New START: Die Nachricht von der Aussetzung dieses fundamentalen Vertrages über nukleare Abrüstung dürfte beileibe nicht nur denjenigen unangenehm aufgefallen sein, die im Kalten Krieg aufgewachsen sind. "Verständlich, denn dies ist das einzige Völkerrechtsdokument im Bereich der Rüstungskontrolle und der strategischen Sicherheit, das noch einigermaßen am Leben bleibt", kommentierte Dmitri Peskow, der Pressesprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, in einem Interview an die Zeitung Iswestija. Russlands Entscheidung, den einst zwischen der Sowjetunion und den USA abgeschlossenen Vertrag zum Abbau strategischer Waffen einzufrieren, erklärte Peskow unter Verweis auf die jüngste Ansprache seines Vorgesetzten an die Russische Föderalversammlung mit einer grundlegenden Veränderung der Lage, die das Dokument unzeitgemäß machte. Erstens waren und sind britische wie französische Atomwaffen kein Gegenstand dieses Abkommens:
"Als dieses Völkerrechtsdokument erst im Entstehen begriffen war, als Verhandlungen zwischen unseren Ländern liegen – da wurden die nuklearen Arsenale Frankreichs und Großbritanniens ausgeklammert. Und diese sind natürlich nicht mit denen der Russischen Föderation und der USA vergleichbar – sind aber für das gesamte System der strategischen Sicherheit in Europa durchaus bedeutend."
Das konnte man zur Zeit des Kalten Krieges noch hinnehmen. Doch nun ist, zweitens, das Nordatlantik-Bündnis durch seine Handlungen zur Unterstützung des Kiewer Regimes auch noch als unmittelbarer Teilnehmer in den Ukraine-Krieg eingetreten, so der Kremlsprecher:
"Als die NATO de facto zum Teilnehmer des Konflikts in der Ukraine wurde, änderte sich die Lage.
Im Wesentlichen tritt die NATO – einheitlich, als Block – nicht mehr als unser 'anzunehmender Gegner' auf, sondern als unser Feind. Ihre Aufklärung arbeitet rund um die Uhr gegen uns. Ihre Waffen werden, wie Präsident Putin in einem jüngsten Interview betonte, kostenlos in die Ukraine geliefert. Dort wird unser Militär damit beschossen – davon ganz zu schweigen, dass damit auch Bürger der Ukraine, ukrainische Städte und Dörfer beschossen werden."
Peskow unterstrich den kollektiven Charakter entsprechender Entscheidungen innerhalb der NATO, ihre Ausrichtung auf die Eskalation durch die Lieferung komplexerer Waffensysteme für immer weitere Waffengattungen.
"Frankreich, England, die USA sind heute in einer Organisation, die de facto Krieg gegen uns führt, sich in einem Zustand unmittelbaren bewaffneten Konfrontation gegenübersteht – wenn man ihre Waffen in der Ukraine bedenkt. Hier braucht man nichts zu verdecken oder glattzubügeln, sondern muss alles beim Namen nennen. Auch sie selbst dürften das verstehen, denn ihre ziemliche Empfindlichkeit in diesem Bereich sieht man ihnen an: Wo sie es doch wie ein Mantra wiederholen, dass sie keine unmittelbaren Teilnehmer dieses Konflikts sein wollen."
Eine Einstellung jeglicher Kriegsteilnahme seitens der NATO wird aber noch nicht dafür hinreichen, damit Russland die Befolgung des New-START-Abkommens wiederaufnimmt oder über dessen Revision beziehungsweise neue Abrüstungsverträge zu verhandeln bereit ist, so der Kremlsprecher sinngemäß. Denn besagte Kriegsteilnahme der NATO ist nichts als ein einzelner Ausdruck allgemeiner und absoluter Rücksichtslosigkeit, der Undenkbarkeit einer Vorstellung, dass man überhaupt irgendwessen – durchaus legitime – Sicherheitsinteressen beachten kann als die eigenen. Dies ließ sich leicht in den Erklärungen aus Washington und Brüssel lesen:
"In den Erklärungen hörten wir recht kompromisslose Verurteilung Russlands und die Abwesenheit jeglicher Bereitschaft, die Besorgnisse der Russischen Föderation zu berücksichtigen. Sie weigern sich hartnäckig, Putins Worte zu hören. Somit hat der Präsident vollkommen Recht: Sie hören uns demonstrativ nicht zu – aber so wird es nicht mehr sein."
