Von Mirko Lehmann
Wenig überraschend gelten dem Spiegel die "Frauen hinter Putin", womit weibliche Funktionsträger aus Regierung, Verwaltung und Wissenschaft sowie verschiedene Aktivistinnen gemeint sind, als "Stützen des russischen Regimes". Am Internationalen Frauentag führt das Hamburger Magazin einige mehr oder weniger prominente Frauen aus dem Umfeld Wladimir Putins buchstäblich vor. Fluchtpunkt dieser durchweg hämischen Skizzen sind, ebenfalls kaum erstaunlich, ein mehr angedeuteter als belegter positiver Bezug zu jener Periode beziehungsweise Ideologie, die üblicherweise als Stalinismus bezeichnet wird.
Antikommunistische Tradition
Diese von einer Spiegel-Journalistin ausgemachte historische Verbindung verwundert nicht, denn der Artikel beruht teilweise auf Aussagen der Mit-Herausgeberin und russisch-französischen Historikerin Galia Ackerman, die zusammen mit Stéphane Courtois das "Schwarzbuch Putin" herausgebracht hat. Courtois war 1998 mit dem "Schwarzbuch des Kommunismus" in Erscheinung getreten und hatte damit seinerzeit für publizistischen Wirbel gesorgt. Entgegen seriöser journalistischer Praxis, die eine Trennung von redaktionellem Teil und Reklame verlangt, findet sich kurz nach Beginn dieses Artikels eine Anzeige für das "Schwarzbuch Putin" von Courtois und Ackerman.
Hinter der Bezahlschranke kann man weiterhin lesen, dass Ackermann "eine ganze Reihe von Persönlichkeiten aufzählen" könne, auf die sich das "Regime" stütze. Ackerman wörtlich: "Einige haben über Jahre dazu beigetragen, ein stalinistisches Klima im Land zu erzeugen". Diese hochrangigen Frauen verliehen dem Krieg in der Ukraine eine "besondere Legitimation". Zudem zeigt sich der Spiegel erstaunt, dass "sogar Soldatenmütter" auf Putins Seite stünden und noch dazu "großen Einfluss" in der russischen Gesellschaft hätten. Erklären kann sich diesen Tatbestand Ackerman nur mit der These, dass diese Unterstützerinnen Putins "durch die Propaganda einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen worden" seien.
Emanzipation – ja, aber ...
Zwar kommt der Spiegel nicht umhin, die positiven Folgen der Oktoberrevolution für die Frauenemanzipation in der Sowjetgesellschaft anzuerkennen, einschließlich der Tatsache, dass selbst in postsowjetischer Zeit in Russland im Jahr 2014 nach einer zitierten US-Studie 43 Prozent aller Managerstellen mit Frauen besetzt gewesen seien, im Gegensatz zu nur 14 Prozent in Deutschland.
Doch der eigentliche Vorwurf des Magazins an die Adresse der abschätzig so titulierten "Putinistinnen" lautet, sie seien auf "stalinistischem Kurs". Ackerman habe, so der Spiegel, der Putinschen Politik eine "Verherrlichung Stalins" attestiert. Handfeste Belege für diese stereotype Behauptung liefert der Artikel nicht (das wäre auch schwierig), abgesehen von einer angeblich festzustellenden "rückschrittlichen Haltung" in der heutigen russischen Gesellschaft und der einer "konservativen Staatsideologie", die die Frauen in Putins Umfeld – laut Ackerman – "implementiert" haben sollen.
Es folgt eine Reihe recht gehässiger Porträts, unter denen auch bekannte Politikerinnen wie Walentina Matwijenko, Vorsitzende des russischen Föderationsrats, die Journalistin und Chefredakteurin von RT Margarita Simonjan oder Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, nicht fehlen dürfen.
Prompte Antwort aus Moskau
Sacharowa hat auf ihrem Telegram-Kanal die Einlassungen des Spiegel mit deutlichen Worten kommentiert.
"Das deutsche Magazin Spiegel, das bisher als Abladeplatz für die deutschen Geheimdienste und als Sender von Desinformationen bekannt war, hat sich am Internationalen Frauentag selbst übertroffen."
