Von Alexei Latyschew und Aljona Medwedewa
Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Explosionen an den Nord Stream-Gasleitungen als einen Terroranschlag, der auf staatlicher Ebene verübt wurde, bezeichnet. Dies sagte er in einem Interview an den Journalisten Pawel Sarubin in einer Sendung des Fernsehkanals Rossija-1. Putin erklärte:
"Es ist sehr schwer für uns, eine eigene Ermittlung zu führen, wenn wir nicht an den Ort dieses Terroranschlags gelassen werden. Dass es ein Terroranschlag war, ist kein Geheimnis mehr. Ich denke, alle haben es bereits erkannt. Und zwar ein Terroranschlag, der auf staatlicher Ebene verübt wurde, denn keine Amateure können eine solche Aktion durchführen."
Der Präsident berichtete außerdem, dass ein Schiff von Gazprom Hinweise auf die mögliche Anwesenheit eines weiteren Sprengsatzes auf einem Rohr von Nord Stream gefunden habe. Er sagte:
"In einer Entfernung von etwa 30 Metern vom Ort der Explosion wurde ein Stäbchen gefunden, das an derselben Stelle angebracht war, an der sich die Explosion ereignete. Dies sind die verwundbarsten Stellen der Gasleitung. Es sind Rohrstöße."
Er fügte hinzu, dass es sich hierbei um eine Antenne handeln könnte, die für eine Auslösung des Sprengsatzes benötigt wird. Putin erklärte:
"Wir wollten eine Erlaubnis von der dänischen Regierung erhalten, um selbstständig oder gemeinsam mit ihnen oder am besten im Rahmen einer internationalen Gruppe von Experten, Spezialisten für Explosionen, die in einer solchen Tiefe arbeiten können, die notwendige Untersuchung durchzuführen. Und wenn nötig, den Sprengsatz zu entschärfen, wenn einer da ist. Auf unsere Anfrage erhielten wir die Antwort, dass die dänische Regierung selbst überlegen müsse und uns eine Antwort geben würde, wenn sie es für möglich halten."
Russlands Präsident bezeichnete die Behauptungen einiger westlicher Medien, wonach hinter dem Anschlag gewisse "proukrainische Gruppierungen" stecken könnten, als nicht stichhaltig. Nach seiner Meinung können Sprengungen solcher Stärke und in solcher Tiefe nur Spezialisten durchführen, die von einem Staat unterstützt werden, "der über gewisse Technologien verfügt".
Brief an die UNO
Zuvor hatte Russlands Botschafter bei der UNO Wassili Nebensja in einem Brief an den Sicherheitsrat und die Generalversammlung bekannt gegeben, dass Schweden und Dänemark sich weigerten, mit Russland bei der Untersuchung der Pipelinesprengungen zusammenzuarbeiten.
Aus dem Dokument geht hervor, dass Moskau unter anderem Dänemark, Deutschland und Schweden vorschlug, gemeinsame Ermittlungskommissionen einzurichten, allerdings eine Absage erhielt.
Nebensjas Brief wurde an den Sicherheitsrat und die Generalversammlung der UNO zusammen mit Kopien des Briefverkehrs Russlands mit Deutschland, Dänemark und Schweden über die Untersuchung der Anschläge auf die Gasleitungen weitergeleitet. Laut dem Diplomaten folgt aus diesen Dokumenten, dass Berlin, Kopenhagen und Stockholm keine Informationen über den Verlauf der Ermittlung mit Moskau teilen. Nebensja sagte:
"Diese Länder behaupten, dass die russische Regierung über die laufende Untersuchung der Anschläge informiert werde. Dies entspricht überhaupt nicht den Tatsachen. In Wirklichkeit haben die Regierungen Dänemarks, Deutschlands und Schwedens sämtliche Vorschläge der Russischen Föderation zur Zusammenarbeit bei der Ermittlung der Urheber der Angriffe auf die Pipelines sowie deren Umstände abgelehnt."
