Von Rafael Fachrutdinow und Jewgeni Posdnjakow
Die NATO-Länder verbleiben in einer beherrschenden Stellung auf dem globalen Rüstungsmarkt. Und obwohl Russland den zweiten Platz zwischen den Vereinigten Staaten und Frankreich eingenommen hat, sinkt der Marktanteil Moskaus stetig. Worin liegt die Ursache dieses Rückgangs, wie kann Russland die Konkurrenz der NATO-Länder verdrängen, und warum sollte sich Moskau nicht nur über Exporte, sondern auch über Importe Gedanken machen?
Am Montag veröffentlichte das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) einen neuen Bericht über die weltweiten Rüstungsexporte. Aus dem Dokument geht hervor, dass es den USA gelingt, ihren Anteil auf dem Rüstungsmarkt zu erhöhen und unangefochten den ersten Platz zu halten. Russland hingegen hat seinen Marktanteil verloren, bleibt aber auf dem zweiten Platz.
Die Forscher verglichen die Daten beider Länder über zwei Zeiträume: 2013 bis 2017 und 2018 bis 2022. In dieser Zeitspanne stiegen die US-Exporte von 33 Prozent auf 40 Prozent, während die russischen Verkäufe von 22 Prozent auf 16 Prozent zurückgingen. Zu den wichtigsten Abnehmern russischer Rüstungsgüter gehören Indien, China und Ägypten.
An dritter Stelle steht Frankreich, das seinen Marktanteil von sieben Prozent auf elf Prozent erhöht hat. Unter anderem in Indien verdrängt Paris Moskau, hat aber den ersten Platz noch nicht erreicht. "Die Tendenz wird wohl anhalten, denn zum Ende des vergangenen Jahres hatte Frankreich weitaus mehr ausstehende Aufträge für Waffenlieferungen als Russland", sagte Peter Weseman, leitender Forscher des SIPRI-Programms für Waffentransfers.
Insgesamt sind die Rüstungsexporte im Berichtszeitraum um 5,1 Prozent gesunken. "Dennoch sind die Lieferungen nach Europa aufgrund der Spannungen zwischen Russland und dem Großteil anderer europäischer Staaten stark angestiegen", so Weseman. Außerdem prognostiziert er einen weiteren Rückgang der russischen Exporte, weil Moskau die Sättigung der russischen Streitkräfte zur Priorität haben wird. Dabei ist die Ukraine auf Platz drei der Importeure (nach Katar und Indien) vorgerückt.
Angesichts dieser Tatsache bleiben die Vereinigten Staaten nicht nur führend bei den Exporten an Rüstungsgütern, sondern entwickeln auch die militärisch-technische Zusammenarbeit mit anderen westlichen Ländern. So gibt es beispielsweise allein zwischen den USA und Frankreich, die in der SIPRI-Rangliste an erster und dritter Stelle stehen, mehr als 300 Abkommen über den Austausch von Daten. Dazu gehören Informationen über Keramikpanzerung, Schaltkreistechnologien, elektronische Waffen, Transportroboter, chemische Detektoren und Nahbereichsverteidigungssysteme, schreiben die Analysten vom Russian International Affairs Council (RIAC).
Außerdem umfasst die französisch-US-amerikanische Kooperation das Verteidigungsunternehmen Thales Raytheon Systems, das mit der Entwicklung und der Herstellung von Luftverteidigungssystemen, Systemen der Luftraumüberwachung und des Bodenradars betraut ist. Ein weiteres gemeinsames Unterfangen ist die Firma CFM International, die Flugzeugtriebwerke der neuen Generation LEAP und CFM56 herstellt. Auf dem US-Markt für Verteidigungssysteme ist die Sofradir-Gruppe tätig, eine Tochtergesellschaft der französischen Sofradir EC, Inc., die Infrarotdetektoren, Triebwerke und Module herstellt.
Ein weiteres wichtiges Land für die Vereinigten Staaten ist Norwegen. Unter anderem arbeiten Washington und Oslo am THOR-ER-Projekt, bei dem es um die gemeinsame Entwicklung von Hyperschall- und Hochgeschwindigkeits-Langstreckenwaffen sowie von raketengetriebenen Luftfahrzeugen geht. Und gemeinsam mit Italien haben die USA in den späten 1990er-Jahren das taktische Militärtransportflugzeug Alenia C-27 Spartan entwickelt, das immer noch produziert wird. Gleichzeitig haben die USA zusammen mit Deutschland das Luftverteidigungssystem MEADS entwickelt.
