzählt der "Qualitätsjournalist" Tobias Dammers auf tagesschau.de die Geschichte des 16-jährigen Igor (oder "Igor", wie es die aktuelle "politisch korrekte" Transliterationsregel vorgibt).
Dieser "Qualitätsjournalist" bringt sein Narrativ gleich auf den Punkt:
"Das Angebot, das Igor später zum Opfer eines mutmaßlichen Kriegsverbrechens machte, war zu verlockend, um es abzulehnen: ein Ferienlager in der russischen Stadt Anapa, weit entfernt von der Kampfzone in seiner ukrainischen Heimat – angeboten durch die russischen Besatzungsbehörden. Der erste Urlaub im Leben des 16-Jährigen sollte mehrere Wochen dauern und kostenlos sein. Aber es kam anders. Denn der Urlaub wurde zur Entführung und vermutlich sogar Teil eines Kriegsverbrechens. Was der schmächtige, blasse Junge nicht ahnen konnte: Aus dem Ferienlager in Russland wird er mehr als vier Monate nicht zurückkehren."
Übersetzen wir vom Propagandistischen ins Deutsche: Der russische Staat hat Igor einen kostenlosen Urlaub an der russischen Schwarzmeerküste spendiert. Während er im Ferienlager war, änderte sich der Frontverlauf. Und dass die russischen Erzieher einen 16-Jährigen nicht durch das Feuer einer hart umkämpften Frontlinie schickten, wird nun in den Augen des deutschen Propagandisten völlig logisch zu einem "mutmaßlichen Kriegsverbrechen".
Igor und seine Mutter Natalja Lissewitsch stammen aus dem Dorf Antonowka im Gebiet Cherson. Die Urlaubsreise an die russische Schwarzmeerküste erfolgte mit der Zustimmung der Mutter. Und wie schon im Fall von Lilia und deren Mutter Tatjana aus dem ukrainischen Presseartikel fiel in die Zeit des Urlaubaufenthaltes von Igor der Rückzug der russischen Armee vom rechtsseitigen Ufer des Dnjepr: Wie Lilia saß nun auch er fest. Die Behandlung im Feriencamp sei "gut" gewesen, berichtet Igor. Es habe keine Gewalt und keine Umerziehungsversuche gegeben. Aber eine Begleiterin habe angekündigt, ihn und andere an russische Adoptivfamilien oder Pflegeheime weiterzuschicken. Außerdem habe es im Ferienlager Gerüchte gegeben, dass diejenigen, die in Russland bleiben möchten, Geld erhalten würden.
Geholfen habe in seinem Fall die Hilfsorganisation "SOS Kinderdorf". Auch Igors Mutter musste dazu persönlich nach Russland reisen, um ihn abzuholen. Die Planung und Reisekosten habe die Hilfsorganisation übernommen. Auch Lissewitschs Strecke führte über Polen nach Weißrussland und bis über die russische Grenze und von dort über Moskau nach Anapa.
In Anapa angekommen, sei Natalia von den Betreuern gefragt worden, ob sie in Russland bleiben wolle. Auch andere Mütter, die in Russland waren, bestätigen solche Angebote. Nachdem sie einige Dokumente unterschrieben hatte, habe sie Igor aber problemlos mitnehmen können, zitiert die Tagesschau Lissewitsch. Wie nicht anders zu erwarten, war auch diese Ausreise komplikationslos.
"Verschleppt", "deportiert" und ... beim ersten Versuch freigegeben
Was haben wir aus diesen unabhängig voneinander abgegebenen Lebensberichten erfahren, was haben sie gemeinsam? In beiden Fällen wurden die Kinder nicht gewaltsam "verschleppt" oder "deportiert", wie der Sprachduktus des propagandistischen "Schmuckwerks" in beiden Artikeln weiterhin entgegen der tatsächlichen Substanz suggeriert. Sie traten vielmehr freiwillig und mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten eine Urlaubsreise an. In beiden Fällen kam der geänderte Frontverlauf der geplanten organisierten Rückreise dazwischen. Und von den objektiven Schwierigkeiten einer langen Anfahrt zum Ziel abgesehen, machte der russische Staat keine Anstalten, die Kinder in seinem Gewahrsam zu behalten. In beiden Fällen betonen die Betroffenen, dass es sie überrascht habe, wie bereitwillig die Erzieher die Kinder an die Mütter herausgaben.
Es muss uns bewusst sein, dass es sicherlich verschiedene Fallkonstellationen gibt. Außer den gestrandeten "Urlaubskindern" gibt es etwa noch die Waisenkinder aus Donezk und Lugansk, die Russland weg von der Front und dem täglichen ukrainischen Beschuss weiter ins Landesinnere in Sicherheit gebracht hat. Hier stoßen Rechtsansichten aufeinander: Nach russischer Auffassung hat der Donbass inzwischen nicht nur genügend "Blutzoll" gezahlt, um auch nach der strengsten völkerrechtlichen Auffassung auf seinem Selbstbestimmungsrecht beharren zu dürfen. Er ist inzwischen auch ein Teil Russlands, die dort lebenden Kinder sind nach der jetzt dort herrschenden russischen Verfassungs- und Gesetzeslage Kinder russischer Staatsangehörigkeit. Es ist demnach nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht des russischen Staates, sie aus der Gefahrenzone herauszubringen.
Dass der Westen das anders sieht, ist nicht von der Hand zu weisen. Dass er (oder die Ukraine) sich aber jetzt um das Schicksal der Kinder des Donbass sorgen würde, wo man sich acht lange – für Donezk und Lugansk durch ukrainischen Artilleriebeschuss und ukrainische Wirtschaftsblockade geprägte – Jahre um nichts gekümmert hatte, kann man niemandem abkaufen.
Doch die Mehrzahl der Fälle, die jetzt zu "russischen Kriegsverbrechen" aufgebauscht werden, sind offenkundig von der Art wie die von Lilia und Igor. Nachdem wir ihre Geschichten von propagandistischer Tünche befreit und auf den Tatsachenkern reduziert haben, sollte jeder Leser selbst urteilen, ob Lilia und Igor "Opfer von Verschleppung und Deportation" sind.
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