Seit neun Monaten bei Russland: Wie sich das umkämpfte Mariupol verändert hat (Fotostrecke)

Mariupol als Fotostrecke: Die nachfolgenden Bilder entstanden im Abstand von einem halben Jahr – zwischen dem vergangenen Sommer und dem Winteranfang – und zeigen die Bemühungen der Bewohner zur Wiederherstellung ihrer "Perle am Asowschen Meer".

Eine Analyse von Arsenij Kotow

Es ist jetzt fast neun Monate her, seit Mariupol – die zweitgrößte Stadt der Volksrepublik Donezk – befreit wurde, und bereinigt von ukrainischen Streitkräften, zu denen auch das neonazistische Regiment Asow gehörte. Die Stadt ist zu einem Symbol der russischen militärischen Sonderoperation geworden, und der Sieg dort war der wohl bisher größte Triumph des russischen Feldzugs.

Seit dem Ende der Kämpfe versuchen die Einheimischen von Mariupol, die nunmehr eine Stadt innerhalb der Russischen Föderation ist, zu einem friedlichen Leben zurückzukehren. Der Fotojournalist Arsenij Kotow war zweimal zu Besuch – im Sommer 2022 und im Winter 2022/2023. Seine Fotoaufnahmen zeugen von den jüngsten Entwicklungen und dokumentieren den laufenden Wiederaufbau, der für Moskau höchste Priorität hat.

Sommer

Ich habe Mariupol zum ersten Mal im Sommer 2022 besucht. Um dorthin zu gelangen, musste ich per Anhalter fahren. Der Fahrer, der mich mitnahm, setzte mich am Schewtschenko-Boulevard ab, an einer der zentralen Magistralen der Stadt, benannt nach dem legendären ukrainischen Dichter. Ein Gebäude auf einem Hügel überragt dort die ganze Umgebung. Um eine bessere Übersicht zu bekommen, begab ich mich dahin und betrat den Balkon einer Wohnung, in der die Türen fehlten und deren Innenwände beschädigt waren. Von dort aus hatte ich einen ziemlich guten Blick auch auf das Werksgelände der Stahl- und Eisenwerke "Asowstal", das heute auf der ganzen Welt bekannt ist – wegen der Kämpfe, die dort in der Endphase der Befreiung von Mariupol stattfanden.

Ich ging dann in Richtung der Westseite der Stadt und traf auf einen Mann und eine Frau, beide um die Dreißig, die in den Trümmern eines eingestürzten neunstöckigen Wohnhauses umherstreiften. Sie waren beide modisch und gut gekleidet, sammelten dennoch irgendwie Verwertbares aus den Ruinen. Sie baten mich, sie nicht zu fotografieren.

Die Stadt war übersät mit Schriftzügen und Graffitis, die nach Ankunft der russischen Truppen an die Wände gesprüht oder gekritzelt wurden. Einige der Inschriften zeugen von der Haltung der Einheimischen gegenüber den Kiewer Behörden, während andere direkt mit dem Ringen ums nackte Überleben in der Stadt zu tun hatten. "Hier wohnen Menschen" war einer der häufigsten Schriftzüge. Dies sollte wohl das Leben der Bewohner vor Granaten schützen, die vom Militär bei den Kämpfen um das Gebiet eingesetzt wurden.

Bis Juni waren die meisten Straßen bereits frei von Trümmern und Müll. Aber in den Höfen stapelten sich noch immer ausgebrannte Autos, und überall in der Stadt waren Spuren der Kämpfe zu sehen.

Nur einen Katzensprung von diesen Ruinen entfernt befindet sich der zentrale Platz der Stadt. Früher hieß er Lenin-Platz und in der Mitte stand damals ein Denkmal für den Gründer der Sowjetunion. Nach dem Regierungsumsturz von 2014 in der Ukraine wurde dieses Denkmal abgerissen und der Lenin-Platz in "Platz der Freiheit" umbenannt. Im Juni 2022 erhielt er den ursprünglichen Namen zurück, aber das Lenin-Denkmal war noch nicht neu errichtet worden.

In der Nähe des Platzes befindet sich das städtische Schauspielhaus. Während die Kämpfe in der Stadt tobten, versprach das neonazistische Regiment Asow, die Bewohner der Stadt in dieses Theater zu "evakuieren". Das Gebäude wurde gleichzeitig auch als Luftschutzbunker genutzt. Am 16. März wurde es, obwohl es voller Menschen war, mutmaßlich von ukrainischen Nationalisten in die Luft gesprengt. Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt.