Die Luft- und Raumfahrtindustrie ist ebenfalls ein Paradebeispiel für die Zusammenarbeit. Beispielsweise wird das Mehrzweckkampfflugzeug Eurofighter Typhoon von einem Konsortium hergestellt, zu dem Unternehmen aus Deutschland, Großbritannien, Spanien und Frankreich angehören. Dasselbe Konsortium ist auch an der Produktion der Triebwerke für den Eurofighter beteiligt.
Somit zeigen die Erfahrungen der Vereinigten Staaten und anderer NATO-Staaten nach Ansicht von Experten eine interessante Tatsache auf: Selbst derart mächtige Akteure auf dem Rüstungsmarkt wie die Vereinigten Staaten und Frankreich sind nicht den Weg der militärisch-technischen Autarkie gegangen. Im Gegenteil, sie haben den Weg der Kooperation gewählt und damit die Ressourcen- und Haushaltsbelastung ihres militärisch-industriellen Komplexes verringert. Und diesen Erfahrungen sollte man in Moskau wahrscheinlich Beachtung schenken.
"Die Zeit ist längst gekommen, dass Russland die gemeinsame Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern mit anderen Ländern ausbaut. Heute gibt es keinen einzigen Staat, der die gesamte Palette der Rüstungsgüter allein herstellen kann", erklärte der Militärattaché Alexander Artamonow. "Andernfalls führt das Einschließen des militärisch-industriellen Komplexes in ein einziges Land dazu, dass neue Waffengattungen nur langsam auf das erforderliche Niveau gebracht werden. So haben die Vereinigten Staaten Probleme mit Antriebssystemen für den Weltraum, schlecht entwickelt sind auch Hyperschall- und Kampflaser. Doch sie finden Lösungen in Zusammenarbeit mit anderen Ländern", rief der Gesprächspartner in Erinnerung.
"Dementsprechend könnte Russland mit dem Iran bei der Herstellung von Drohnen zusammenarbeiten. Sie haben eine ausgezeichnete Produktlinie, die Shahed. Nordkorea verfügt über eine hervorragende Langstreckenartillerie. Wieso sollten wir nicht den Weg der Zusammenarbeit mit diesen Ländern beschreiten, zumal sie auch mit uns befreundet sind?", fragte der Diplomat.
"Sicherlich, wir haben gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Indien gemacht. Gemeinsam haben wir die Überschall-Schiffsabwehrrakete PJ-10 BrahMos entwickelt. Ein hervorragendes Ergebnis, aber es kann noch besser werden. Indien verfügt über viele intelligente Programmierer und eine gute industrielle Basis für die Herstellung militärischer Schaltkreise. Ohne Digitaltechnik ist die Waffenproduktion heute unmöglich. Folglich ist es möglich, auch in diesem Bereich mit Neu-Delhi zu kooperieren", betonte er.
Den Experten zufolge war selbst die UdSSR bei der Waffenproduktion nicht autark. "Im Rahmen des Warschauer Vertrags gab es eine klare Arbeitsteilung. Den Löwenanteil der Technik produzierte natürlich die UdSSR. Allerdings wurden ganze Klassen der Produktion von Rüstungsgütern und Munition an unsere Verbündeten übertragen", erinnert sich Wassili Kaschin, Direktor des Zentrums für komplexe europäische und internationale Studien (CCEIS) an der Higher School of Economics (HSE).
"Polen war beispielsweise an der Herstellung von Hilfsschiffen für die Kriegsmarine beteiligt. Die Tschechoslowakei belieferte die UdSSR mit L-39-Kampftrainingsflugzeugen. Die DDR und Ungarn halfen in irgendeiner Weise mit. Eine solche Vorgehensweise war richtig und notwendig, da kein einziges Land der Welt in der Lage ist, die gesamte Palette der Rüstungsgüter zu produzieren", betonte der Experte.
