US-Archiv: Russland und die USA erörterten 1992 Möglichkeit einer Krim-Abspaltung von der Ukraine

Bei einem Besuch in Washington 1992 berichtete eine russische Delegation dem US-Präsidenten George H.W. Bush über die nationalen Probleme in der Ukraine und die Möglichkeit einer Abspaltung der Krim. Bush hörte sich die Ansichten Russlands an und erhob keine Einwände.

Das Nationale Sicherheitsarchiv der USA hat die Mitschrift eines Gesprächs veröffentlicht, das im Jahr 1992 im Weißen Haus zwischen US-Präsident George H.W. Bush und dem ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten Russlands, Jegor Gaidar, stattfand. Gaidar war damals für die liberalen Reformen in Russland zuständig. Das Gespräch drehte sich um die Probleme in der Ukraine und die Wahrscheinlichkeit einer Abspaltung der Krim von der Ukraine.

Bush wies darauf hin, dass in den Vereinigten Staaten viele US-Amerikaner ukrainischer Abstammung lebten und dass "wir sie daher angemessen und mit viel Respekt behandeln müssen". Der US-Präsident fragte, wie lange es angesichts des Problems der Atomwaffen, über die beide Seiten nach dem Zusammenbruch der UdSSR verfügten, dauern würde, die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland zu regeln. Dazu bemerkte Gaidar:

"Natürlich gibt es Probleme mit der Ukraine, aber wir haben keine Angst vor einem jugoslawischen Szenario in den russisch-ukrainischen Beziehungen."

Ihm zufolge "wird es notwendig sein, Wege zu finden, um einen engen Kontakt herzustellen".

Zugleich sprach Gaidar über die internen Probleme der Ukraine. Er erklärte:

"In der Ukraine selbst gibt es ein sehr ernstes Problem, wie die Spannungen zwischen der Westukraine und Kiew. Auch mit der russischsprachigen Ukraine gibt es Probleme. Die wirtschaftliche Lage ist nicht einfach, schlimmer als bei uns. Die Reformen werden nicht schnell genug durchgeführt. Ich hoffe, dass sie ihr Reformprogramm beschleunigen werden."

Wladimir Lukin, der russische Botschafter in den USA, der bei dem Treffen anwesend war, sagte, dass "die nationalen Probleme in Russland manchmal überschätzt und in der Ukraine unterschätzt werden". Er erklärte:

"Russland ist zu 83 Prozent russisch, die Ukraine zu 73 Prozent ukrainisch."

Lukin fügte hinzu, dass der Rest der Bevölkerung russisch wäre. Gaidar erklärte seinerseits, dass die meisten Russen auf der Krim lebten.

Lukin erklärte weiter, dass der Oberste Rat der Krim am 5. Mai 1992 ein Referendum über die Unabhängigkeit in Betracht ziehen würde. Der Botschafter fügte hinzu:

"Es wird schwierig sein, etwas mit der Krim zu machen. Am 5. Mai wird der Oberste Rat der Krim zusammentreten, um zu entscheiden, ob ein Referendum abgehalten werden soll oder nicht. Sie werden sich mit ziemlicher Sicherheit für ein Referendum entscheiden, in dem es um die Frage geht, ob sie unabhängig sein oder Teil der Ukraine bleiben wollen. Es wäre besser, diese Frage zu verschieben, aber so wie es aussieht, wird das Referendum im August stattfinden."

Bush fragte, wie die Abstimmung aussehen würde, und vermutete folgende Optionen: Unabhängigkeit der Krim, Verbleib bei der Ukraine oder Beitritt zu Russland.

Lukin antwortete, dass ein Beitritt zu Russland nicht in Frage käme. Entweder bliebe sie Teil der Ukraine oder träte der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten als unabhängiges Subjekt bei.

Bush äußerte sich nicht zu diesen Aussichten, wünschte allen viel Glück und bat um Grüße an den damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin.

Am 5. Mai 1992 hatte der Oberste Rat der Autonomen Republik Krim ein Gesetz über die staatliche Unabhängigkeit verabschiedet, welches einem Referendum unterzogen werden sollte. Dieses sollte im August desselben Jahres stattfinden. Das ukrainische Parlament erklärte das Gesetz jedoch für verfassungswidrig und setzte eine Frist für seine Aufhebung. Daraufhin annullierte der Oberste Rat der Krim die Unabhängigkeitserklärung und verschob das Referendum auf einen späteren Zeitpunkt. Mehrere Jahre lang versuchten verschiedene politische Kräfte in der Ukraine und auf der Krim, für den Status der Halbinsel als Republik Krim zu kämpfen, doch letztendlich blieb es bei einem Autonomie-Status innerhalb der Ukraine.

Die Krim wurde durch ein Referendum im März 2014 Teil Russlands. Die internationale Gemeinschaft hat diese Ergebnisse nicht anerkannt und betrachtet die Halbinsel de jure als ukrainisches Hoheitsgebiet. Die russischen Behörden beharren darauf, dass die Krim-Einwohner ihre Wahl getroffen hätten, und Präsident Wladimir Putin erklärte, die Frage der historischen Zugehörigkeit der Krim sei "historisch abgeschlossen".

Mehr zum Thema - Pentagon bezweifelt Erfolg einer möglichen ukrainischen Offensive auf der Krim