Am Rande der Stadt kann man den Arbeitsalltag in einer der größten Hafenstädte am Asowschen Meer beobachten. Bereits am 13. April vergangenen Jahres befreiten Truppen der Volksrepublik Donezk und der Russischen Föderation gemeinsam den Seehafen von Mariupol. Alle Geiseln, sowohl in der Einrichtung als auch an Bord der Schiffe, konnten dabei befreit werden. Der Hafen selbst wurde nicht allzu schwer beschädigt und kann derzeit für die Frachtabwicklung genutzt werden.

Seit acht Jahren, seit Beginn des Krieges in der Ostukraine, standen auf den Abstellgleisen des Bahnhofs von Mariupol elektrische Züge, die früher einmal Mariupol mit Donezk als Zentrum der Region verbanden. Die Wagen wurden während der intensiven Kämpfe im Jahr 2022 völlig zerstört.

Im vergangenen Juni sah die Stadt noch weitgehend verlassen aus, aber die Menschen fingen bereits wieder an, die Strände zu besuchen. Am Strand vom linken Ufer des Flusses kam es immer wieder zu Minenexplosionen, aber selbst das hinderte die Einheimischen nicht daran, sich wieder am Wasser zu vergnügen.

Das Straßenbahndepot Nr. 2 am Stadtrand von Mariupol wurde während der Kämpfe komplett zerstört. Am 2. März 2022 musste der Betrieb der Straßenbahnen eingestellt werden. Der Neuaufbau einiger Routen wird derzeit diskutiert.

Wie ein Großteil des Bezirks am linken Ufer der Stadt, so war auch der Prospekt des Sieges von den Kämpfen schwer betroffen. Im Sommer wirkte dieser Teil der Stadt so gut wie ausgestorben.

Je näher man Asowstal kommt, desto größer werden die Schäden an allen Gebäuden und an der Infrastruktur der Stadt. Dieses Gebäude steht nur wenige Häuserblocks vom Gebiet des Stahlwerks entfernt. Alle Gebäude in der Umgebung hier wurden beschädigt, können aber noch saniert werden. Weiter nördlich jedoch mussten bereits ganze Häuserblocks abgerissen werden.

Ein komplettes Segment dieses Gebäudes stürzte aufgrund von Beschuss oder durch eine Fliegerbombe ein, wobei eine kleine "Brücke" am oberen Ende der Ruine intakt blieb. Das Gebäude wurde im vergangenen November schließlich abgerissen.

Dieses im Sommer aufgenommene Foto zeigt die Schäden im Bezirk am linken Ufer der Stadt, in der Nähe des Stahlwerks. Als ich im Herbst hierher zurückkehrte, waren die meisten der zerstörten Gebäude abgerissen worden. Auf diesem Gelände soll ein neues Wohnviertel entstehen.

Im Juni waren noch überall in der Stadt Explosionen zu hören. Die Kämpfe hatten zwar aufgehört, aber das Gelände des Stahlwerks sowie viele Teile der Stadt waren immer noch vermint. Pioniersoldaten waren in der ganzen Stadt bei der Arbeit und beseitigten diese Bedrohungen.

Die Stahl- und Eisenwerke "Asowstal" sind ein riesiges Hüttenwerk, das 1933 erstmals in Betrieb genommen wurde. Das Gelände erstreckt sich über 11 Quadratkilometer. Das Werk verfügt über 41 Werksanlagen, 80 große Einrichtungen und 6 riesige Hochöfen. Es wurde während der Belagerung schwer beschädigt. Im Frühjahr 2022 wurde Asowstal von den Streitkräften der Ukraine besetzt, darunter von den Neonazis des Bataillons Asow, die sich in der Folge in den Katakomben des Werkes verschanzten. Die Schlacht um das Werksgelände dauerte vom 18. März bis zum 17. Mai 2022.

Ähnliche große Schäden sind im gesamten Gebiet zu sehen. Nach dem aktuellen Plan zur Stadtentwicklung soll das Werk komplett abgerissen und auf dem Gelände ein Park errichtet werden. Die Abrissarbeiten haben jedoch noch nicht begonnen.