"Leider hat Russland den sogenannten 'technischen Nationalismus' noch nicht überwunden. Dasselbe gilt in vielerlei Hinsicht für China. Moskau und Peking haben aus irgendeinem Grund entschieden, dass es nicht ehrenhaft und gar beschämend ist, im militärischen Bereich auf Importe zu setzen. Einkauf im Ausland ist immer mit großen Schwierigkeiten verbunden. Wir müssen uns fast überwinden, und das schafft Probleme für uns", hob der Gesprächspartner hervor.
"So hätten wir beispielsweise vor einem Jahrzehnt von China Lizenzen für den Bau von UAVs (unbemannten Luftfahrzeugen; Anm.) erwerben können. Inzwischen hätten wir eine anständige Produktion vor Ort, die eine ganze Reihe von Aufgaben im Bereich der militärischen Spezialoperation erleichtert hätte. Stattdessen hat Moskau versucht, das Rad neu zu erfinden, und viel Zeit für etwas aufgewendet, das man von einem befreundeten Land hätte kaufen können", unterstrich Kaschin.
"Der Vorteil der NATO ist nun, dass sie diese Entwicklung verhindert. Die Mitgliedsstaaten des Blocks haben groß angelegte Programme, wo die Arbeitsteilung zur notwendigen Norm geworden ist. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Zusammenarbeit zwischen den USA und ihren Verbündeten nicht nur bei der Produktion von Rüstungsgütern, sondern auch im Bereich der Forschung und Entwicklung stattfindet", so der Experte.
"Im Westen ist inzwischen ein leistungsfähiges Regelwerk geschaffen worden, das die Zusammenarbeit zwischen Staaten regelt. Dieses wurde über Jahrzehnte hinweg erarbeitet und deckt alle Mechanismen des Technologietransfers und der Geheimhaltung ab. Darin ist die Haftung der Parteien für die Nichteinhaltung ihrer Verpflichtungen klar geregelt", erzählte der Gesprächspartner.
"Darüber hinaus ist es unseren Gegnern gelungen, ein qualitativ hochwertiges System der Interaktion zu schaffen, das die jeweiligen Stärken der Partnerstaaten berücksichtigt. Es sind alle mit eingebunden: die europäischen Staaten ebenso wie Israel und Japan. Sie werden verstehen, dass weder Washington noch London noch Tokio solche Ergebnisse allein erzielt hätten", präzisierte Kaschin.
"Im Prinzip könnten Russland und China zum 'Kern' der entsprechenden Gegenmaßnahmen werden. Auch andere Länder, die auf dem Gebiet der militärischen Produktion gute Ergebnisse vorweisen können, wie Iran, Nordkorea, Weißrussland und eine Reihe anderer Länder, sollten einbezogen werden. Die Bündelung der Anstrengungen dieser Länder würde es ermöglichen, eine gute Basis zu schaffen, die in der Lage wäre, dem Westen zu widerstehen", betonte der Experte.
"Bei gemeinsamen Entwicklungen ist es zudem wichtig, die Außenperspektive zu berücksichtigen. Moskau, Peking und Teheran verfügen über unterschiedliche Ingenieurschulen. Jede von ihnen ist einzigartig und bodenständig, gemeinsam sind sie jedoch in der Lage, wirklich erstaunliche Geräte zu entwickeln", argumentierte er.
"Neben den Drohnen sollten wir die Aufmerksamkeit auch auf diejenige Technik richten, in der sich unsere Partner voraus sind. Aufgrund der Spannungen um Taiwan baut China seine Seestreitkräfte kräftig aus. Theoretisch könnte Chinas amphibische Kriegführung auch für die russische Marine von Interesse sein. Wenn der Partner an der Stärkung seiner Flotte arbeitet, warum sollten wir uns nicht an diesem Prozess beteiligen?", fügte Kaschin rhetorisch hinzu.
"Ich möchte auch auf den Bereich Forschung und Entwicklung hinweisen: Eine moderne Militärmacht ist verpflichtet, in die Entwicklung futuristischer Rüstungsgüter zu investieren und an der Verbesserung der Hyperschalltechnik zu arbeiten. Gemeinsame wissenschaftliche Arbeit in dieser Richtung wird es erstens ermöglichen, vollkommenere Lösungen zu schaffen, und zweitens die Kosten für die Beteiligten deutlich zu senken. Kooperation ist für alle von Vorteil", resümierte Kaschin.
Zuerst erschienen bei Wsgljad. Übersetzt aus dem Russischen.
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