Den Artikel nennt Sacharowa "voller abstoßender sexistischer Klischees". Überdies stellt sie fest:
"Besonderes Vergnügen bereitete es der Autorin, die Mütter von Soldaten zu beschreiben, darunter auch jene, die ihre Söhne auf den Schlachtfeldern des neonazistischen Abschaums verloren haben."
Sacharowa hält der deutschen Journalistin vor, diese habe
"vergessen hinzuzufügen, dass alle von ihr erwähnten Frauen die internationale Gemeinschaft seit acht Jahren auffordern, das Massaker im Donbass zu beenden, humanitäre Hilfe dorthin zu schicken und Geld für die Behandlung von Zivilisten zu sammeln, die während des Beschusses durch ukrainische Neonazis verwundet wurden, darunter auch ältere Menschen und Kinder".
Zudem scheine die deutsche Spiegel-Frau vergessen zu haben, dass die Söhne von den Soldatenmüttern "mit genau den Waffen getötet werden, die die deutsche Regierung an das Regime in Kiew geliefert hat".
Kein Wort habe der Spiegel darüber verloren,
"dass Angela Merkel öffentlich zugegeben hat, dass Berlin nicht die Absicht hatte, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, und dass sie so getan hat, als ob sie sich an die Resolution des Sicherheitsrates halten würde, um Zeit zu gewinnen und die Ukraine aufzurüsten."
Sacharowa schreibt, sie sei schon öfters gefragt worden, was die Spiegel-Korrepondenten eigentlich in Moskau machen, wozu der Spiegel Journalisten in Russland brauche, die damit beschäftigt seien, "Artikel aus dem Nichts zu verfassen".
Die Passagen über die Mütter von Helden würden durch Zynismus verblüffen und durch Unmoral schockieren. Sacharowa weiter: "Und überhaupt: Nur professionelle Lügner können so viel Unsinn, ungebildete Lügen und Klischees an einem Ort versammeln."
Die Anwürfe des Spiegel an das russische Außenministerium ("wohl sexistischste Regierungsbehörde Russlands") parierte Sacharowa mit der trockenen Bemerkung, es sei schade, "dass sie nicht angegeben haben, wer wen 'belästigt': Männer die Frauen oder Frauen die Männer". Man könne beinahe meinen, das Ständchen, das die männlichen Kollegen am Vorabend des 8. März sangen, hätten sie unter Androhung von Waffengewalt von Frauen aufgeführt.
Auch in Sachen Frauenquote müsse sich der russische auswärtige Dienst nicht verstecken. "Und das ohne künstliche Geschlechterquoten, rein nach fachlichen Qualitäten." Annähernd die Hälfte der Mitarbeiter (47 Prozent) sei weiblich, unter den Diplomaten seien es 35 Prozent, wiederum ein Fünftel von ihnen in höheren Positionen. Dies wäre den Spiegel-Korrespondenten nicht verborgen geblieben, hätten sie je eine Pressekonferenz des russischen Außenministeriums besucht.
Sacharowa schloss ihren Kommentar mit dem Fazit:
"Doch die in Russland akkreditierten Spiegel-Korrespondenten Christian Esch und Christina Hebel scheinen dafür keine Zeit zu haben. Was sie hier tun, ist unbekannt. Der eine verschwindet in der Ukraine und produziert russophobe Verleumdungen am Fließband. Die zweite arbeitet still und leise in Moskau, und das nur, um das Gehalt eines Chefkorrespondenten des deutschen Magazins zu erhalten. Keiner von ihnen gibt echte Informationen über unser Land an seine Zentrale weiter."
RT-Chefin Margarita Simonjan erklärte hierzu auf Telegram kurz und knapp:
"Entzieht ihnen also die Akkreditierung, das ist alles. Sie beißen nur deshalb, weil wir ihnen als Antwort nicht den Kopf abreißen."
Mehr zum Thema - Die Massenmedien haben die Aufgabe, Friedensbewegungen zu unterdrücken