Darüber, dass westliche Länder eine Zusammenarbeit mit Russland bei der Ermittlung verweigern, sprach auch der russische Außenminister Sergei Lawrow. Ihm zufolge habe Moskau in dieser Angelegenheit mehrere Anfragen an Deutschland, Dänemark und Schweden geschickt, allerdings keine Antwort erhalten. Am 10. März erklärte Lawrow in einem Interview an die Sendung "Das große Spiel" des russischen Perwy Kanal:
"Wir haben im Namen unseres Regierungsvorsitzenden M. W. Mischustin öffentliche und schriftliche Anfragen an seine Amtskollegen in Deutschland, Dänemark und Schweden gerichtet. Wir schickten eine große Anzahl von offiziellen diplomatischen Noten an diese Länder mit der Bitte, uns Antworten zu geben und uns zu erlauben, sich an der Besichtigung des Teils von Gasleitungen zu beteiligen, gegen die der Terroranschlag verübt wurde. Es kam keine vernehmbare Reaktion, bis auf Behauptungen, dass sie es selbst klären."
Laut Lawrow kam auf die Briefe des russischen Regierungsvorsitzenden Michail Mischustin vom September überhaupt keine Antwort der westlichen Länder. Die Webseite des russischen Außenministeriums zitierte Lawrow:
"Dies sagt Einiges über ihre Manieren aus, aber nicht nur das. Ich denke, dass hier auch eine Verwirrung dieser Länder sichtbar wird. Sie wissen nicht, was sie entgegnen sollen, besonders nachdem Seymour Hersh die Ergebnisse seiner Untersuchungen veröffentlichte und versprach, weitere Bewertungen und Erkenntnisse zu publizieren. Für uns war das ein zusätzlicher Faktor, der uns die Resolution des Sicherheitsrats der UNO vorschlagen ließ, die gerade verhandelt wird und die wir unbedingt zur Abstimmung stellen werden. Wir wollen eine Untersuchung."
Kein Fortschritt bei der Untersuchung
Es sollte angemerkt werden, dass Russland gegenwärtig an einem Projekt einer Resolution des UN-Sicherheitsrats zur internationalen Untersuchung der Anschläge auf Nord Stream arbeitet. Es ist bekannt, dass das Dokument die Einrichtung einer speziellen Kommission unter der Schirmherrschaft des UN-Generalsekretärs António Guterres vorsieht. Der Text der Resolution soll dem Sicherheitsrat zur Begutachtung bis Ende März vorgelegt werden.
Wie die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa am 13. März erklärte, führte die russische Delegation vier Runden von Verhandlungen, um einen für alle Mitglieder des Sicherheitsrats annehmbaren Text herauszuarbeiten. Ihr zufolge wird die Suche nach einem notwendigen Kompromiss fortgesetzt, "unter Berücksichtigung der Wichtigkeit der Ermittlung von Auftraggebern und Ausführern des Anschlags".
Die Diplomatin verwies zusätzlich auf die jüngst erschienene Information, wonach während der Untersuchung einer der Rohrleitungen in der ausschließlichen Wirtschaftszone Dänemarks in einer Entfernung von 30 Kilometern vom Explosionsort ein Gegenstand gefunden wurde, der kein Bauteil von Nord Stream ist, allerdings ein Element des Sprengsatzes sein könnte.
Laut Sacharowa zeigt dieser Fund zusätzlich, wie dringend nötig es sei, dass der Sicherheitsrat eine Resolution über die Einrichtung einer entsprechenden Kommission durch den Generalsekretär der UNO verabschiedet, um alle Umstände des Anschlags zu beleuchten, "damit sich etwas Ähnliches in Zukunft nicht ereignet".
Die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums fügte hinzu, dass möglicher Widerstand der westlichen Länder gegen die Einrichtung einer solchen Kommission bedeuten würde, dass sie die Ermittlung der Anschläge am Nord Stream zu behindern versuchen. Sie schlussfolgerte:
"Eine Weigerung der Länder des kollektiven Westens, konstruktiv am Projekt der Resolution zusammenzuarbeiten, wird davon zeugen, dass sie vorsätzlich die Ermittlung der Wahrheit zu behindern versuchen, zumal sie eine Beteiligung Russlands an der Untersuchung ablehnten."