Die Markthalle von Mariupol wurde während der Kämpfe schwer beschädigt. Die Kuppel wurde von mehreren Granaten getroffen, und der Marktplatz darunter ist von Granatsplittern förmlich durchsiebt. Beim Passieren der Ruinen mussten die Menschen im vergangenen Sommer stets ganze Rudel streunender Hunde abwehren. Einst von den Nutzern des Marktes gefüttert, waren sie fast bis auf die Knochen abgemagert und sahen sehr ausgehungert aus.

Im vergangenen Sommer hatten große Teile der Stadt noch kein fließendes Wasser, Gas oder Strom. Anwohner, die sich entschieden zu bleiben, erhielten Hilfe von den russischen Streitkräften, von freiwilligen Helfern und von humanitären Hilfsorganisationen.

Winter

Im Dezember 2022 glich Mariupol einer riesigen Baustelle. Bauarbeiter aus ganz Russland und sogar aus anderen ehemaligen Sowjetrepubliken waren angereist, um die Stadt wieder aufzubauen.

Ein großer Teil des Schewtschenko-Boulevards blieb von den Kämpfen weitgehend unberührt. Infolgedessen ist dies jetzt der belebteste Teil der Stadt. Der Straßenmarkt hier boomt, nachdem Supermärkte und alle großen Geschäfte geplündert oder zerstört wurden. Und so strömen die Einheimischen jetzt dorthin, um alle möglichen Waren zu kaufen: von Elektrogeräten bis hin zu Obst und Gemüse aus den umliegenden Dörfern.

Viele Gebäude am anderen Ende des Prospekts der Metallurgen konnten größeren Beschädigungen entgehen. Die wenigen betroffenen Gebäude werden von Bauarbeitern aus Russland wieder instand gesetzt.

Fachleute haben alle Gebäude in Mariupol bewertet und darüber entschieden, welche saniert werden können und welche abgerissen werden müssen. Wo es möglich ist, werden die Schäden behoben. Alles andere wird planiert.

Backsteingebäude sind einfacher zu sanieren als Plattenbauten aus Beton. Wenn eine Betonplatte beschädigt ist, muss sie ganz entfernt und entweder durch Ziegel oder durch eine neue Platte ersetzt werden. Aber bei Backsteinbauten lassen sich Löcher, die durch Beschuss entstanden sind, relativ einfach wieder mit Backsteinen ausbessern.

Selbst vollständig intakte Gebäude werden jetzt einer umfassenden Instandsetzung unterzogen. Dächer, Rohre, Heizkörper und Fenster werden in den meisten von ihnen ersetzt. Die Kosten dafür werden vom russischen Staat übernommen.

Fast alle Verwaltungs- und Wohngebäude im zentralen Bezirk wurden während der Kämpfe beschädigt, darunter auch Kirchen und Kapellen.

Die meisten Abbrucharbeiten werden mit Baggern, Bohrkränen und anderen schweren Baumaschinen durchgeführt. Plattenbauten sind ziemlich schnell abgerissen – es dauert etwa eine Woche, um solch ein neunstöckiges Gebäude abzureißen.

Ein Kesselhaus – der Schornstein für die Abluft ist im Vordergrund zu sehen – wurde im Herbst, pünktlich zur Heizsaison, wieder in Betrieb genommen. Anfang Dezember ersetzten Bauarbeiter auch die Dächer der umliegenden Gebäude.

Diese Häuser in Mariupol gehörten zu den ersten, die saniert wurden. Bis Dezember war ein Großteil des Innenausbaus erledigt, die Fenster waren ausgetauscht worden und die Außenrenovierung war fast abgeschlossen.

Eine mobile Café-Kette namens "Mariupol ist Russland – so ist es!" (eine verbale Anspielung auf den Namen einer populären russischen Fast-Food-Kette namens "Schmackhaft – so ist es!") tauchte im vergangenen Herbst auf den Straßen der Stadt auf. Ich habe es noch nicht ausprobiert, aber das Café soll bei Einheimischen und Bauarbeitern sehr beliebt sein.

Übersetzt aus dem Englischen.

Arsenij Kotow ist ein unabhängiger Fotojournalist.

Mehr zum Thema - Wie in der verwüsteten Stadt Mariupol langsam wieder Ruhe einkehrt – eine Reportage