Erst wenn sich im Westen die bemängelte Herangehensweise an die globale Sicherheit zu etwas Vernünftigerem und für alle Beteiligten Genießbarem ändert, sei an eine Wiederaufnahme des New-START-Abkommens überhaupt zu denken, antwortete Peskow auf eine entsprechende Frage:
"Selbstverständlich müssen sich die Bedingungen doch irgendwie ändern. Ändern muss sich die konzeptuelle Herangehensweise der Länder des kollektiven Westens unter US-Führung an ihren Begriff von der Sorge unseres Landes um seine eigene Sicherheit, an ihr Verständnis der These von der Unteilbarkeit der Sicherheit. Sprich, [sie müssen es einsehen]: Die Sicherheit eines Landes kann und darf nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Länder gewährleistet werden."
Doch der Unwille zur Einsicht beim kollektiven Westen habe nicht nur langen Bestand – er machte sich noch im Dezember 2021 bemerkbar –, sondern sei bei ihm ebenso mit dem Wesenszug virulenter Doppelzüngigkeit gepaart, so Peskow sinngemäß:
"Grundlegend verändert hatte die Lage sich noch damals, als Russlands Präsident vor der Entscheidung für die militärische Sonderoperation Entwürfe von Sicherheitsverträgen formulierte und sie nach Washington, Brüssel und Wien schicken ließ: Damals vernahmen wir, im Wesentlichen, eine Unbereitschaft, mit uns worüber auch immer zu sprechen. Hätten sie gewollt – dann hätten sie sich an den Verhandlungstisch gesetzt. Die Verhandlungen wären äußerst kompliziert, sie hätten viel von einem Stellungskrieg und wären teils von Unversöhnlichkeit geprägt – aber es hätte dann überhaupt Verhandlungen gegeben. Doch sie weigerten sich.
Präsident Putin war und bleibt offen für jegliche Kontakte, die Russland beim Erreichen seiner Ziele helfen, vorzugsweise auf friedlichem Wege, oder wenn das nicht geht, dann auch auf dem militärischen. [Und bisher] hörten wir viele Erklärungen von Scholz und Macron, die sagten, sie würden weiterhin mit Putin sprechen, um Wege aus der heutigen Lage zu suchen.
Doch in der letzten Zeit gab es keinerlei Vorstöße jeglicher Art. Wir vernahmen fünf oder sechs Erklärungen Macrons über seine Bereitschaft, mit Putin zu telefonieren – aber das Folgende müssen alle erfahren:
Es gab keinerlei Anfragen, Entwürfe oder Versuche, die möglichen Fristen für solch ein Gespräch zu erarbeiten."
Separat bemängelte Peskow, dass sich die westliche Führung bezüglich potenzieller Dialoge erklärtermaßen in einer Vermittlerrolle zwischen Russland und dem nazistischen Kiewer Regime sieht. Denn erstens wäre ein solcher Vermittler als ein Kriegsteilnehmer parteiisch voreingenommen. Und zweitens sind Kräfte innerhalb der Ukraine, mit denen man von deren Einstellung her theoretisch verhandeln könnte, durch das aktuelle Regime verängstigt:
"Wer in der Ukraine ist, hat Angst, irgendwie das Haupt zu erheben, weil er sich dann physischer Gefahr aussetzt. Solche Personen würden sofort vernichtet werden – ermordet."
Schon deswegen kann Russland jegliche Gespräche mit einem wie auch immer aussehenden offiziellen Kiew erst nach Erreichen aller Ziele seiner militärischen Sonderoperation eingehen oder suchen, hielt Peskow abschließend zum Thema fest.
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