Indessen weist die von europäischen Ländern geführte Untersuchung keine Fortschritte auf. Dies erklärte am 14. März der stellvertretende Außenminister Russlands Alexander Gruschko. Die Nachrichtenagentur TASS zitierte ihn wie folgt:
"Es gibt keine Fortschritte. Wir werden weiterhin an unserer Beteiligung an der Ermittlung bestehen."
"Unter einem militärischen Schutz"
Drei Rohrleitungen von Nord Stream 1 und Nord Stream 2 waren im September 2022 gesprengt worden.
Russland erklärte den Angriff auf die Pipelines zu einem Akt des internationalen Terrorismus und verwies darauf, dass die USA als die am meisten an diesem Verbrechen interessierte Seite hinter dem Anschlag stecken könnten.
Im Februar 2022 sprach auch der US-amerikanische Journalist Seymour Hersh von einer Schuld Washingtons. Er veröffentlichte eine Untersuchung, wonach die USA die Nord Stream-Leitungen im Juni 2022 verminten und im September die norwegische Kriegsmarine die Sprengsätze aus der Distanz aktivierte.
Nach Meinung von Analytikern erscheint die Version von einer Schuld der USA am plausibelsten. Der Experte des Internationalen Instituts für humanitär-politische Forschungen Wladimir Bruter erklärte in einem Interview an RT:
"Hinter den Anschlägen auf die Pipelines stecken die USA, denn niemand außer ihnen hat die technische Möglichkeit, es durchzuführen. Die ganze Operation fand unter einem militärischen Schutz und unter Beteiligung von Militärdiensten statt, die mit Washington oder London in Verbindung stehen."
Aus diesem Grund sei der Westen unter der Führung Washingtons nicht an einer objektiven Untersuchung unter Beteiligung der Vertreter Russlands interessiert. Bruter führte aus:
"Der Westen versucht, ein für sich günstiges Bild in den Medien zu schaffen, deswegen lohnt sich eine Zusammenarbeit mit Russland für sie überhaupt nicht. Sie sind überhaupt nicht daran interessiert, dass die Untersuchung objektiv geführt wird und dass ihre Ergebnisse sowohl von unseren als auch von ihren Experten anerkannt werden."
Die westlichen Medien veröffentlichten vor Kurzem unter Verweis auf "Quellen" Behauptungen, wonach die Pipelines angeblich von der Ukraine gesprengt wurden, gerade um ein für Washington günstiges Medienbild zu erschaffen, glauben Analytiker. Der Leiter des Zentrums für militärpolitische Forschungen Alexander Podberjoskin erklärte in einem Gespräch mit RT:
"Als Dmitri Peskow diese Meldungen als Fakes und Ablenkung bezeichnete, hatte er komplett Recht. Der Westen muss irgendeine Version ausdenken, um den Verdacht von sich abzulenken. Denn sollte es sich bestätigen, dass der Terroranschlag von den Geheimdiensten Großbritanniens und der USA verübt wurde, kann es als ein Angriff auf Russland gewertet werden und eine Gegenreaktion nach sich ziehen."
Dass Russland die Frage über eine Untersuchung der Anschläge auf die Ebene der UNO vorbringt, bezeichnen die Spezialisten als einen logischen Schritt. Dennoch vermutet Podberjoskin, dass westliche Länder wahrscheinlich ein Veto gegen das russische Resolutionsprojekt im UN-Sicherheitsrat einlegen werden.
Seinerseits verwies Bruter darauf, dass Deutschland, Schweden und Dänemark selbst im Fall einer Annahme der Resolution die Möglichkeit haben werden, die Ermittlung zu behindern. Er schlussfolgerte:
"Selbst wenn diese Resolution in irgendeiner Art verabschiedet wird, wird sie dennoch nicht erlauben, Ermittlungen im souveränen Gebiet einzelner Länder zu führen. Die UNO kann nicht darauf bestehen, dass die Ermittlung auf eine bestimmte Art und Weise geführt wird."
Übersetzt aus dem Russischen.
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